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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Szenische Ausstattung

Schuft der an der körperlichen Wirklichkeit Gefallen findenden Zeit --, so setze
man ihn so weit vor ins Proszenium als möglich: er wird da gerade die gegen¬
teilige vorteilhafte Wirkung üben: das Auge wird an dem festen Körper vorbei
mit Wohlbehagen in den sich nach der Tiefe des Theaters erstreckenden Raum
blicken, der ihm infolge des malerischen Kunstgriffs tiefer erscheint, als er wirklich
ist, und die Illusion, die in jenem Falle gestört wurde, wird in diesem erhöht.

Zum Beweis dafür, daß das so ist, braucht nur an die Schlachtenpanoramen
erinnert zu werden, bei denen ganz nach demselben Prinzip dem Zuschauer im
Vordergrunde geschickt gruppiertes Körperliches gezeigt wird, damit sein Auge,
das Körperliche, wie zum Beispiel zerschossene Lafetten, als Leichname aufgeputzte
Puppen, halb eingestürztes Mauerwerk zum Ausgang nehmend, von da aus,
getäuscht und gläubig, in die ihm vorgespiegelte Ferne blicke. Den zwischen
dem Körperlichen und der bemalten Leinwand freigelassenen grabenartigen Raum
füllt die Phantasie des Beschauers, ohne daß er sich dessen bewußt wird, mit
einer Ebene von entsprechender Ausdehnung aus, an die sich dann das auf der
Leinwand der Peripherie dargestellte befriedigend anschließt.

Teppich, über das ganze Podium gespanntes grünes Tuch ist ein schöner,
aber teurer und, da dergleichen Teppiche häufig bald aufgenommen, bald frisch
gelegt werden müssen, für das Bühnenhilfspersonal etwas unbequemer Luxus.
Er kommt namentlich für die Zuschauer, deren Plätze höher liegen als das
Podium, und die deshalb darauf herabschauen, dem Bühnenbild sehr zustatten,
und er dämpft das Geräusch der Tritte, das namentlich wenn Männer oder
korpulente Schauspielerinnen im Affekt über die Bühne stürmen, leicht lästig und
geradezu lächerlich werden kann. Die trvmmelartige Resonanz des Podiums
fällt je nach dessen mehr oder weniger gelungner Konstruktion bald mehr bald
weniger auf: ich könnte Bühnen nennen, bei denen sie so gut wie gar nicht
vorhanden ist.

Im allgemeinen kann man aber wohl sagen, daß die Bühnenleitungen auf
das Ohr des Zuschauers weniger Rücksicht zu nehmen Pflegen als auf sein Auge.
Von dem Helfer aus der Not in seinem Strandkorbe spreche ich hier nicht:
wenn sein Orösoeuäo auch für das Publikum hörbar wird, so ist meist nicht er
daran schuld, sondern der mit dem Wortlaut seiner Rolle nicht genügend ver¬
traute Schauspieler: was ich meine, sind andre störende Geräusche, die meist mit
etwas Vorsicht und gutem Willen vermieden werden könnten.

Gerade bei sehr gewissenhaften und im modernen Sinn geschichtlich treuen
Ausstattungen der Jungfrau von Orleans zum Beispiel wird gewiß den meisten
Zuschauern das sonderbare Geräusch lustig geworden sein, das in Blechrüstungen
gehüllte Schauspieler um so schwerer vermeiden können, je mehr sie darauf
Obacht zu geben haben, daß ihre Bewegungen in der ungewohnten Rüstung
nicht etwas Marionettenhaftes bekommen. Die echte aus der Ritterzeit stammende
Rüstung ist zwar ohne Zweifel schwerer und hemmt die freie Bewegung des
Körpers noch mehr als das leichtere Blech, aber das vordringliche, hohl klappernde
Geräusch, das an einen Kampf zwischen den, Ofenschirm und dem Kohlenständer


Szenische Ausstattung

Schuft der an der körperlichen Wirklichkeit Gefallen findenden Zeit —, so setze
man ihn so weit vor ins Proszenium als möglich: er wird da gerade die gegen¬
teilige vorteilhafte Wirkung üben: das Auge wird an dem festen Körper vorbei
mit Wohlbehagen in den sich nach der Tiefe des Theaters erstreckenden Raum
blicken, der ihm infolge des malerischen Kunstgriffs tiefer erscheint, als er wirklich
ist, und die Illusion, die in jenem Falle gestört wurde, wird in diesem erhöht.

Zum Beweis dafür, daß das so ist, braucht nur an die Schlachtenpanoramen
erinnert zu werden, bei denen ganz nach demselben Prinzip dem Zuschauer im
Vordergrunde geschickt gruppiertes Körperliches gezeigt wird, damit sein Auge,
das Körperliche, wie zum Beispiel zerschossene Lafetten, als Leichname aufgeputzte
Puppen, halb eingestürztes Mauerwerk zum Ausgang nehmend, von da aus,
getäuscht und gläubig, in die ihm vorgespiegelte Ferne blicke. Den zwischen
dem Körperlichen und der bemalten Leinwand freigelassenen grabenartigen Raum
füllt die Phantasie des Beschauers, ohne daß er sich dessen bewußt wird, mit
einer Ebene von entsprechender Ausdehnung aus, an die sich dann das auf der
Leinwand der Peripherie dargestellte befriedigend anschließt.

Teppich, über das ganze Podium gespanntes grünes Tuch ist ein schöner,
aber teurer und, da dergleichen Teppiche häufig bald aufgenommen, bald frisch
gelegt werden müssen, für das Bühnenhilfspersonal etwas unbequemer Luxus.
Er kommt namentlich für die Zuschauer, deren Plätze höher liegen als das
Podium, und die deshalb darauf herabschauen, dem Bühnenbild sehr zustatten,
und er dämpft das Geräusch der Tritte, das namentlich wenn Männer oder
korpulente Schauspielerinnen im Affekt über die Bühne stürmen, leicht lästig und
geradezu lächerlich werden kann. Die trvmmelartige Resonanz des Podiums
fällt je nach dessen mehr oder weniger gelungner Konstruktion bald mehr bald
weniger auf: ich könnte Bühnen nennen, bei denen sie so gut wie gar nicht
vorhanden ist.

Im allgemeinen kann man aber wohl sagen, daß die Bühnenleitungen auf
das Ohr des Zuschauers weniger Rücksicht zu nehmen Pflegen als auf sein Auge.
Von dem Helfer aus der Not in seinem Strandkorbe spreche ich hier nicht:
wenn sein Orösoeuäo auch für das Publikum hörbar wird, so ist meist nicht er
daran schuld, sondern der mit dem Wortlaut seiner Rolle nicht genügend ver¬
traute Schauspieler: was ich meine, sind andre störende Geräusche, die meist mit
etwas Vorsicht und gutem Willen vermieden werden könnten.

Gerade bei sehr gewissenhaften und im modernen Sinn geschichtlich treuen
Ausstattungen der Jungfrau von Orleans zum Beispiel wird gewiß den meisten
Zuschauern das sonderbare Geräusch lustig geworden sein, das in Blechrüstungen
gehüllte Schauspieler um so schwerer vermeiden können, je mehr sie darauf
Obacht zu geben haben, daß ihre Bewegungen in der ungewohnten Rüstung
nicht etwas Marionettenhaftes bekommen. Die echte aus der Ritterzeit stammende
Rüstung ist zwar ohne Zweifel schwerer und hemmt die freie Bewegung des
Körpers noch mehr als das leichtere Blech, aber das vordringliche, hohl klappernde
Geräusch, das an einen Kampf zwischen den, Ofenschirm und dem Kohlenständer


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[0331] Szenische Ausstattung Schuft der an der körperlichen Wirklichkeit Gefallen findenden Zeit —, so setze man ihn so weit vor ins Proszenium als möglich: er wird da gerade die gegen¬ teilige vorteilhafte Wirkung üben: das Auge wird an dem festen Körper vorbei mit Wohlbehagen in den sich nach der Tiefe des Theaters erstreckenden Raum blicken, der ihm infolge des malerischen Kunstgriffs tiefer erscheint, als er wirklich ist, und die Illusion, die in jenem Falle gestört wurde, wird in diesem erhöht. Zum Beweis dafür, daß das so ist, braucht nur an die Schlachtenpanoramen erinnert zu werden, bei denen ganz nach demselben Prinzip dem Zuschauer im Vordergrunde geschickt gruppiertes Körperliches gezeigt wird, damit sein Auge, das Körperliche, wie zum Beispiel zerschossene Lafetten, als Leichname aufgeputzte Puppen, halb eingestürztes Mauerwerk zum Ausgang nehmend, von da aus, getäuscht und gläubig, in die ihm vorgespiegelte Ferne blicke. Den zwischen dem Körperlichen und der bemalten Leinwand freigelassenen grabenartigen Raum füllt die Phantasie des Beschauers, ohne daß er sich dessen bewußt wird, mit einer Ebene von entsprechender Ausdehnung aus, an die sich dann das auf der Leinwand der Peripherie dargestellte befriedigend anschließt. Teppich, über das ganze Podium gespanntes grünes Tuch ist ein schöner, aber teurer und, da dergleichen Teppiche häufig bald aufgenommen, bald frisch gelegt werden müssen, für das Bühnenhilfspersonal etwas unbequemer Luxus. Er kommt namentlich für die Zuschauer, deren Plätze höher liegen als das Podium, und die deshalb darauf herabschauen, dem Bühnenbild sehr zustatten, und er dämpft das Geräusch der Tritte, das namentlich wenn Männer oder korpulente Schauspielerinnen im Affekt über die Bühne stürmen, leicht lästig und geradezu lächerlich werden kann. Die trvmmelartige Resonanz des Podiums fällt je nach dessen mehr oder weniger gelungner Konstruktion bald mehr bald weniger auf: ich könnte Bühnen nennen, bei denen sie so gut wie gar nicht vorhanden ist. Im allgemeinen kann man aber wohl sagen, daß die Bühnenleitungen auf das Ohr des Zuschauers weniger Rücksicht zu nehmen Pflegen als auf sein Auge. Von dem Helfer aus der Not in seinem Strandkorbe spreche ich hier nicht: wenn sein Orösoeuäo auch für das Publikum hörbar wird, so ist meist nicht er daran schuld, sondern der mit dem Wortlaut seiner Rolle nicht genügend ver¬ traute Schauspieler: was ich meine, sind andre störende Geräusche, die meist mit etwas Vorsicht und gutem Willen vermieden werden könnten. Gerade bei sehr gewissenhaften und im modernen Sinn geschichtlich treuen Ausstattungen der Jungfrau von Orleans zum Beispiel wird gewiß den meisten Zuschauern das sonderbare Geräusch lustig geworden sein, das in Blechrüstungen gehüllte Schauspieler um so schwerer vermeiden können, je mehr sie darauf Obacht zu geben haben, daß ihre Bewegungen in der ungewohnten Rüstung nicht etwas Marionettenhaftes bekommen. Die echte aus der Ritterzeit stammende Rüstung ist zwar ohne Zweifel schwerer und hemmt die freie Bewegung des Körpers noch mehr als das leichtere Blech, aber das vordringliche, hohl klappernde Geräusch, das an einen Kampf zwischen den, Ofenschirm und dem Kohlenständer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/331>, abgerufen am 24.07.2024.