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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

solid; in der Zeit des Mannschießens, sagte man mir in Liegnitz, könne das
Leihamt die Masse der Betten, die hineingetragen würden, kaum fassen.j So
sahen den Löwenmenschen an einem Tage 25000 Personen an; der Rutsch¬
turm wurde an einem Tage von 17 000 Personen benutzt. Den Betrag, der
für solche Belustigungen in dieser Woche ausgegeben wurde, wird man mit
einer Viertelmillion eher zu niedrig als zu hoch einschätzen." Geschieht euch
schon recht, dachte ich, "sei Er kein schellenlauter Tor!" Mit so was erreicht
man keinen Fremdenzufluß von fernher, am wenigsten einen stetigen. Ist eine
Stadt, eine Landschaft glückliche Besitzerin eines Reichtums an Natur- oder
Kunstschätzen, der einen dicken Bädekerbcmd füllt, halten sich alle Naturfreunde
und Kunstkenner für verpflichtet, dahin zu pilgern, folgt diesen, von der heutigen
Bequemlichkeit und Wohlfeilheit des Reifens verlockt, der Schwarm wohlhabender
Frauen aus Eitelkeit, und ziehen deren Männer mit, weil sie es ganz angenehm
finden, einmal ausländische Küchen und Keller durchzuprobieren, so darf man
ja deu Gastwirten und Kellnern, den Droschkenkutschern und Fremdenführern
und den Fabrikanten von "ausgegrabnen" Altertümern ihren Gewinn gern
gönnen; und wächst der Fremdenstrom ins Riesenhafte, wie in der Schweiz
und in Italien, so fällt das für die gesamte Volkswirtschaft und die Staats¬
finanzen ins Gewicht. Aber eine gesunde Grundlage gibt vorwiegende Fremden¬
industrie weder für die Volkswirtschaft noch für die Charakterbildung ab. Kenner
Italiens versichern, daß der Bettel und die gewerksmäßige Übervorteilung der
Kunden nur an den Orten florieren, die viel von Touristen besucht werdeu.
Breslau soll zufrieden sein, wenn es -- der Zuwachs, den ich ihm oben ge¬
wünscht habe, würde nicht viel einbringen -- wie bisher bloß von Schlesien:
besucht wird, die das Geschäft und das Bildungsbedürfnis hinführt oder der
Wunsch, in der Erholungszeit ein paar Tage das Großstadtleben zu genießen
und sich ans dem Provinzschlendrian ein wenig aufrütteln zu lassen. Gewiß,
Schlesiens Hauptstadt hat ihren frühern Reichtum dem Auslande verdankt, aber
es waren nicht ausländische Vergnügungsbummler, die ihn gebracht, sondern
einheimische Handwerker und Großkaufleute, die ihn in produktiver Arbeit ge¬
schaffen haben. An solcher festes ja nun auch heute nicht; die Breslauer
Gewerbe und Industrien, besonders der Maschinenbau, stehen auf der Höhe der
Zeit. Und daß der Breslauer Überlandhandel seine alte Ausdehnung wieder
erreiche, wünsche auch ich. Leider stehen diesem erstrebenswerte Ziele gewaltige
Hindernisse im Wege.

Mit Begeisterung hat Breslau den großen Preußenkönig begrüßt. "An
der furchtbarsten Wende unsers nationalen Schicksals, in der Zeit, da Preußen
schon verloren schien, war Schlesien allein der Hort der deutschen Freiheit--
Ein halbes Jahrhundert später war es, da drohte dem Vaterlande wieder
Gefahr; mit Blut und Eisen sollte die Frage gelöst werden, ob Österreich oder
Preußen die vorherrschende Macht in Deutschland sei. Verbittert durch den
langen Verfassungsstreit und in Sorge um ihre materiellen Interessen bestürmten


Grenzboten IV 1909 40
Breslau

solid; in der Zeit des Mannschießens, sagte man mir in Liegnitz, könne das
Leihamt die Masse der Betten, die hineingetragen würden, kaum fassen.j So
sahen den Löwenmenschen an einem Tage 25000 Personen an; der Rutsch¬
turm wurde an einem Tage von 17 000 Personen benutzt. Den Betrag, der
für solche Belustigungen in dieser Woche ausgegeben wurde, wird man mit
einer Viertelmillion eher zu niedrig als zu hoch einschätzen." Geschieht euch
schon recht, dachte ich, „sei Er kein schellenlauter Tor!" Mit so was erreicht
man keinen Fremdenzufluß von fernher, am wenigsten einen stetigen. Ist eine
Stadt, eine Landschaft glückliche Besitzerin eines Reichtums an Natur- oder
Kunstschätzen, der einen dicken Bädekerbcmd füllt, halten sich alle Naturfreunde
und Kunstkenner für verpflichtet, dahin zu pilgern, folgt diesen, von der heutigen
Bequemlichkeit und Wohlfeilheit des Reifens verlockt, der Schwarm wohlhabender
Frauen aus Eitelkeit, und ziehen deren Männer mit, weil sie es ganz angenehm
finden, einmal ausländische Küchen und Keller durchzuprobieren, so darf man
ja deu Gastwirten und Kellnern, den Droschkenkutschern und Fremdenführern
und den Fabrikanten von „ausgegrabnen" Altertümern ihren Gewinn gern
gönnen; und wächst der Fremdenstrom ins Riesenhafte, wie in der Schweiz
und in Italien, so fällt das für die gesamte Volkswirtschaft und die Staats¬
finanzen ins Gewicht. Aber eine gesunde Grundlage gibt vorwiegende Fremden¬
industrie weder für die Volkswirtschaft noch für die Charakterbildung ab. Kenner
Italiens versichern, daß der Bettel und die gewerksmäßige Übervorteilung der
Kunden nur an den Orten florieren, die viel von Touristen besucht werdeu.
Breslau soll zufrieden sein, wenn es — der Zuwachs, den ich ihm oben ge¬
wünscht habe, würde nicht viel einbringen — wie bisher bloß von Schlesien:
besucht wird, die das Geschäft und das Bildungsbedürfnis hinführt oder der
Wunsch, in der Erholungszeit ein paar Tage das Großstadtleben zu genießen
und sich ans dem Provinzschlendrian ein wenig aufrütteln zu lassen. Gewiß,
Schlesiens Hauptstadt hat ihren frühern Reichtum dem Auslande verdankt, aber
es waren nicht ausländische Vergnügungsbummler, die ihn gebracht, sondern
einheimische Handwerker und Großkaufleute, die ihn in produktiver Arbeit ge¬
schaffen haben. An solcher festes ja nun auch heute nicht; die Breslauer
Gewerbe und Industrien, besonders der Maschinenbau, stehen auf der Höhe der
Zeit. Und daß der Breslauer Überlandhandel seine alte Ausdehnung wieder
erreiche, wünsche auch ich. Leider stehen diesem erstrebenswerte Ziele gewaltige
Hindernisse im Wege.

Mit Begeisterung hat Breslau den großen Preußenkönig begrüßt. „An
der furchtbarsten Wende unsers nationalen Schicksals, in der Zeit, da Preußen
schon verloren schien, war Schlesien allein der Hort der deutschen Freiheit—
Ein halbes Jahrhundert später war es, da drohte dem Vaterlande wieder
Gefahr; mit Blut und Eisen sollte die Frage gelöst werden, ob Österreich oder
Preußen die vorherrschende Macht in Deutschland sei. Verbittert durch den
langen Verfassungsstreit und in Sorge um ihre materiellen Interessen bestürmten


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[0317] Breslau solid; in der Zeit des Mannschießens, sagte man mir in Liegnitz, könne das Leihamt die Masse der Betten, die hineingetragen würden, kaum fassen.j So sahen den Löwenmenschen an einem Tage 25000 Personen an; der Rutsch¬ turm wurde an einem Tage von 17 000 Personen benutzt. Den Betrag, der für solche Belustigungen in dieser Woche ausgegeben wurde, wird man mit einer Viertelmillion eher zu niedrig als zu hoch einschätzen." Geschieht euch schon recht, dachte ich, „sei Er kein schellenlauter Tor!" Mit so was erreicht man keinen Fremdenzufluß von fernher, am wenigsten einen stetigen. Ist eine Stadt, eine Landschaft glückliche Besitzerin eines Reichtums an Natur- oder Kunstschätzen, der einen dicken Bädekerbcmd füllt, halten sich alle Naturfreunde und Kunstkenner für verpflichtet, dahin zu pilgern, folgt diesen, von der heutigen Bequemlichkeit und Wohlfeilheit des Reifens verlockt, der Schwarm wohlhabender Frauen aus Eitelkeit, und ziehen deren Männer mit, weil sie es ganz angenehm finden, einmal ausländische Küchen und Keller durchzuprobieren, so darf man ja deu Gastwirten und Kellnern, den Droschkenkutschern und Fremdenführern und den Fabrikanten von „ausgegrabnen" Altertümern ihren Gewinn gern gönnen; und wächst der Fremdenstrom ins Riesenhafte, wie in der Schweiz und in Italien, so fällt das für die gesamte Volkswirtschaft und die Staats¬ finanzen ins Gewicht. Aber eine gesunde Grundlage gibt vorwiegende Fremden¬ industrie weder für die Volkswirtschaft noch für die Charakterbildung ab. Kenner Italiens versichern, daß der Bettel und die gewerksmäßige Übervorteilung der Kunden nur an den Orten florieren, die viel von Touristen besucht werdeu. Breslau soll zufrieden sein, wenn es — der Zuwachs, den ich ihm oben ge¬ wünscht habe, würde nicht viel einbringen — wie bisher bloß von Schlesien: besucht wird, die das Geschäft und das Bildungsbedürfnis hinführt oder der Wunsch, in der Erholungszeit ein paar Tage das Großstadtleben zu genießen und sich ans dem Provinzschlendrian ein wenig aufrütteln zu lassen. Gewiß, Schlesiens Hauptstadt hat ihren frühern Reichtum dem Auslande verdankt, aber es waren nicht ausländische Vergnügungsbummler, die ihn gebracht, sondern einheimische Handwerker und Großkaufleute, die ihn in produktiver Arbeit ge¬ schaffen haben. An solcher festes ja nun auch heute nicht; die Breslauer Gewerbe und Industrien, besonders der Maschinenbau, stehen auf der Höhe der Zeit. Und daß der Breslauer Überlandhandel seine alte Ausdehnung wieder erreiche, wünsche auch ich. Leider stehen diesem erstrebenswerte Ziele gewaltige Hindernisse im Wege. Mit Begeisterung hat Breslau den großen Preußenkönig begrüßt. „An der furchtbarsten Wende unsers nationalen Schicksals, in der Zeit, da Preußen schon verloren schien, war Schlesien allein der Hort der deutschen Freiheit— Ein halbes Jahrhundert später war es, da drohte dem Vaterlande wieder Gefahr; mit Blut und Eisen sollte die Frage gelöst werden, ob Österreich oder Preußen die vorherrschende Macht in Deutschland sei. Verbittert durch den langen Verfassungsstreit und in Sorge um ihre materiellen Interessen bestürmten Grenzboten IV 1909 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/317>, abgerufen am 24.07.2024.