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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Neues zur Geschichte der islamischen Mächte

Dieser Teil wird jedoch vorwiegend die wissenschaftlichen Kreise zu beschäftigen
haben. Reiche und vielfach neue Gedanken bringen die kurzen Ausführungen
über Muhammad und die Begründung des Islams. Hier zeigt sich wieder, daß
erst die universale Betrachtung die Erscheinungen versteht. Solange man
den Islam nur vom Koran und den islamischen Historikern aus betrachtet,
hat man nur die eine Seite. Erst die Einwirkung Südarabiens, das das
politische Übergewicht auch im Norden erstrebt, läßt Muhammads Auftreten und
Vor allem seinen Erfolg und sein Wirken als Politiker begreifen. Hier wehrt
sich der demokratische Norden wirtschaftlich und politisch gegen den aristokratischen
Süden. Der dritte Teil, die Geschichte der arabischen Nation bis zur Gegenwart,
ist etwas Neues. Und an sie knüpfen sich die aktuellen Fragen der Gegenwart.
Wieder regt es sich in Jemen; für den türkischen Staat bedeutet Südarabien
die schmerzlichste Wunde. Ungeheure und vergebliche Opfer hat das Land
verschlungen. Wenn von hier aus eine Neubelebung des arabischen National¬
gefühls ausgeht, so bedeutet das für die türkische Herrschaft eine außerordentliche
Gefahr. Die Loslösung der arabischen Reichsteile ist nach Hartmanns Urteil, und
darauf ist etwas zu geben, eine Frage der Zeit. Die Frage nach der Stellung
des Arabertums, nach seinen politischen, wirtschaftlichen und geistigen Kräften,
ist die "arabische Frage". Arabien ist mehrfach in starkem nationalpolitischem
Selbstgefühl aus sich herausgetreten, und jedesmal, für Römer, Perser und
Byzantiner, trat damit eine arabische Frage auf. Heute besteht diese Frage
gegenüber der Türkei. Hier liegt die entscheidende Aufgabe für die neue arabische
Geschichte, auf die der Verfasser bei seiner persönlichen Bekanntschaft mit Arabien
und dem Arabertum besonders eingeht. Alle Linien, die in die Zukunft weisen,
bedeuten freilich nur Entwicklungsmöglichkeiten; aber es gilt, die sich heute
regenden, sich bewußt werdenden Kräfte zu beachten. Dazu bietet dieses gehalt¬
reiche Werk Tatsachen und Einsichten, die bisher nicht leicht erreichbar waren.

Ist Hartmanns "Arabische Frage" zwar ein jedem Gebildeten zugängliches
Buch, aber doch ein solches, das ernsteres Studium beansprucht, so bedeutet
die kleinere Schrift "Der Islam. Geschichte -- Glaube-- Recht" (Leipzig. Rudolf
Haupt, 1909) ein Werk, das für die weitesten Kreise gerade zur rechten Zeit
kommt. Man kann an dem Werkchen nichts Besseres rühmen, als daß es in sach¬
gemäßer Weise alle die historischen, rechtlichen und theologischen Kenntnisse mit¬
teilt, die zum Verständnis islamischer Gebiete erforderlich sind. Nach einer
knappen Geschichte des vorislamischen Arabiens wird Muhammads Person und
Wirken in kräftigem, historischem Realismus dargestellt. Daran schließt sich eine
Darstellung des Koran und der Tradition (Hadith), die wichtig ist, weil es sich
um die Grundlagen des islamischen Staatswesens handelt. Es folgt eine kurze
Geschichte der islamischen Gemeinde, die sich im Kalifat zum Weltreich erweitert
und damit zersetzt wird, bis zur Akte von Algeciras. An diese historischen
Ausführungen schließt sich die sachliche Darstellung der Lehre und des Gesetzes.
Die wichtigsten Bestimmungen des kultischen, privaten und Staatsrechts werden


Neues zur Geschichte der islamischen Mächte

Dieser Teil wird jedoch vorwiegend die wissenschaftlichen Kreise zu beschäftigen
haben. Reiche und vielfach neue Gedanken bringen die kurzen Ausführungen
über Muhammad und die Begründung des Islams. Hier zeigt sich wieder, daß
erst die universale Betrachtung die Erscheinungen versteht. Solange man
den Islam nur vom Koran und den islamischen Historikern aus betrachtet,
hat man nur die eine Seite. Erst die Einwirkung Südarabiens, das das
politische Übergewicht auch im Norden erstrebt, läßt Muhammads Auftreten und
Vor allem seinen Erfolg und sein Wirken als Politiker begreifen. Hier wehrt
sich der demokratische Norden wirtschaftlich und politisch gegen den aristokratischen
Süden. Der dritte Teil, die Geschichte der arabischen Nation bis zur Gegenwart,
ist etwas Neues. Und an sie knüpfen sich die aktuellen Fragen der Gegenwart.
Wieder regt es sich in Jemen; für den türkischen Staat bedeutet Südarabien
die schmerzlichste Wunde. Ungeheure und vergebliche Opfer hat das Land
verschlungen. Wenn von hier aus eine Neubelebung des arabischen National¬
gefühls ausgeht, so bedeutet das für die türkische Herrschaft eine außerordentliche
Gefahr. Die Loslösung der arabischen Reichsteile ist nach Hartmanns Urteil, und
darauf ist etwas zu geben, eine Frage der Zeit. Die Frage nach der Stellung
des Arabertums, nach seinen politischen, wirtschaftlichen und geistigen Kräften,
ist die „arabische Frage". Arabien ist mehrfach in starkem nationalpolitischem
Selbstgefühl aus sich herausgetreten, und jedesmal, für Römer, Perser und
Byzantiner, trat damit eine arabische Frage auf. Heute besteht diese Frage
gegenüber der Türkei. Hier liegt die entscheidende Aufgabe für die neue arabische
Geschichte, auf die der Verfasser bei seiner persönlichen Bekanntschaft mit Arabien
und dem Arabertum besonders eingeht. Alle Linien, die in die Zukunft weisen,
bedeuten freilich nur Entwicklungsmöglichkeiten; aber es gilt, die sich heute
regenden, sich bewußt werdenden Kräfte zu beachten. Dazu bietet dieses gehalt¬
reiche Werk Tatsachen und Einsichten, die bisher nicht leicht erreichbar waren.

Ist Hartmanns „Arabische Frage" zwar ein jedem Gebildeten zugängliches
Buch, aber doch ein solches, das ernsteres Studium beansprucht, so bedeutet
die kleinere Schrift „Der Islam. Geschichte — Glaube— Recht" (Leipzig. Rudolf
Haupt, 1909) ein Werk, das für die weitesten Kreise gerade zur rechten Zeit
kommt. Man kann an dem Werkchen nichts Besseres rühmen, als daß es in sach¬
gemäßer Weise alle die historischen, rechtlichen und theologischen Kenntnisse mit¬
teilt, die zum Verständnis islamischer Gebiete erforderlich sind. Nach einer
knappen Geschichte des vorislamischen Arabiens wird Muhammads Person und
Wirken in kräftigem, historischem Realismus dargestellt. Daran schließt sich eine
Darstellung des Koran und der Tradition (Hadith), die wichtig ist, weil es sich
um die Grundlagen des islamischen Staatswesens handelt. Es folgt eine kurze
Geschichte der islamischen Gemeinde, die sich im Kalifat zum Weltreich erweitert
und damit zersetzt wird, bis zur Akte von Algeciras. An diese historischen
Ausführungen schließt sich die sachliche Darstellung der Lehre und des Gesetzes.
Die wichtigsten Bestimmungen des kultischen, privaten und Staatsrechts werden


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[0308] Neues zur Geschichte der islamischen Mächte Dieser Teil wird jedoch vorwiegend die wissenschaftlichen Kreise zu beschäftigen haben. Reiche und vielfach neue Gedanken bringen die kurzen Ausführungen über Muhammad und die Begründung des Islams. Hier zeigt sich wieder, daß erst die universale Betrachtung die Erscheinungen versteht. Solange man den Islam nur vom Koran und den islamischen Historikern aus betrachtet, hat man nur die eine Seite. Erst die Einwirkung Südarabiens, das das politische Übergewicht auch im Norden erstrebt, läßt Muhammads Auftreten und Vor allem seinen Erfolg und sein Wirken als Politiker begreifen. Hier wehrt sich der demokratische Norden wirtschaftlich und politisch gegen den aristokratischen Süden. Der dritte Teil, die Geschichte der arabischen Nation bis zur Gegenwart, ist etwas Neues. Und an sie knüpfen sich die aktuellen Fragen der Gegenwart. Wieder regt es sich in Jemen; für den türkischen Staat bedeutet Südarabien die schmerzlichste Wunde. Ungeheure und vergebliche Opfer hat das Land verschlungen. Wenn von hier aus eine Neubelebung des arabischen National¬ gefühls ausgeht, so bedeutet das für die türkische Herrschaft eine außerordentliche Gefahr. Die Loslösung der arabischen Reichsteile ist nach Hartmanns Urteil, und darauf ist etwas zu geben, eine Frage der Zeit. Die Frage nach der Stellung des Arabertums, nach seinen politischen, wirtschaftlichen und geistigen Kräften, ist die „arabische Frage". Arabien ist mehrfach in starkem nationalpolitischem Selbstgefühl aus sich herausgetreten, und jedesmal, für Römer, Perser und Byzantiner, trat damit eine arabische Frage auf. Heute besteht diese Frage gegenüber der Türkei. Hier liegt die entscheidende Aufgabe für die neue arabische Geschichte, auf die der Verfasser bei seiner persönlichen Bekanntschaft mit Arabien und dem Arabertum besonders eingeht. Alle Linien, die in die Zukunft weisen, bedeuten freilich nur Entwicklungsmöglichkeiten; aber es gilt, die sich heute regenden, sich bewußt werdenden Kräfte zu beachten. Dazu bietet dieses gehalt¬ reiche Werk Tatsachen und Einsichten, die bisher nicht leicht erreichbar waren. Ist Hartmanns „Arabische Frage" zwar ein jedem Gebildeten zugängliches Buch, aber doch ein solches, das ernsteres Studium beansprucht, so bedeutet die kleinere Schrift „Der Islam. Geschichte — Glaube— Recht" (Leipzig. Rudolf Haupt, 1909) ein Werk, das für die weitesten Kreise gerade zur rechten Zeit kommt. Man kann an dem Werkchen nichts Besseres rühmen, als daß es in sach¬ gemäßer Weise alle die historischen, rechtlichen und theologischen Kenntnisse mit¬ teilt, die zum Verständnis islamischer Gebiete erforderlich sind. Nach einer knappen Geschichte des vorislamischen Arabiens wird Muhammads Person und Wirken in kräftigem, historischem Realismus dargestellt. Daran schließt sich eine Darstellung des Koran und der Tradition (Hadith), die wichtig ist, weil es sich um die Grundlagen des islamischen Staatswesens handelt. Es folgt eine kurze Geschichte der islamischen Gemeinde, die sich im Kalifat zum Weltreich erweitert und damit zersetzt wird, bis zur Akte von Algeciras. An diese historischen Ausführungen schließt sich die sachliche Darstellung der Lehre und des Gesetzes. Die wichtigsten Bestimmungen des kultischen, privaten und Staatsrechts werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/308>, abgerufen am 24.07.2024.