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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Line Lapplandfahrt zur Winterszeit

Mittags mit dem Postschlitten nach dem etwa zwei Meilen nach Südosten
am Bergströme Torre-elf liegenden und von finnischen Ansiedlern bewohnten
Kirchdorfe Juckasjürvi, wo sich das Weitere finden sollte. Auf diese kleine
Forschungsreise möge mich der Leser begleiten!

Wir befinden uns auf der Fahrt in die lappländischen Einöden. Da
sich der Weg von Kirnna nach Juckasjürvi beständig senkt und jene Stadt
schon an der Baumgrenze liegt -- man denke sich, was es für gebildete
Städter heißt, im Sommer keinen Obstbaum oder blühenden Strauch, nur
struppige Birken und Kriechweiden vor sich zu haben --, so gelangt man
allmählich wieder in die Zone des Nadelwaldes, dessen gutgewachsnen Kiefern
nur der dichte Behang von rußschwarzen Bartflechten ein eigenartig schwer¬
mütiges Aussehen verleiht. Nach mehreren Stunden endlich, als ein scharfer
Wind selbst die warmen Renntierpelze zu durchdringen begann, verließ die
Schlittenspur den Wald und fuhr über ein weites, von Hügelketten begleitetes
Tal, dessen Sohle auffallend eben erschien. Wir kreuzten nämlich den zuge-
frornen Torre-elf, um auf dem jenseitigen Ufer das Finnendorf Juckasjürvi
zu erreiche". Es bestand aus ganz niedrigen Holzhäusern und Ställen, die in
Gruppen zu zweien und dreien weit zerstreute Gehöfte bildeten, während ab¬
seits eine an russische Bauweise anklingende und entsprechend bunt angestrichne
Holzkirche sichtbar wurde. Noch eine Strecke weiter stromabwärts lag als
mein Nachtquartier der Gasthof, ein Wort, das in Schweden den Begriff
Posthalterei in sich schließt, da der Besitzer von der Negierung verpflichtet
wird, für Reisende jederzeit Fuhrwerk zu feststehender Taxe zu beschaffen;
außerdem kann man in jedem solchen "Güstgifvaregaard" Unterkunft finden.

Als schon die Abenddämmerung hereinbrach, schälte ich mich aus meinen
Hüllen und entlohnte den zottigen Postillion, der sich für das bescheidne Trink¬
geld in althergebrachter Landesweise bedankte, indem er die Mütze abnahm
und, mir treuherzig ins Auge blickend, meine Hand schüttelte. Währenddes
wurden ohne weitere Aufforderung zwei aneinanderstoßende Gastzimmer für
mich hergerichtet und in dem mächtigen Kachelofen ein prasselndes Holzfeuer
angefacht. Der Raum war mit ländlicher Einfachheit, aber peinlich sauber
ausgestattet, und auch die Herrichtung der Mahlzeiten ließ in diesem ver¬
lassenen Winkel alles weit hinter sich, was man in deutschen Dorfwirtshäusern
zu erwarten hätte. Nur das Bett machte mir durch seine unglaubliche
Schmalheit Sorge vor nächtlichem Herausfallen, die jedoch der Wirt durch
den Nachweis zerstreute, daß sich die Bettstatt durch Ausziehen auf das üb¬
liche Format verbreitern ließ.

Es war wieder einer der klaren Morgen des nordischen Spätwinters,
dessen Kutte die vorhandne Luftfeuchtigkeit zu winzigen glitzernden Eisnadeln
verdichtete, als der neue Fuhrmann erschien, den mir der PostHalter auf
mehrere Tage als Begleiter und Dolmetscher bei den Lappen besorgt hatte.
Es war ein ungewöhnlich großer und stattlicher Finne, über seinem Tuch-


Grenzboten IV 1909 4
Line Lapplandfahrt zur Winterszeit

Mittags mit dem Postschlitten nach dem etwa zwei Meilen nach Südosten
am Bergströme Torre-elf liegenden und von finnischen Ansiedlern bewohnten
Kirchdorfe Juckasjürvi, wo sich das Weitere finden sollte. Auf diese kleine
Forschungsreise möge mich der Leser begleiten!

Wir befinden uns auf der Fahrt in die lappländischen Einöden. Da
sich der Weg von Kirnna nach Juckasjürvi beständig senkt und jene Stadt
schon an der Baumgrenze liegt — man denke sich, was es für gebildete
Städter heißt, im Sommer keinen Obstbaum oder blühenden Strauch, nur
struppige Birken und Kriechweiden vor sich zu haben —, so gelangt man
allmählich wieder in die Zone des Nadelwaldes, dessen gutgewachsnen Kiefern
nur der dichte Behang von rußschwarzen Bartflechten ein eigenartig schwer¬
mütiges Aussehen verleiht. Nach mehreren Stunden endlich, als ein scharfer
Wind selbst die warmen Renntierpelze zu durchdringen begann, verließ die
Schlittenspur den Wald und fuhr über ein weites, von Hügelketten begleitetes
Tal, dessen Sohle auffallend eben erschien. Wir kreuzten nämlich den zuge-
frornen Torre-elf, um auf dem jenseitigen Ufer das Finnendorf Juckasjürvi
zu erreiche«. Es bestand aus ganz niedrigen Holzhäusern und Ställen, die in
Gruppen zu zweien und dreien weit zerstreute Gehöfte bildeten, während ab¬
seits eine an russische Bauweise anklingende und entsprechend bunt angestrichne
Holzkirche sichtbar wurde. Noch eine Strecke weiter stromabwärts lag als
mein Nachtquartier der Gasthof, ein Wort, das in Schweden den Begriff
Posthalterei in sich schließt, da der Besitzer von der Negierung verpflichtet
wird, für Reisende jederzeit Fuhrwerk zu feststehender Taxe zu beschaffen;
außerdem kann man in jedem solchen „Güstgifvaregaard" Unterkunft finden.

Als schon die Abenddämmerung hereinbrach, schälte ich mich aus meinen
Hüllen und entlohnte den zottigen Postillion, der sich für das bescheidne Trink¬
geld in althergebrachter Landesweise bedankte, indem er die Mütze abnahm
und, mir treuherzig ins Auge blickend, meine Hand schüttelte. Währenddes
wurden ohne weitere Aufforderung zwei aneinanderstoßende Gastzimmer für
mich hergerichtet und in dem mächtigen Kachelofen ein prasselndes Holzfeuer
angefacht. Der Raum war mit ländlicher Einfachheit, aber peinlich sauber
ausgestattet, und auch die Herrichtung der Mahlzeiten ließ in diesem ver¬
lassenen Winkel alles weit hinter sich, was man in deutschen Dorfwirtshäusern
zu erwarten hätte. Nur das Bett machte mir durch seine unglaubliche
Schmalheit Sorge vor nächtlichem Herausfallen, die jedoch der Wirt durch
den Nachweis zerstreute, daß sich die Bettstatt durch Ausziehen auf das üb¬
liche Format verbreitern ließ.

Es war wieder einer der klaren Morgen des nordischen Spätwinters,
dessen Kutte die vorhandne Luftfeuchtigkeit zu winzigen glitzernden Eisnadeln
verdichtete, als der neue Fuhrmann erschien, den mir der PostHalter auf
mehrere Tage als Begleiter und Dolmetscher bei den Lappen besorgt hatte.
Es war ein ungewöhnlich großer und stattlicher Finne, über seinem Tuch-


Grenzboten IV 1909 4
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[0033] Line Lapplandfahrt zur Winterszeit Mittags mit dem Postschlitten nach dem etwa zwei Meilen nach Südosten am Bergströme Torre-elf liegenden und von finnischen Ansiedlern bewohnten Kirchdorfe Juckasjürvi, wo sich das Weitere finden sollte. Auf diese kleine Forschungsreise möge mich der Leser begleiten! Wir befinden uns auf der Fahrt in die lappländischen Einöden. Da sich der Weg von Kirnna nach Juckasjürvi beständig senkt und jene Stadt schon an der Baumgrenze liegt — man denke sich, was es für gebildete Städter heißt, im Sommer keinen Obstbaum oder blühenden Strauch, nur struppige Birken und Kriechweiden vor sich zu haben —, so gelangt man allmählich wieder in die Zone des Nadelwaldes, dessen gutgewachsnen Kiefern nur der dichte Behang von rußschwarzen Bartflechten ein eigenartig schwer¬ mütiges Aussehen verleiht. Nach mehreren Stunden endlich, als ein scharfer Wind selbst die warmen Renntierpelze zu durchdringen begann, verließ die Schlittenspur den Wald und fuhr über ein weites, von Hügelketten begleitetes Tal, dessen Sohle auffallend eben erschien. Wir kreuzten nämlich den zuge- frornen Torre-elf, um auf dem jenseitigen Ufer das Finnendorf Juckasjürvi zu erreiche«. Es bestand aus ganz niedrigen Holzhäusern und Ställen, die in Gruppen zu zweien und dreien weit zerstreute Gehöfte bildeten, während ab¬ seits eine an russische Bauweise anklingende und entsprechend bunt angestrichne Holzkirche sichtbar wurde. Noch eine Strecke weiter stromabwärts lag als mein Nachtquartier der Gasthof, ein Wort, das in Schweden den Begriff Posthalterei in sich schließt, da der Besitzer von der Negierung verpflichtet wird, für Reisende jederzeit Fuhrwerk zu feststehender Taxe zu beschaffen; außerdem kann man in jedem solchen „Güstgifvaregaard" Unterkunft finden. Als schon die Abenddämmerung hereinbrach, schälte ich mich aus meinen Hüllen und entlohnte den zottigen Postillion, der sich für das bescheidne Trink¬ geld in althergebrachter Landesweise bedankte, indem er die Mütze abnahm und, mir treuherzig ins Auge blickend, meine Hand schüttelte. Währenddes wurden ohne weitere Aufforderung zwei aneinanderstoßende Gastzimmer für mich hergerichtet und in dem mächtigen Kachelofen ein prasselndes Holzfeuer angefacht. Der Raum war mit ländlicher Einfachheit, aber peinlich sauber ausgestattet, und auch die Herrichtung der Mahlzeiten ließ in diesem ver¬ lassenen Winkel alles weit hinter sich, was man in deutschen Dorfwirtshäusern zu erwarten hätte. Nur das Bett machte mir durch seine unglaubliche Schmalheit Sorge vor nächtlichem Herausfallen, die jedoch der Wirt durch den Nachweis zerstreute, daß sich die Bettstatt durch Ausziehen auf das üb¬ liche Format verbreitern ließ. Es war wieder einer der klaren Morgen des nordischen Spätwinters, dessen Kutte die vorhandne Luftfeuchtigkeit zu winzigen glitzernden Eisnadeln verdichtete, als der neue Fuhrmann erschien, den mir der PostHalter auf mehrere Tage als Begleiter und Dolmetscher bei den Lappen besorgt hatte. Es war ein ungewöhnlich großer und stattlicher Finne, über seinem Tuch- Grenzboten IV 1909 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/33>, abgerufen am 24.07.2024.