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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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literarische Rundschau

hervorgetreten waren, und können jetzt, da der erste Schreck überwunden ist,
nur dankbar darauf Hinblicken, daß dem, der ganz Leben und Bewegung war,
Schmerzen und Lähmung des Alters erspart geblieben sind. Wie sehr er
selbst abgeschlossen hatte, lehren die beiden Bücher, die nun aus seinem
Nachlaß (bei Schuster und Löffler in Berlin) erschienen sind. Er selbst hat
den Band Gedichte ganz fertiggestellt und durchredigiert, der uns nun vor¬
liegt, und er selbst hat ihm bezeichnenderweise die Aufschrift gegeben: "Gute
Nacht." Als hätte er noch einmal die Erinnerung an den ganzen Aufhalt
seines lyrischen Werks heraufführen wollen, hat er den neuen Versen ältere
aus frühern Sammlungen eingefügt und so das Buch gerundet. Zwei Ge¬
dichte unter den neuen sind es, die uns in diesem Zusammenhang am tiefsten
ergreifen: das eine "Die letzte Rose" gibt das Wiedersehen mit der, die er
solange nicht gesehen und mit der er nun im mühelosem Verzichten sprechen,
lachen, sich erzählen kann:

[Beginn Spaltensatz] Wir kehrten in die Stadt zurück.
Von neuem riß der Faden.
Doch eh wir schieden, blieb ich stehn
Vor einen" Blumenladen. [Spaltenumbruch] Die schönste Rose wählt ich aus,
Für sie die letzte Spende,
Und küßte ihr zum letztenmal
Dankbar die lieben Hände. [Ende Spaltensatz]
Zwei Straßenbahnen kreuzten sich,
Als wir das Haus verlassen.
Wir stiegen ein -- in Nord lind Süd
Verschlangen uns die Gassen.

Und gegenüber der Wehmut, die diese Begegnung durchzittert, erscheint dann
am Schluß des Bandes das tapfere Gedicht "Begräbnis". An einem hellen
Sommertag nach verhallten Gewitter will Liliencron eingesenkt sein, Rosen
sollen ihm ins Grab gestreut werden, Trompeten sollen spielen --

Dann brecht mir meinen Wanderstab
Mit fester Hand in Stücke!
Es fiel ein Blatt vom Baum, es fiel
Durch fruchtbeschwerte Äste.
Nun geht zu euerm eignen Ziel,
Ihr meine letzten Gäste!
Zum eignen Ziel geht spielbereit,
Schwenkt hoch die Trauerfahnen,
Froh, daß ihr noch auf Erden seid
Und nicht bei euern Ahnen!

So schließt im eignen Vers dies Leben tapfer und schlicht mit demselben
Ausruf, den Paul Heyse einmal über Goethes Leben gesetzt hat: "Gedenkt
zu leben!"

Der andre Nachlaßband "Letzte Ernte" enthält sieben Novellen, von
einer 1872, eben nach dem Abschied aus der Front, geschriebnen Soldaten-


literarische Rundschau

hervorgetreten waren, und können jetzt, da der erste Schreck überwunden ist,
nur dankbar darauf Hinblicken, daß dem, der ganz Leben und Bewegung war,
Schmerzen und Lähmung des Alters erspart geblieben sind. Wie sehr er
selbst abgeschlossen hatte, lehren die beiden Bücher, die nun aus seinem
Nachlaß (bei Schuster und Löffler in Berlin) erschienen sind. Er selbst hat
den Band Gedichte ganz fertiggestellt und durchredigiert, der uns nun vor¬
liegt, und er selbst hat ihm bezeichnenderweise die Aufschrift gegeben: „Gute
Nacht." Als hätte er noch einmal die Erinnerung an den ganzen Aufhalt
seines lyrischen Werks heraufführen wollen, hat er den neuen Versen ältere
aus frühern Sammlungen eingefügt und so das Buch gerundet. Zwei Ge¬
dichte unter den neuen sind es, die uns in diesem Zusammenhang am tiefsten
ergreifen: das eine „Die letzte Rose" gibt das Wiedersehen mit der, die er
solange nicht gesehen und mit der er nun im mühelosem Verzichten sprechen,
lachen, sich erzählen kann:

[Beginn Spaltensatz] Wir kehrten in die Stadt zurück.
Von neuem riß der Faden.
Doch eh wir schieden, blieb ich stehn
Vor einen« Blumenladen. [Spaltenumbruch] Die schönste Rose wählt ich aus,
Für sie die letzte Spende,
Und küßte ihr zum letztenmal
Dankbar die lieben Hände. [Ende Spaltensatz]
Zwei Straßenbahnen kreuzten sich,
Als wir das Haus verlassen.
Wir stiegen ein — in Nord lind Süd
Verschlangen uns die Gassen.

Und gegenüber der Wehmut, die diese Begegnung durchzittert, erscheint dann
am Schluß des Bandes das tapfere Gedicht „Begräbnis". An einem hellen
Sommertag nach verhallten Gewitter will Liliencron eingesenkt sein, Rosen
sollen ihm ins Grab gestreut werden, Trompeten sollen spielen —

Dann brecht mir meinen Wanderstab
Mit fester Hand in Stücke!
Es fiel ein Blatt vom Baum, es fiel
Durch fruchtbeschwerte Äste.
Nun geht zu euerm eignen Ziel,
Ihr meine letzten Gäste!
Zum eignen Ziel geht spielbereit,
Schwenkt hoch die Trauerfahnen,
Froh, daß ihr noch auf Erden seid
Und nicht bei euern Ahnen!

So schließt im eignen Vers dies Leben tapfer und schlicht mit demselben
Ausruf, den Paul Heyse einmal über Goethes Leben gesetzt hat: „Gedenkt
zu leben!"

Der andre Nachlaßband „Letzte Ernte" enthält sieben Novellen, von
einer 1872, eben nach dem Abschied aus der Front, geschriebnen Soldaten-


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[0269] literarische Rundschau hervorgetreten waren, und können jetzt, da der erste Schreck überwunden ist, nur dankbar darauf Hinblicken, daß dem, der ganz Leben und Bewegung war, Schmerzen und Lähmung des Alters erspart geblieben sind. Wie sehr er selbst abgeschlossen hatte, lehren die beiden Bücher, die nun aus seinem Nachlaß (bei Schuster und Löffler in Berlin) erschienen sind. Er selbst hat den Band Gedichte ganz fertiggestellt und durchredigiert, der uns nun vor¬ liegt, und er selbst hat ihm bezeichnenderweise die Aufschrift gegeben: „Gute Nacht." Als hätte er noch einmal die Erinnerung an den ganzen Aufhalt seines lyrischen Werks heraufführen wollen, hat er den neuen Versen ältere aus frühern Sammlungen eingefügt und so das Buch gerundet. Zwei Ge¬ dichte unter den neuen sind es, die uns in diesem Zusammenhang am tiefsten ergreifen: das eine „Die letzte Rose" gibt das Wiedersehen mit der, die er solange nicht gesehen und mit der er nun im mühelosem Verzichten sprechen, lachen, sich erzählen kann: Wir kehrten in die Stadt zurück. Von neuem riß der Faden. Doch eh wir schieden, blieb ich stehn Vor einen« Blumenladen. Die schönste Rose wählt ich aus, Für sie die letzte Spende, Und küßte ihr zum letztenmal Dankbar die lieben Hände. Zwei Straßenbahnen kreuzten sich, Als wir das Haus verlassen. Wir stiegen ein — in Nord lind Süd Verschlangen uns die Gassen. Und gegenüber der Wehmut, die diese Begegnung durchzittert, erscheint dann am Schluß des Bandes das tapfere Gedicht „Begräbnis". An einem hellen Sommertag nach verhallten Gewitter will Liliencron eingesenkt sein, Rosen sollen ihm ins Grab gestreut werden, Trompeten sollen spielen — Dann brecht mir meinen Wanderstab Mit fester Hand in Stücke! Es fiel ein Blatt vom Baum, es fiel Durch fruchtbeschwerte Äste. Nun geht zu euerm eignen Ziel, Ihr meine letzten Gäste! Zum eignen Ziel geht spielbereit, Schwenkt hoch die Trauerfahnen, Froh, daß ihr noch auf Erden seid Und nicht bei euern Ahnen! So schließt im eignen Vers dies Leben tapfer und schlicht mit demselben Ausruf, den Paul Heyse einmal über Goethes Leben gesetzt hat: „Gedenkt zu leben!" Der andre Nachlaßband „Letzte Ernte" enthält sieben Novellen, von einer 1872, eben nach dem Abschied aus der Front, geschriebnen Soldaten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/269>, abgerufen am 24.07.2024.