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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Szenische Ausstattung

glauben macht, verursacht sie nicht. Wie Recht Recht bleibt, so bleibt auch Blech
Blech. Die Frage liegt nahe: haben die Herrn Bühnenleiter, wenn in der
Jungfrau auch für ihr Ohr des Blechs zuviel war, es nicht versucht, alle Panzer
und Bein- wie Armschienen, desgleichen auch die Schilde inwendig mit einem
billigen Wollstoff auskleben zu lassen? Sie würden Wunder erleben, wenn sie
es versuchten.

Man würde sich schweren Undanks schuldig machen, wenn man hier, wo
von Kostümen und Requisiten die Rede ist, nicht der Meininger rühmend ge¬
denken wollte. Auch was Ausstattung anlangt, kommen ihre außerordentlichen
Leistungen namentlich für das klassische Drama in Betracht, und was wir in
Deutschland auf diesem Gebiete seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
für Fortschritte gemacht haben, verdanken wir ihnen in allererster Reihe. Sie
sind unsre Lehrmeister gewesen, und wie sich das auch im großen zwischen Völkern
zuträgt, so pflegt früher oder später der Augenblick zu kommen, wo der Schüler
genug gelernt zu haben glaubt, um selbständig zu gehen, und wo er des bis¬
herigen Lehrmeisters meinten zu können meint. Mit diesem Gefühl des Frei¬
gesprochenseins, für das Goethe dem Baccalaureus so bezeichnende Worte in den
Mund legt, pflegt eine Art von Kritik des Geforderten an dem Lehrmeister
Hand in Hand zu gehen, die leicht einen häßlichen Beigeschmack von Undank¬
barkeit hat. Die Meininger haben das nicht um uns verdient, und wenn es hat
scheinen können, als sei von ihnen mitunter zu großer Wert auf das Beiwerk
gelegt worden, so kann der unparteiisch urteilende nicht umhin, anzuerkennen, daß
sie in solchen Fällen immer selbst die ersten gewesen sind, die die Gefahr bemerkt
und sich bemüht haben, wieder in das rechte Gleis einzulenken. Jede prinzipielle
Neuerung läuft Gefahr, sich einseitig durchsetzen zu wollen, und es ist ein Beweis
für das seine Kunstverständnis der gesamten Leitung, daß man sich im großen
und ganzen von dem so verführerischen Verfallen in Manieriertheit freizuhalten
gewußt hat/

Über dreierlei besondre Bühnen habe ich mich wohlweislich allsgeschwiegen:
über die Bayreuther, über die Münchner Drehbühne und über die Münchner
Künstlerbühnc. Wagner und Bayreuth gehören anerkanntermaßen in ein besondres
Kapitel für sich, und die Drehbühne ist nicht mein Fall. So etwas ist Ge¬
schmacksache. Ich habe auf ihr nur eine Vorstellung, die des Don Juan gesehen,
und für diese kommt sie mir zu klein, zu beengt vor. Das Fest, das Don Juan
den Landleuten gibt, und zu dem sich Don Ottavio mit seinen Damen halb und
halb selbst einladet, muß, weil es gar zu sehr an Platz fehlt, dem, der an große
Bühnenräume gewöhnt ist, geradezu einen bedrückenden Eindruck machen. Der
Wechsel des Schauplatzes freilich vollzieht sich mit erfreulichsten Gelingen, und
auch das habe ich mir vorzuhalten gesucht, daß der Don Juan auf Bühnen von
sehr beschränkter Größe wiederholt wahre Musteraufführungen erlebt hat. Es
hilft alles nichts: ich muß das Lob der Drehbühne von andern singen lassen.

Von dem Künstlertheater schweige ich am besten bescheidentlich, denn was
einer nicht gesehen hat, darüber kann er nicht urteilen. Ich kann mich irren,


Szenische Ausstattung

glauben macht, verursacht sie nicht. Wie Recht Recht bleibt, so bleibt auch Blech
Blech. Die Frage liegt nahe: haben die Herrn Bühnenleiter, wenn in der
Jungfrau auch für ihr Ohr des Blechs zuviel war, es nicht versucht, alle Panzer
und Bein- wie Armschienen, desgleichen auch die Schilde inwendig mit einem
billigen Wollstoff auskleben zu lassen? Sie würden Wunder erleben, wenn sie
es versuchten.

Man würde sich schweren Undanks schuldig machen, wenn man hier, wo
von Kostümen und Requisiten die Rede ist, nicht der Meininger rühmend ge¬
denken wollte. Auch was Ausstattung anlangt, kommen ihre außerordentlichen
Leistungen namentlich für das klassische Drama in Betracht, und was wir in
Deutschland auf diesem Gebiete seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
für Fortschritte gemacht haben, verdanken wir ihnen in allererster Reihe. Sie
sind unsre Lehrmeister gewesen, und wie sich das auch im großen zwischen Völkern
zuträgt, so pflegt früher oder später der Augenblick zu kommen, wo der Schüler
genug gelernt zu haben glaubt, um selbständig zu gehen, und wo er des bis¬
herigen Lehrmeisters meinten zu können meint. Mit diesem Gefühl des Frei¬
gesprochenseins, für das Goethe dem Baccalaureus so bezeichnende Worte in den
Mund legt, pflegt eine Art von Kritik des Geforderten an dem Lehrmeister
Hand in Hand zu gehen, die leicht einen häßlichen Beigeschmack von Undank¬
barkeit hat. Die Meininger haben das nicht um uns verdient, und wenn es hat
scheinen können, als sei von ihnen mitunter zu großer Wert auf das Beiwerk
gelegt worden, so kann der unparteiisch urteilende nicht umhin, anzuerkennen, daß
sie in solchen Fällen immer selbst die ersten gewesen sind, die die Gefahr bemerkt
und sich bemüht haben, wieder in das rechte Gleis einzulenken. Jede prinzipielle
Neuerung läuft Gefahr, sich einseitig durchsetzen zu wollen, und es ist ein Beweis
für das seine Kunstverständnis der gesamten Leitung, daß man sich im großen
und ganzen von dem so verführerischen Verfallen in Manieriertheit freizuhalten
gewußt hat/

Über dreierlei besondre Bühnen habe ich mich wohlweislich allsgeschwiegen:
über die Bayreuther, über die Münchner Drehbühne und über die Münchner
Künstlerbühnc. Wagner und Bayreuth gehören anerkanntermaßen in ein besondres
Kapitel für sich, und die Drehbühne ist nicht mein Fall. So etwas ist Ge¬
schmacksache. Ich habe auf ihr nur eine Vorstellung, die des Don Juan gesehen,
und für diese kommt sie mir zu klein, zu beengt vor. Das Fest, das Don Juan
den Landleuten gibt, und zu dem sich Don Ottavio mit seinen Damen halb und
halb selbst einladet, muß, weil es gar zu sehr an Platz fehlt, dem, der an große
Bühnenräume gewöhnt ist, geradezu einen bedrückenden Eindruck machen. Der
Wechsel des Schauplatzes freilich vollzieht sich mit erfreulichsten Gelingen, und
auch das habe ich mir vorzuhalten gesucht, daß der Don Juan auf Bühnen von
sehr beschränkter Größe wiederholt wahre Musteraufführungen erlebt hat. Es
hilft alles nichts: ich muß das Lob der Drehbühne von andern singen lassen.

Von dem Künstlertheater schweige ich am besten bescheidentlich, denn was
einer nicht gesehen hat, darüber kann er nicht urteilen. Ich kann mich irren,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/332>, abgerufen am 24.07.2024.