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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Line Lapplandfahrt zur Winterszeit

So fuhr ich denn mit meinem mongolischen Begleiter Stunde auf Stunde
in einem Schweigen dahin, das die Totenstille der Umgebung noch fühlbarer
machte und zum Ernste der Landschaft auf denselben Ton gestimmt war. Als
endlich der nur durch eine Skispur kenntliche Weg in ein Tal führte, um
dort einen lichtern Hain zu durchmessen, trug mir ein Windhauch den be¬
sondern und wohl in schlummernder Erinnerung an alte Menschheitszustände
so anheimelnden Geruch frischen Holzfeuers zu -- da mußte es zu bewohnten
Stätten gehn! Richtig, bald darauf schlugen Hunde an. die gleich darauf in
Gestalt zottiger, fahlgelber Spitze unser Gefährt umkläfften; zwischen den
Bäumen wurden kegelförmige Zelte sichtbar, aus denen seltsame Leute nach
dem ungewohnten Besuch auslugten: ich war bei den Lappen. Vorderhand
durcheilten wir jedoch das kleine Lager ohne anzuhalten, denn Unser nächstes
Ziel war die finnische Ansiedlung Sävovuoma, die noch einige Kilometer
hinter jener auf einer seebekrönten Hochebene lag. Sie stellte sich als eine
Gruppe von fünf oder sechs Blockhäusern dar, zwischen denen kleine, auf
Pfählen errichtete Speicher und Trockengerüste für Fischnetze standen. Der
Schlitten hielt vor dem sozusagen stattlichsten, dem Holzhauer und Krämer
Jonas Larsson gehörend, an den ich einen Empfehlungsbrief bei mir führte,
nebst einen an den "Lappmann Per Persson Suonni" gerichteten. Nachdem
der Hausvater mit einiger Mühe den Brief gelesen hatte, machte das erste
Befremden über die unerhörte Ankunft eines Reisenden der schwedischen Gast¬
lichkeit Platz; es wurde alsbald Feuer in der eisernen Kochmaschine des
Fremdenzimmers entfacht -- das ganze Haus bestand nur aus zwei Räumen --
und der jede Einkehr begrüßende Kaffee bereitet, mit dem ich mein Mittags¬
mahl aus angenommnen Brot, Wurst und Speck würzte. Wie vorauszusehen,
ging der schwedische Sprachschatz dieser Hinterwäldler nicht über ein halb Dutzend
Worte hinaus, und auch von den übrigen, ans Finnen und wenigen privati¬
sierenden Lappen bestehenden Einwohnern schien ich keine Hilfe erwarten zu
dürfen. Mittlerweile stellte sich zwar der Adressat des andern Schreibens ein,
doch schüttelte auch er aus meine Anrede zunächst verlegen den Kopf; als ihm
aber der Wirt den Brief vorgelesen hatte, erklärte er nach einigem Zögern,
daß er norwegisch könne. Nun war mir geholfen, denn die skandinavischen
Nachbarsprachen sind fürs Ohr nicht so verschieden, als daß sie nicht im Not¬
falle als Verständigungsmittel dienen könnten. Obwohl freilich mein lappischer
Freund noch weniger vom Norwegischen los hatte als ich vom Schwedischen
-- trotz Norbotten-Knrir --, richteten wir uns doch bald ganz trefflich auf
das beiderseitige haarsträubende Kauderwelsch ein, Und der alte lebhafte
Bursche war nicht wenig stolz darauf, dem "Professor Saxonia" als Dragoman
zu dienen.

Geleitet von dem auf Skier voranschlitternden Suonni und mehreren
Hunden/ für die meine Fellstiefel ein Gegenstand andauernder, schnüffelnder
Neugierde blieben, machte ich mich bald wieder auf den Weg zum Lappen-


Line Lapplandfahrt zur Winterszeit

So fuhr ich denn mit meinem mongolischen Begleiter Stunde auf Stunde
in einem Schweigen dahin, das die Totenstille der Umgebung noch fühlbarer
machte und zum Ernste der Landschaft auf denselben Ton gestimmt war. Als
endlich der nur durch eine Skispur kenntliche Weg in ein Tal führte, um
dort einen lichtern Hain zu durchmessen, trug mir ein Windhauch den be¬
sondern und wohl in schlummernder Erinnerung an alte Menschheitszustände
so anheimelnden Geruch frischen Holzfeuers zu — da mußte es zu bewohnten
Stätten gehn! Richtig, bald darauf schlugen Hunde an. die gleich darauf in
Gestalt zottiger, fahlgelber Spitze unser Gefährt umkläfften; zwischen den
Bäumen wurden kegelförmige Zelte sichtbar, aus denen seltsame Leute nach
dem ungewohnten Besuch auslugten: ich war bei den Lappen. Vorderhand
durcheilten wir jedoch das kleine Lager ohne anzuhalten, denn Unser nächstes
Ziel war die finnische Ansiedlung Sävovuoma, die noch einige Kilometer
hinter jener auf einer seebekrönten Hochebene lag. Sie stellte sich als eine
Gruppe von fünf oder sechs Blockhäusern dar, zwischen denen kleine, auf
Pfählen errichtete Speicher und Trockengerüste für Fischnetze standen. Der
Schlitten hielt vor dem sozusagen stattlichsten, dem Holzhauer und Krämer
Jonas Larsson gehörend, an den ich einen Empfehlungsbrief bei mir führte,
nebst einen an den „Lappmann Per Persson Suonni" gerichteten. Nachdem
der Hausvater mit einiger Mühe den Brief gelesen hatte, machte das erste
Befremden über die unerhörte Ankunft eines Reisenden der schwedischen Gast¬
lichkeit Platz; es wurde alsbald Feuer in der eisernen Kochmaschine des
Fremdenzimmers entfacht — das ganze Haus bestand nur aus zwei Räumen —
und der jede Einkehr begrüßende Kaffee bereitet, mit dem ich mein Mittags¬
mahl aus angenommnen Brot, Wurst und Speck würzte. Wie vorauszusehen,
ging der schwedische Sprachschatz dieser Hinterwäldler nicht über ein halb Dutzend
Worte hinaus, und auch von den übrigen, ans Finnen und wenigen privati¬
sierenden Lappen bestehenden Einwohnern schien ich keine Hilfe erwarten zu
dürfen. Mittlerweile stellte sich zwar der Adressat des andern Schreibens ein,
doch schüttelte auch er aus meine Anrede zunächst verlegen den Kopf; als ihm
aber der Wirt den Brief vorgelesen hatte, erklärte er nach einigem Zögern,
daß er norwegisch könne. Nun war mir geholfen, denn die skandinavischen
Nachbarsprachen sind fürs Ohr nicht so verschieden, als daß sie nicht im Not¬
falle als Verständigungsmittel dienen könnten. Obwohl freilich mein lappischer
Freund noch weniger vom Norwegischen los hatte als ich vom Schwedischen
— trotz Norbotten-Knrir —, richteten wir uns doch bald ganz trefflich auf
das beiderseitige haarsträubende Kauderwelsch ein, Und der alte lebhafte
Bursche war nicht wenig stolz darauf, dem „Professor Saxonia" als Dragoman
zu dienen.

Geleitet von dem auf Skier voranschlitternden Suonni und mehreren
Hunden/ für die meine Fellstiefel ein Gegenstand andauernder, schnüffelnder
Neugierde blieben, machte ich mich bald wieder auf den Weg zum Lappen-


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[0035] Line Lapplandfahrt zur Winterszeit So fuhr ich denn mit meinem mongolischen Begleiter Stunde auf Stunde in einem Schweigen dahin, das die Totenstille der Umgebung noch fühlbarer machte und zum Ernste der Landschaft auf denselben Ton gestimmt war. Als endlich der nur durch eine Skispur kenntliche Weg in ein Tal führte, um dort einen lichtern Hain zu durchmessen, trug mir ein Windhauch den be¬ sondern und wohl in schlummernder Erinnerung an alte Menschheitszustände so anheimelnden Geruch frischen Holzfeuers zu — da mußte es zu bewohnten Stätten gehn! Richtig, bald darauf schlugen Hunde an. die gleich darauf in Gestalt zottiger, fahlgelber Spitze unser Gefährt umkläfften; zwischen den Bäumen wurden kegelförmige Zelte sichtbar, aus denen seltsame Leute nach dem ungewohnten Besuch auslugten: ich war bei den Lappen. Vorderhand durcheilten wir jedoch das kleine Lager ohne anzuhalten, denn Unser nächstes Ziel war die finnische Ansiedlung Sävovuoma, die noch einige Kilometer hinter jener auf einer seebekrönten Hochebene lag. Sie stellte sich als eine Gruppe von fünf oder sechs Blockhäusern dar, zwischen denen kleine, auf Pfählen errichtete Speicher und Trockengerüste für Fischnetze standen. Der Schlitten hielt vor dem sozusagen stattlichsten, dem Holzhauer und Krämer Jonas Larsson gehörend, an den ich einen Empfehlungsbrief bei mir führte, nebst einen an den „Lappmann Per Persson Suonni" gerichteten. Nachdem der Hausvater mit einiger Mühe den Brief gelesen hatte, machte das erste Befremden über die unerhörte Ankunft eines Reisenden der schwedischen Gast¬ lichkeit Platz; es wurde alsbald Feuer in der eisernen Kochmaschine des Fremdenzimmers entfacht — das ganze Haus bestand nur aus zwei Räumen — und der jede Einkehr begrüßende Kaffee bereitet, mit dem ich mein Mittags¬ mahl aus angenommnen Brot, Wurst und Speck würzte. Wie vorauszusehen, ging der schwedische Sprachschatz dieser Hinterwäldler nicht über ein halb Dutzend Worte hinaus, und auch von den übrigen, ans Finnen und wenigen privati¬ sierenden Lappen bestehenden Einwohnern schien ich keine Hilfe erwarten zu dürfen. Mittlerweile stellte sich zwar der Adressat des andern Schreibens ein, doch schüttelte auch er aus meine Anrede zunächst verlegen den Kopf; als ihm aber der Wirt den Brief vorgelesen hatte, erklärte er nach einigem Zögern, daß er norwegisch könne. Nun war mir geholfen, denn die skandinavischen Nachbarsprachen sind fürs Ohr nicht so verschieden, als daß sie nicht im Not¬ falle als Verständigungsmittel dienen könnten. Obwohl freilich mein lappischer Freund noch weniger vom Norwegischen los hatte als ich vom Schwedischen — trotz Norbotten-Knrir —, richteten wir uns doch bald ganz trefflich auf das beiderseitige haarsträubende Kauderwelsch ein, Und der alte lebhafte Bursche war nicht wenig stolz darauf, dem „Professor Saxonia" als Dragoman zu dienen. Geleitet von dem auf Skier voranschlitternden Suonni und mehreren Hunden/ für die meine Fellstiefel ein Gegenstand andauernder, schnüffelnder Neugierde blieben, machte ich mich bald wieder auf den Weg zum Lappen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/35>, abgerufen am 24.07.2024.