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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Detlev von Liliencron

folgenden drei willkürlich aus der Fülle herausgehobnen Gedichte zunächst in
die Erinnerung zurückrufen:

Weit der Schwadron war ich voraus geritten
Und hielt im Nebel, horchend, auf dem Hügel.
Kommandoruf, vom Winde abgeschnitten,
Verworren klang Geklirr von Roß und Bügel,
Da brach ein Reiher, nah, aus Nebelsmitten,
Und nahm den Schleier auf die breiten Flügel:
Sonnübersponnen, unten tief, durchschritten
Die Furt Husaren, Zügel hinter Zügel,
Den Gaul herum, die Seligkeit vergessen,
Schieß ich zuiück, mein Schatten ist betrogen,
"Fertig zum Aufsitzen" und "Auf--gesessen",
Dann weg, wie von der Erde aufgesogen,
Vorsichtig, still, in richtigem Ermessen,
Schlau wie die Rothaut zieht im Grüserwogen,
Halt . , . Säbelwink ... Der Eisensporn dem Blessen,
Und in den Feind sind wir hineingeflogen.
Nach dem Balle

[Beginn Spaltensatz] Setz in des Wagens Finsternis
Getrost den Atlasschuh!
Die Füchse schäumen ins Gebiß,
Und nun, Johann, fahr zu!
Es ruht an meiner Schulter aus
Und schläft, ein müder Veilchenstrauß,
Die kleine blonde Komtesse. [Spaltenumbruch] Die Nacht versinkt in Sumpf und Moor;
Ein erster roter Streif,
Der Kiebitz schüttelt sich im Rohr
Aus Schöpf und Pelz den Reis.
Noch hört im Traum der Rosse Lauf,
Dann schlägt die blauen Augen auf
Die kleine blonde Komtesse, [Ende Spaltensatz]
Die Sichel klingt vom Wiesengrund,
Der Tauber gurrt und lacht,
Am Rade kläfft der Bauernhund,
All Leben ist erwacht.
Ach, wie die Sonne köstlich schien,
Wir fuhren schnell nach Gretna Green,
Ich und die kleine Komtesse.
Auf dem Kirchhof
Der Tag ging regenschwer und sturmbewegt,
Ich war an manch vergessenem Grab gewesen.
Verwittert Stein und Kreuz, die Kränze alt,
Die Namen überwachsen, kaum zu lesen. Der Tag ging sturmbewegt und regenschwer,
Auf allen Gräbern fror das Wort: Gewesen,
Wie sturmestot die Särge schlummerten.
Auf allen Gräbern laute still: Genesen,

Ich zögere, mich immer wieder dem Zauber dieser Dichtungen hingebend,
hieran eine kurze ästhetische Betrachtung zu knüpfen. Ich möchte also fragen:
Worin beruht, abgesehen von allen seelischen undefinierbarer Beziehungen, die


Detlev von Liliencron

folgenden drei willkürlich aus der Fülle herausgehobnen Gedichte zunächst in
die Erinnerung zurückrufen:

Weit der Schwadron war ich voraus geritten
Und hielt im Nebel, horchend, auf dem Hügel.
Kommandoruf, vom Winde abgeschnitten,
Verworren klang Geklirr von Roß und Bügel,
Da brach ein Reiher, nah, aus Nebelsmitten,
Und nahm den Schleier auf die breiten Flügel:
Sonnübersponnen, unten tief, durchschritten
Die Furt Husaren, Zügel hinter Zügel,
Den Gaul herum, die Seligkeit vergessen,
Schieß ich zuiück, mein Schatten ist betrogen,
„Fertig zum Aufsitzen" und „Auf—gesessen",
Dann weg, wie von der Erde aufgesogen,
Vorsichtig, still, in richtigem Ermessen,
Schlau wie die Rothaut zieht im Grüserwogen,
Halt . , . Säbelwink ... Der Eisensporn dem Blessen,
Und in den Feind sind wir hineingeflogen.
Nach dem Balle

[Beginn Spaltensatz] Setz in des Wagens Finsternis
Getrost den Atlasschuh!
Die Füchse schäumen ins Gebiß,
Und nun, Johann, fahr zu!
Es ruht an meiner Schulter aus
Und schläft, ein müder Veilchenstrauß,
Die kleine blonde Komtesse. [Spaltenumbruch] Die Nacht versinkt in Sumpf und Moor;
Ein erster roter Streif,
Der Kiebitz schüttelt sich im Rohr
Aus Schöpf und Pelz den Reis.
Noch hört im Traum der Rosse Lauf,
Dann schlägt die blauen Augen auf
Die kleine blonde Komtesse, [Ende Spaltensatz]
Die Sichel klingt vom Wiesengrund,
Der Tauber gurrt und lacht,
Am Rade kläfft der Bauernhund,
All Leben ist erwacht.
Ach, wie die Sonne köstlich schien,
Wir fuhren schnell nach Gretna Green,
Ich und die kleine Komtesse.
Auf dem Kirchhof
Der Tag ging regenschwer und sturmbewegt,
Ich war an manch vergessenem Grab gewesen.
Verwittert Stein und Kreuz, die Kränze alt,
Die Namen überwachsen, kaum zu lesen. Der Tag ging sturmbewegt und regenschwer,
Auf allen Gräbern fror das Wort: Gewesen,
Wie sturmestot die Särge schlummerten.
Auf allen Gräbern laute still: Genesen,

Ich zögere, mich immer wieder dem Zauber dieser Dichtungen hingebend,
hieran eine kurze ästhetische Betrachtung zu knüpfen. Ich möchte also fragen:
Worin beruht, abgesehen von allen seelischen undefinierbarer Beziehungen, die


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[0029] Detlev von Liliencron folgenden drei willkürlich aus der Fülle herausgehobnen Gedichte zunächst in die Erinnerung zurückrufen: Weit der Schwadron war ich voraus geritten Und hielt im Nebel, horchend, auf dem Hügel. Kommandoruf, vom Winde abgeschnitten, Verworren klang Geklirr von Roß und Bügel, Da brach ein Reiher, nah, aus Nebelsmitten, Und nahm den Schleier auf die breiten Flügel: Sonnübersponnen, unten tief, durchschritten Die Furt Husaren, Zügel hinter Zügel, Den Gaul herum, die Seligkeit vergessen, Schieß ich zuiück, mein Schatten ist betrogen, „Fertig zum Aufsitzen" und „Auf—gesessen", Dann weg, wie von der Erde aufgesogen, Vorsichtig, still, in richtigem Ermessen, Schlau wie die Rothaut zieht im Grüserwogen, Halt . , . Säbelwink ... Der Eisensporn dem Blessen, Und in den Feind sind wir hineingeflogen. Nach dem Balle Setz in des Wagens Finsternis Getrost den Atlasschuh! Die Füchse schäumen ins Gebiß, Und nun, Johann, fahr zu! Es ruht an meiner Schulter aus Und schläft, ein müder Veilchenstrauß, Die kleine blonde Komtesse. Die Nacht versinkt in Sumpf und Moor; Ein erster roter Streif, Der Kiebitz schüttelt sich im Rohr Aus Schöpf und Pelz den Reis. Noch hört im Traum der Rosse Lauf, Dann schlägt die blauen Augen auf Die kleine blonde Komtesse, Die Sichel klingt vom Wiesengrund, Der Tauber gurrt und lacht, Am Rade kläfft der Bauernhund, All Leben ist erwacht. Ach, wie die Sonne köstlich schien, Wir fuhren schnell nach Gretna Green, Ich und die kleine Komtesse. Auf dem Kirchhof Der Tag ging regenschwer und sturmbewegt, Ich war an manch vergessenem Grab gewesen. Verwittert Stein und Kreuz, die Kränze alt, Die Namen überwachsen, kaum zu lesen. Der Tag ging sturmbewegt und regenschwer, Auf allen Gräbern fror das Wort: Gewesen, Wie sturmestot die Särge schlummerten. Auf allen Gräbern laute still: Genesen, Ich zögere, mich immer wieder dem Zauber dieser Dichtungen hingebend, hieran eine kurze ästhetische Betrachtung zu knüpfen. Ich möchte also fragen: Worin beruht, abgesehen von allen seelischen undefinierbarer Beziehungen, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/29>, abgerufen am 24.07.2024.