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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

Private und Behörden den König und die Regierung um Abwendung des doch
unvermeidlichen Krieges. Um und um drehte man im Westen die Noten der
Preußischen Bank im Zweifel, ob man sie in Zahlung nehmen solle. Man
hatte dort kein rechtes Vertrauen zum Ausgange des Kampfes und war doch
weit vom Schuß. Da waren es die Breslauer Gemeindebehörden, die sich über
den parteipolitischer Standpunkt hoch erhoben und in Adressen an den König
ihre mutige Begeisterung für Preußens Bestimmung aussprachen. Der damalige
Abgeordnete von Breslau, Oberbürgermeister a. D. Ziegler, ein in der Wolle
gefärbter Fortschrittsmann, fand das Wort, das in ganz Schlesien freudigen
Widerhall weckte: Unser Herz ist allemal da, wo Preußens Fahnen wehen!"
Diese Leistungen und Opfer für das deutsche Vaterland und den preußischen
Staat sind bis jetzt, oder um nicht ungerecht zu sein, bis vor kurzem, mit
nichts als mit Schädigungen und Vernachlässigung belohnt worden. In der
Geschichte der Bankfirma Eichborn wurde berichtet, wie Friedrich der Große,
natürlich sehr gegen seinen Willen, durch seinen Merkantilismus und durch
Sperrung des Absatzes nach Osterreich den Breslauer Handel geschädigt hat.
Eine andre Reichtumsquelle wurde durch die Teilung Polens verstopft. Einen
letzten schweren Schlag erlitt der Breslauer Handel im Jahre 1846, wo Krakau,
das der Wiener Kongreß als Freihandelsgebiet übrig gelassen hatte, der öster¬
reichischen Monarchie einverleibt wurde. Bis dahin war diese Republik ein so
lohnendes Absatzgebiet gewesen, daß eine einzige Breslauer Firma dort einen
jährlichen Umsatz von 900000 Talern erreicht hatte. Und im neuen Reiche
haben Schlesien und Breslau bitter über Vernachlässigung zu klagen gehabt.
Daß es der Hof seit dem Tode Friedrich Wilhelms des Vierten nicht mehr
schätzt, ist ja am Ende nur für Herz und Ehre kränkend, aber die Haltung
der Regierung berührt sehr empfindlich die Lebensinteressen der Provinz und
der Hauptstadt. Vor sieben Jahren hat die Schlesische Zeitung eine Reihe
von Leitartikeln veröffentlicht, die der Kornsche Verlag unter dem Titel "Die
schlesische Volksbewegung" als Flugschrift herausgab. (Die oben mit Anführungs¬
zeichen versehenen Sätze sind ihr entnommen. Was die Schlesische Zeitung für
Schlesien und wohl auch für die Entwicklung des gesamten preußischen Pre߬
wesens bedeutet, ist bei Gelegenheit ihrer Hundertfünfzigjahrfeier im 1. Bande
des Jahrgangs 1892 der Grenzboten Seite 188 kurz dargelegt worden. Sie ist
seit ihrer Gründung bis heute, bei allen Schwankungen in andern Dingen,
gut fritzisch geblieben. Ich lese sie seit dreiundfünfzig Jahren und schätze sie,
nicht wegen ihrer Politik, mit der ich nur hie und da einmal übereinstimme,
sondern wegen ihres sonstigen gediegnen Inhalts, dem ich wertvolle Informationen
und manche Belehrung verdanke.) In dieser Flugschrift wird Beschwerde darüber
geführt, daß Breslau unter Steuerdruck leide, weil die in Schlesien reich ge-
wordnen Unternehmer nach Berlin übersiedeln und den Steuersäckel der Reichs¬
hauptstadt füllen helfen; daß die Bahnverbindungen Breslaus jämmerlich seien,
und daß besonders der wichtige Verkehr mit Warschau erschwert werde; daß die


Breslau

Private und Behörden den König und die Regierung um Abwendung des doch
unvermeidlichen Krieges. Um und um drehte man im Westen die Noten der
Preußischen Bank im Zweifel, ob man sie in Zahlung nehmen solle. Man
hatte dort kein rechtes Vertrauen zum Ausgange des Kampfes und war doch
weit vom Schuß. Da waren es die Breslauer Gemeindebehörden, die sich über
den parteipolitischer Standpunkt hoch erhoben und in Adressen an den König
ihre mutige Begeisterung für Preußens Bestimmung aussprachen. Der damalige
Abgeordnete von Breslau, Oberbürgermeister a. D. Ziegler, ein in der Wolle
gefärbter Fortschrittsmann, fand das Wort, das in ganz Schlesien freudigen
Widerhall weckte: Unser Herz ist allemal da, wo Preußens Fahnen wehen!"
Diese Leistungen und Opfer für das deutsche Vaterland und den preußischen
Staat sind bis jetzt, oder um nicht ungerecht zu sein, bis vor kurzem, mit
nichts als mit Schädigungen und Vernachlässigung belohnt worden. In der
Geschichte der Bankfirma Eichborn wurde berichtet, wie Friedrich der Große,
natürlich sehr gegen seinen Willen, durch seinen Merkantilismus und durch
Sperrung des Absatzes nach Osterreich den Breslauer Handel geschädigt hat.
Eine andre Reichtumsquelle wurde durch die Teilung Polens verstopft. Einen
letzten schweren Schlag erlitt der Breslauer Handel im Jahre 1846, wo Krakau,
das der Wiener Kongreß als Freihandelsgebiet übrig gelassen hatte, der öster¬
reichischen Monarchie einverleibt wurde. Bis dahin war diese Republik ein so
lohnendes Absatzgebiet gewesen, daß eine einzige Breslauer Firma dort einen
jährlichen Umsatz von 900000 Talern erreicht hatte. Und im neuen Reiche
haben Schlesien und Breslau bitter über Vernachlässigung zu klagen gehabt.
Daß es der Hof seit dem Tode Friedrich Wilhelms des Vierten nicht mehr
schätzt, ist ja am Ende nur für Herz und Ehre kränkend, aber die Haltung
der Regierung berührt sehr empfindlich die Lebensinteressen der Provinz und
der Hauptstadt. Vor sieben Jahren hat die Schlesische Zeitung eine Reihe
von Leitartikeln veröffentlicht, die der Kornsche Verlag unter dem Titel „Die
schlesische Volksbewegung" als Flugschrift herausgab. (Die oben mit Anführungs¬
zeichen versehenen Sätze sind ihr entnommen. Was die Schlesische Zeitung für
Schlesien und wohl auch für die Entwicklung des gesamten preußischen Pre߬
wesens bedeutet, ist bei Gelegenheit ihrer Hundertfünfzigjahrfeier im 1. Bande
des Jahrgangs 1892 der Grenzboten Seite 188 kurz dargelegt worden. Sie ist
seit ihrer Gründung bis heute, bei allen Schwankungen in andern Dingen,
gut fritzisch geblieben. Ich lese sie seit dreiundfünfzig Jahren und schätze sie,
nicht wegen ihrer Politik, mit der ich nur hie und da einmal übereinstimme,
sondern wegen ihres sonstigen gediegnen Inhalts, dem ich wertvolle Informationen
und manche Belehrung verdanke.) In dieser Flugschrift wird Beschwerde darüber
geführt, daß Breslau unter Steuerdruck leide, weil die in Schlesien reich ge-
wordnen Unternehmer nach Berlin übersiedeln und den Steuersäckel der Reichs¬
hauptstadt füllen helfen; daß die Bahnverbindungen Breslaus jämmerlich seien,
und daß besonders der wichtige Verkehr mit Warschau erschwert werde; daß die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/318>, abgerufen am 24.07.2024.