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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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U)le Bismarck Schutzzöllner wurde

Staatssekretär von Bülow mitgeteilten Promemoria vom 13. Oktober 1875
den mit der Lehrmeinung Delbrücks ganz und gar nicht verträglichen Satz,
daß sich gegenüber Staaten, die ihre Tarife zum Nachteil der deutschen Ausfuhr
erhöhen, nichts andres erübrige, als Repressalien zu nehmen. Am 27. Juni 1876
stellte er auch tatsächlich für den Fall österreichischer Zollerhöhungen deutsche
Repressalien in Aussicht. Ebenso wandte er am 19. Mai 1876 seine Auf¬
merksamkeit der das wirtschaftliche Interesse schädigenden Exportbonifikation
für Zucker zu. Am 6. Juli 1876 läßt er dem Reichskanzleramt eine schutz-
zöllnerische Eingabe aus Weberkreisen zum Berichte zugehn. Am 25. Juli
will er, daß eine Petition des Vereins der rheinisch-westfälische" Industrie um
Schutzzölle zu den Akten genommen werde.

Wesentlichen Einfluß im schutzzöllnerischcn Sinne übte von jetzt ab auf
Bismarck der Geheime Rat im preußischen Staatsministerium (später Reichs¬
kanzlei) von Tiedemann, der uns versichert, der Chef habe sich im August 1876
lebhaft für zwei Denkschriften interessiert, von denen die eine die Beibehaltung
der Eisenzölle, die andre Einhalt auf der Bahn des radikalen Freihandels
verlangte. In demselben Monat wird er sich darüber klar, daß unter der
Herrschaft des Gesetzes vom 7. Juli 1873, das die Eisenzölle vom 1. Januar 1877
aufhob, jeder Versuch, durch Überlegung oder Darlegung wirtschaftlicher Grund¬
sätze Zollkonzessionen von Österreich oder Frankreich zu erlangen, fruchtlos
bleiben werde, solange er nicht durch Versprechung von Gegenkonzessionen
oder Androhung von Nachteilen unterstützt werde.*) In dem Jmmediatbericht
vom 9. Oktober 1876 verdichtet sich seine Auffassung schon zu positiven Vor¬
schlägen. Er verlangt höhere Zölle gegenüber Frankreich auf Wein, Eisen
und Pariser Artikel. Der Übervorteilung durch die ^.vario Ä oantion könne
Deutschland nur durch wirkliche Repressalien ein Ende machen.

Das Staatsministerium spricht sich am 24. Oktober 1876 einstimmig
gegen die Sistierung des Gesetzes wegen Freigebung der Eisenzölle ab
1. Januar 1877 aus. Bismarck wohnt der Sitzung nicht bei. Die nord¬
deutsche Allgemeine Zeitung erklärt aber, das Staatsministerium habe sich bei
seiner einstimmigen Ansicht der Zustimmung des in Varzin weilenden Minister¬
präsidenten versichert halten dürfen.

17. November 1876. Bismarck nimmt den am 7. September 1876 an
den Reichstag gelangten Gesetzentwurf betreffend die Erhebung von Aus¬
gleichungsabgaben nur als eine "Abschlagszahlung" hin.**)

3. Dezember 1876. Bismarck droht der russischen Regierung für den
Fall, daß es durch seine Maßregeln die gedeihliche Entwicklung der deutschen
Handelsinteressen fortgesetzt schädigt, Netorsionszölle an. Mit dieser Ankündigung
will er aber noch nicht gesagt haben, daß er sich von den Grundlagen des




*) Ebenso in der Reichstagsrede vom 7. Dezember 1876.
*) Ebenso in der Reichstagsrede vom 12. Dezember 1876.
U)le Bismarck Schutzzöllner wurde

Staatssekretär von Bülow mitgeteilten Promemoria vom 13. Oktober 1875
den mit der Lehrmeinung Delbrücks ganz und gar nicht verträglichen Satz,
daß sich gegenüber Staaten, die ihre Tarife zum Nachteil der deutschen Ausfuhr
erhöhen, nichts andres erübrige, als Repressalien zu nehmen. Am 27. Juni 1876
stellte er auch tatsächlich für den Fall österreichischer Zollerhöhungen deutsche
Repressalien in Aussicht. Ebenso wandte er am 19. Mai 1876 seine Auf¬
merksamkeit der das wirtschaftliche Interesse schädigenden Exportbonifikation
für Zucker zu. Am 6. Juli 1876 läßt er dem Reichskanzleramt eine schutz-
zöllnerische Eingabe aus Weberkreisen zum Berichte zugehn. Am 25. Juli
will er, daß eine Petition des Vereins der rheinisch-westfälische» Industrie um
Schutzzölle zu den Akten genommen werde.

Wesentlichen Einfluß im schutzzöllnerischcn Sinne übte von jetzt ab auf
Bismarck der Geheime Rat im preußischen Staatsministerium (später Reichs¬
kanzlei) von Tiedemann, der uns versichert, der Chef habe sich im August 1876
lebhaft für zwei Denkschriften interessiert, von denen die eine die Beibehaltung
der Eisenzölle, die andre Einhalt auf der Bahn des radikalen Freihandels
verlangte. In demselben Monat wird er sich darüber klar, daß unter der
Herrschaft des Gesetzes vom 7. Juli 1873, das die Eisenzölle vom 1. Januar 1877
aufhob, jeder Versuch, durch Überlegung oder Darlegung wirtschaftlicher Grund¬
sätze Zollkonzessionen von Österreich oder Frankreich zu erlangen, fruchtlos
bleiben werde, solange er nicht durch Versprechung von Gegenkonzessionen
oder Androhung von Nachteilen unterstützt werde.*) In dem Jmmediatbericht
vom 9. Oktober 1876 verdichtet sich seine Auffassung schon zu positiven Vor¬
schlägen. Er verlangt höhere Zölle gegenüber Frankreich auf Wein, Eisen
und Pariser Artikel. Der Übervorteilung durch die ^.vario Ä oantion könne
Deutschland nur durch wirkliche Repressalien ein Ende machen.

Das Staatsministerium spricht sich am 24. Oktober 1876 einstimmig
gegen die Sistierung des Gesetzes wegen Freigebung der Eisenzölle ab
1. Januar 1877 aus. Bismarck wohnt der Sitzung nicht bei. Die nord¬
deutsche Allgemeine Zeitung erklärt aber, das Staatsministerium habe sich bei
seiner einstimmigen Ansicht der Zustimmung des in Varzin weilenden Minister¬
präsidenten versichert halten dürfen.

17. November 1876. Bismarck nimmt den am 7. September 1876 an
den Reichstag gelangten Gesetzentwurf betreffend die Erhebung von Aus¬
gleichungsabgaben nur als eine „Abschlagszahlung" hin.**)

3. Dezember 1876. Bismarck droht der russischen Regierung für den
Fall, daß es durch seine Maßregeln die gedeihliche Entwicklung der deutschen
Handelsinteressen fortgesetzt schädigt, Netorsionszölle an. Mit dieser Ankündigung
will er aber noch nicht gesagt haben, daß er sich von den Grundlagen des




*) Ebenso in der Reichstagsrede vom 7. Dezember 1876.
*) Ebenso in der Reichstagsrede vom 12. Dezember 1876.
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[0350] U)le Bismarck Schutzzöllner wurde Staatssekretär von Bülow mitgeteilten Promemoria vom 13. Oktober 1875 den mit der Lehrmeinung Delbrücks ganz und gar nicht verträglichen Satz, daß sich gegenüber Staaten, die ihre Tarife zum Nachteil der deutschen Ausfuhr erhöhen, nichts andres erübrige, als Repressalien zu nehmen. Am 27. Juni 1876 stellte er auch tatsächlich für den Fall österreichischer Zollerhöhungen deutsche Repressalien in Aussicht. Ebenso wandte er am 19. Mai 1876 seine Auf¬ merksamkeit der das wirtschaftliche Interesse schädigenden Exportbonifikation für Zucker zu. Am 6. Juli 1876 läßt er dem Reichskanzleramt eine schutz- zöllnerische Eingabe aus Weberkreisen zum Berichte zugehn. Am 25. Juli will er, daß eine Petition des Vereins der rheinisch-westfälische» Industrie um Schutzzölle zu den Akten genommen werde. Wesentlichen Einfluß im schutzzöllnerischcn Sinne übte von jetzt ab auf Bismarck der Geheime Rat im preußischen Staatsministerium (später Reichs¬ kanzlei) von Tiedemann, der uns versichert, der Chef habe sich im August 1876 lebhaft für zwei Denkschriften interessiert, von denen die eine die Beibehaltung der Eisenzölle, die andre Einhalt auf der Bahn des radikalen Freihandels verlangte. In demselben Monat wird er sich darüber klar, daß unter der Herrschaft des Gesetzes vom 7. Juli 1873, das die Eisenzölle vom 1. Januar 1877 aufhob, jeder Versuch, durch Überlegung oder Darlegung wirtschaftlicher Grund¬ sätze Zollkonzessionen von Österreich oder Frankreich zu erlangen, fruchtlos bleiben werde, solange er nicht durch Versprechung von Gegenkonzessionen oder Androhung von Nachteilen unterstützt werde.*) In dem Jmmediatbericht vom 9. Oktober 1876 verdichtet sich seine Auffassung schon zu positiven Vor¬ schlägen. Er verlangt höhere Zölle gegenüber Frankreich auf Wein, Eisen und Pariser Artikel. Der Übervorteilung durch die ^.vario Ä oantion könne Deutschland nur durch wirkliche Repressalien ein Ende machen. Das Staatsministerium spricht sich am 24. Oktober 1876 einstimmig gegen die Sistierung des Gesetzes wegen Freigebung der Eisenzölle ab 1. Januar 1877 aus. Bismarck wohnt der Sitzung nicht bei. Die nord¬ deutsche Allgemeine Zeitung erklärt aber, das Staatsministerium habe sich bei seiner einstimmigen Ansicht der Zustimmung des in Varzin weilenden Minister¬ präsidenten versichert halten dürfen. 17. November 1876. Bismarck nimmt den am 7. September 1876 an den Reichstag gelangten Gesetzentwurf betreffend die Erhebung von Aus¬ gleichungsabgaben nur als eine „Abschlagszahlung" hin.**) 3. Dezember 1876. Bismarck droht der russischen Regierung für den Fall, daß es durch seine Maßregeln die gedeihliche Entwicklung der deutschen Handelsinteressen fortgesetzt schädigt, Netorsionszölle an. Mit dieser Ankündigung will er aber noch nicht gesagt haben, daß er sich von den Grundlagen des *) Ebenso in der Reichstagsrede vom 7. Dezember 1876. *) Ebenso in der Reichstagsrede vom 12. Dezember 1876.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/350>, abgerufen am 24.07.2024.