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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Freihandels abwenden wolle. Aber schon Ende Januar 1877 verstärkt Ru߬
lands Festhalten an dem ihm nützlichen Zollsystem seine Überzeugung von der
Notwendigkeit einer deutschen Steuer- und Zollreform.

5. Dezember 1876. Einer um die Erhaltung der Eisenzölle petitionierenden
Arbeiterdeputation aus den Kreisen Bochum und Essen gibt er den Rat, ihren
Wünschen durch Petitionen Ausdruck zu geben. Am 6. März 1377 erklärt
er sich bereit, eine Deputation rheinischer Industrieller und Landwirte, die über
den Notstand klagen, zu empfangen.

5. April 1877. Bismarck äußert gesprächsweise, er könne sich nur noch
angesichts einer Maßregel im großen Stile, wie diese zum Beispiel die Reform
unsrer wirtschaftlichen Gesetzgebung darstelle, aus seiner Müdigkeit aufraffen.
(Gleichnis von dem müden Jäger und der Sau.)

Ende 1877. Er will lieber aus den Wiener Handelsvertragsverhand¬
lungen, ohne Handelsvertrag mit Österreich, mit Kampfzöllen als mit einem
Deutschland nachteiligen Tarifvertrag herausgehn.

Ein Londoner Botschaftsbericht vom 13. November 1877 gibt ihm zu
folgenden Randbemerkungen Anlaß: "Als selbstverständlich wird da also an¬
genommen, daß Freihandel ohne Gegenseitigkeit nicht durchführbar sei. Unsre
Freihändler behaupten noch, daß er auch einseitig vorteilhaft bleibe."

8. Dezember 1877. Er ist gegen die Veranstaltung einer allgemeinen
Enquete über die Lage und Bedürfnisse der vaterländischen Industrie.

11. Dezember 1877. Einverständnis mit kommissarischen Erörterungen
zur Vornahme einer autonomen Revision des Zolltarifs. Befürwortung der
Einführung eines Kontrollzolles auf gewisse Viehgattungen im Interesse des
deutschen Viehexports.

6. Januar 1878. Wenn er auch nicht Schutzzölle einführen will, so will
er doch dafür sorgen, daß deutsche Produkte nicht nachteiliger als ausländische
behandelt werden.

4. Februar 1878.*) Die Einführung eines Gegenzolls ist seiner Ansicht
zufolge das einzige Mittel, Rußland zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Ru߬
land habe hohe Zölle, Deutschland so gut wie gar keine. "Stellen wie erst
die Gleichheit her, dann wird die Zeit zu gegenseitigen Konzessionen ge¬
kommen sein."

22. März 1878. Im Laufe der Unterredung, da er den bisherigen
Oberbürgermeister Hobrecht zur Übernahme des Finanzministeriums zu be¬
stimmen sucht, erklärt er, daß er eine Erhöhung der Finanzzölle erstrebe, aber
nicht unglücklich sein würde, wenn hierdurch zugleich gewissermaßen nebenher
einigen Branchen der Industrie ein mäßiger Schutz gewährt würde.

Anfangs April 1878 verlangt er die Aufstellung eines die Reform des
Zollwesens einschließenden Reformprogramms. Dasselbe ließe sich eventuell



*) Ebenso in der Reichstagsrede vom 26. Februar 1878.

Freihandels abwenden wolle. Aber schon Ende Januar 1877 verstärkt Ru߬
lands Festhalten an dem ihm nützlichen Zollsystem seine Überzeugung von der
Notwendigkeit einer deutschen Steuer- und Zollreform.

5. Dezember 1876. Einer um die Erhaltung der Eisenzölle petitionierenden
Arbeiterdeputation aus den Kreisen Bochum und Essen gibt er den Rat, ihren
Wünschen durch Petitionen Ausdruck zu geben. Am 6. März 1377 erklärt
er sich bereit, eine Deputation rheinischer Industrieller und Landwirte, die über
den Notstand klagen, zu empfangen.

5. April 1877. Bismarck äußert gesprächsweise, er könne sich nur noch
angesichts einer Maßregel im großen Stile, wie diese zum Beispiel die Reform
unsrer wirtschaftlichen Gesetzgebung darstelle, aus seiner Müdigkeit aufraffen.
(Gleichnis von dem müden Jäger und der Sau.)

Ende 1877. Er will lieber aus den Wiener Handelsvertragsverhand¬
lungen, ohne Handelsvertrag mit Österreich, mit Kampfzöllen als mit einem
Deutschland nachteiligen Tarifvertrag herausgehn.

Ein Londoner Botschaftsbericht vom 13. November 1877 gibt ihm zu
folgenden Randbemerkungen Anlaß: „Als selbstverständlich wird da also an¬
genommen, daß Freihandel ohne Gegenseitigkeit nicht durchführbar sei. Unsre
Freihändler behaupten noch, daß er auch einseitig vorteilhaft bleibe."

8. Dezember 1877. Er ist gegen die Veranstaltung einer allgemeinen
Enquete über die Lage und Bedürfnisse der vaterländischen Industrie.

11. Dezember 1877. Einverständnis mit kommissarischen Erörterungen
zur Vornahme einer autonomen Revision des Zolltarifs. Befürwortung der
Einführung eines Kontrollzolles auf gewisse Viehgattungen im Interesse des
deutschen Viehexports.

6. Januar 1878. Wenn er auch nicht Schutzzölle einführen will, so will
er doch dafür sorgen, daß deutsche Produkte nicht nachteiliger als ausländische
behandelt werden.

4. Februar 1878.*) Die Einführung eines Gegenzolls ist seiner Ansicht
zufolge das einzige Mittel, Rußland zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Ru߬
land habe hohe Zölle, Deutschland so gut wie gar keine. „Stellen wie erst
die Gleichheit her, dann wird die Zeit zu gegenseitigen Konzessionen ge¬
kommen sein."

22. März 1878. Im Laufe der Unterredung, da er den bisherigen
Oberbürgermeister Hobrecht zur Übernahme des Finanzministeriums zu be¬
stimmen sucht, erklärt er, daß er eine Erhöhung der Finanzzölle erstrebe, aber
nicht unglücklich sein würde, wenn hierdurch zugleich gewissermaßen nebenher
einigen Branchen der Industrie ein mäßiger Schutz gewährt würde.

Anfangs April 1878 verlangt er die Aufstellung eines die Reform des
Zollwesens einschließenden Reformprogramms. Dasselbe ließe sich eventuell



*) Ebenso in der Reichstagsrede vom 26. Februar 1878.
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[0351] Freihandels abwenden wolle. Aber schon Ende Januar 1877 verstärkt Ru߬ lands Festhalten an dem ihm nützlichen Zollsystem seine Überzeugung von der Notwendigkeit einer deutschen Steuer- und Zollreform. 5. Dezember 1876. Einer um die Erhaltung der Eisenzölle petitionierenden Arbeiterdeputation aus den Kreisen Bochum und Essen gibt er den Rat, ihren Wünschen durch Petitionen Ausdruck zu geben. Am 6. März 1377 erklärt er sich bereit, eine Deputation rheinischer Industrieller und Landwirte, die über den Notstand klagen, zu empfangen. 5. April 1877. Bismarck äußert gesprächsweise, er könne sich nur noch angesichts einer Maßregel im großen Stile, wie diese zum Beispiel die Reform unsrer wirtschaftlichen Gesetzgebung darstelle, aus seiner Müdigkeit aufraffen. (Gleichnis von dem müden Jäger und der Sau.) Ende 1877. Er will lieber aus den Wiener Handelsvertragsverhand¬ lungen, ohne Handelsvertrag mit Österreich, mit Kampfzöllen als mit einem Deutschland nachteiligen Tarifvertrag herausgehn. Ein Londoner Botschaftsbericht vom 13. November 1877 gibt ihm zu folgenden Randbemerkungen Anlaß: „Als selbstverständlich wird da also an¬ genommen, daß Freihandel ohne Gegenseitigkeit nicht durchführbar sei. Unsre Freihändler behaupten noch, daß er auch einseitig vorteilhaft bleibe." 8. Dezember 1877. Er ist gegen die Veranstaltung einer allgemeinen Enquete über die Lage und Bedürfnisse der vaterländischen Industrie. 11. Dezember 1877. Einverständnis mit kommissarischen Erörterungen zur Vornahme einer autonomen Revision des Zolltarifs. Befürwortung der Einführung eines Kontrollzolles auf gewisse Viehgattungen im Interesse des deutschen Viehexports. 6. Januar 1878. Wenn er auch nicht Schutzzölle einführen will, so will er doch dafür sorgen, daß deutsche Produkte nicht nachteiliger als ausländische behandelt werden. 4. Februar 1878.*) Die Einführung eines Gegenzolls ist seiner Ansicht zufolge das einzige Mittel, Rußland zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Ru߬ land habe hohe Zölle, Deutschland so gut wie gar keine. „Stellen wie erst die Gleichheit her, dann wird die Zeit zu gegenseitigen Konzessionen ge¬ kommen sein." 22. März 1878. Im Laufe der Unterredung, da er den bisherigen Oberbürgermeister Hobrecht zur Übernahme des Finanzministeriums zu be¬ stimmen sucht, erklärt er, daß er eine Erhöhung der Finanzzölle erstrebe, aber nicht unglücklich sein würde, wenn hierdurch zugleich gewissermaßen nebenher einigen Branchen der Industrie ein mäßiger Schutz gewährt würde. Anfangs April 1878 verlangt er die Aufstellung eines die Reform des Zollwesens einschließenden Reformprogramms. Dasselbe ließe sich eventuell *) Ebenso in der Reichstagsrede vom 26. Februar 1878.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/351>, abgerufen am 24.07.2024.