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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Zur Psychologie der radikalen Presse

teil und tut so, als ob man nie etwas andres behauptet habe. Oder wenn
das gar nicht geht, nimmt man ohne Kommentar eine Notiz auf, die beginnt:
"Man schreibt uns". Darin kann dann lustig alles Frühere auf den Kopf
gestellt werden.

Noch ergötzlicher ist die Diskrepanz zwischen politischem Teil und Handels¬
teil in einer und derselben Nummer. Im Gegensatz zum politischen Teil nehmen
die Leser den Handelsteil sehr ernst, weil sie daraus positive, ihren Geschäften
dienliche Mitteilungen schöpfen. Nun ist es höchst spaßig, wenn vorn in der
Zeitung etwa die Wertzuwachssteuer als weiseste Maßregel gepriesen, hinten
aber jede neue Steuer auf den Grundbesitz schroff abgelehnt wird. Oder wenn
man vorn wieder einmal eine neue Belastung der Unternehmer aus sozial-
Politischen Rücksichten fordert, während man hinten mit der gleichen Entschieden¬
heit erklärt, endlich einmal müßte die Vergrößerung der Spesen aus der
Sozialpolitik aufhören, die unsre internationale Konkurrenzfähigkeit schmälere.
Weitere Beispiele anzuführen, ist unnötig: beinahe jede Nummer eines frei¬
sinnigen Blattes bringt sie in schönster Fülle.

Dieses ganze Doppelspiel hängt eng mit.der jüdischen Znsammensetzung
der freisinnigen Parteien zusammen. Man wird nicht übertreiben in der An¬
nahme, daß sich ein bedeutender Bruchteil -- und gerade ziemlich der ein¬
flußreichste -- der freisinnigen Parteien aus Juden rekrutiert. Der Jude ist
infolge seiner immer noch bedrückten Lage förmlich in eine Oppositionsstellung
gedrängt, wird sich doch aber andrerseits, sofern er nur einigermaßen im ge¬
schäftlichen Leben steht, der antikapitalistischen Sozialdemokratie nicht anschließen
können. Was Wunder, daß er prinzipiell einen scharfen bürgerlichen Radikalismus
vertritt! Da er aber eben durch und durch kapitalistisch denkt und fühlt, wird
bei ihm der Radikalismus niemals weiter reichen, als das sein geschäftliches
Interesse erlaubt.

Dieser Halbheit und Inkonsequenz der radikalen Presse gesellt sich ihre
Einflußlosigkeit. Kampfrufe, die von den eignen Parteigenossen nicht ernst
genommen werden, können doch unmöglich bei der Regierung und bei den
Politischen Gegnern für wichtig gelten. So kommt es denn, daß freisinnige
Zeitungen, die über einen ungeheuern Leserkreis verfügen, doch politisch einflu߬
loser sind als irgendein Winkelblättchen, das ständiger Zuschüsse aus offnen
und geheimen Quellen bedarf. Diese riesigen Blätter können schreien, als ob
sie am Spieße steckten, gerade die maßgebenden Politiker gehn an dieser Ge¬
sangsaufführung mit stillem Lächeln vorüber.

Desto mehr ziehen solche Varietekunststückchen die Massen an. Daher eben
die große Auflage dieser Blätter. Aber das breite Publikum, das den ebenfalls
im Schreien geübten Zeitungsverkäufern die noch nicht trocknen Blätter aus
den Händen windet, hat natürlich noch weit weniger als der prinzipientreue
Leserstamm mit dem Freisinn zu tun. Dort nennt man sich und wählt doch
wenigstens freisinnig, hierüber bestehen kaum irgendwelche Verbindungslinien


Zur Psychologie der radikalen Presse

teil und tut so, als ob man nie etwas andres behauptet habe. Oder wenn
das gar nicht geht, nimmt man ohne Kommentar eine Notiz auf, die beginnt:
„Man schreibt uns". Darin kann dann lustig alles Frühere auf den Kopf
gestellt werden.

Noch ergötzlicher ist die Diskrepanz zwischen politischem Teil und Handels¬
teil in einer und derselben Nummer. Im Gegensatz zum politischen Teil nehmen
die Leser den Handelsteil sehr ernst, weil sie daraus positive, ihren Geschäften
dienliche Mitteilungen schöpfen. Nun ist es höchst spaßig, wenn vorn in der
Zeitung etwa die Wertzuwachssteuer als weiseste Maßregel gepriesen, hinten
aber jede neue Steuer auf den Grundbesitz schroff abgelehnt wird. Oder wenn
man vorn wieder einmal eine neue Belastung der Unternehmer aus sozial-
Politischen Rücksichten fordert, während man hinten mit der gleichen Entschieden¬
heit erklärt, endlich einmal müßte die Vergrößerung der Spesen aus der
Sozialpolitik aufhören, die unsre internationale Konkurrenzfähigkeit schmälere.
Weitere Beispiele anzuführen, ist unnötig: beinahe jede Nummer eines frei¬
sinnigen Blattes bringt sie in schönster Fülle.

Dieses ganze Doppelspiel hängt eng mit.der jüdischen Znsammensetzung
der freisinnigen Parteien zusammen. Man wird nicht übertreiben in der An¬
nahme, daß sich ein bedeutender Bruchteil — und gerade ziemlich der ein¬
flußreichste — der freisinnigen Parteien aus Juden rekrutiert. Der Jude ist
infolge seiner immer noch bedrückten Lage förmlich in eine Oppositionsstellung
gedrängt, wird sich doch aber andrerseits, sofern er nur einigermaßen im ge¬
schäftlichen Leben steht, der antikapitalistischen Sozialdemokratie nicht anschließen
können. Was Wunder, daß er prinzipiell einen scharfen bürgerlichen Radikalismus
vertritt! Da er aber eben durch und durch kapitalistisch denkt und fühlt, wird
bei ihm der Radikalismus niemals weiter reichen, als das sein geschäftliches
Interesse erlaubt.

Dieser Halbheit und Inkonsequenz der radikalen Presse gesellt sich ihre
Einflußlosigkeit. Kampfrufe, die von den eignen Parteigenossen nicht ernst
genommen werden, können doch unmöglich bei der Regierung und bei den
Politischen Gegnern für wichtig gelten. So kommt es denn, daß freisinnige
Zeitungen, die über einen ungeheuern Leserkreis verfügen, doch politisch einflu߬
loser sind als irgendein Winkelblättchen, das ständiger Zuschüsse aus offnen
und geheimen Quellen bedarf. Diese riesigen Blätter können schreien, als ob
sie am Spieße steckten, gerade die maßgebenden Politiker gehn an dieser Ge¬
sangsaufführung mit stillem Lächeln vorüber.

Desto mehr ziehen solche Varietekunststückchen die Massen an. Daher eben
die große Auflage dieser Blätter. Aber das breite Publikum, das den ebenfalls
im Schreien geübten Zeitungsverkäufern die noch nicht trocknen Blätter aus
den Händen windet, hat natürlich noch weit weniger als der prinzipientreue
Leserstamm mit dem Freisinn zu tun. Dort nennt man sich und wählt doch
wenigstens freisinnig, hierüber bestehen kaum irgendwelche Verbindungslinien


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[0259] Zur Psychologie der radikalen Presse teil und tut so, als ob man nie etwas andres behauptet habe. Oder wenn das gar nicht geht, nimmt man ohne Kommentar eine Notiz auf, die beginnt: „Man schreibt uns". Darin kann dann lustig alles Frühere auf den Kopf gestellt werden. Noch ergötzlicher ist die Diskrepanz zwischen politischem Teil und Handels¬ teil in einer und derselben Nummer. Im Gegensatz zum politischen Teil nehmen die Leser den Handelsteil sehr ernst, weil sie daraus positive, ihren Geschäften dienliche Mitteilungen schöpfen. Nun ist es höchst spaßig, wenn vorn in der Zeitung etwa die Wertzuwachssteuer als weiseste Maßregel gepriesen, hinten aber jede neue Steuer auf den Grundbesitz schroff abgelehnt wird. Oder wenn man vorn wieder einmal eine neue Belastung der Unternehmer aus sozial- Politischen Rücksichten fordert, während man hinten mit der gleichen Entschieden¬ heit erklärt, endlich einmal müßte die Vergrößerung der Spesen aus der Sozialpolitik aufhören, die unsre internationale Konkurrenzfähigkeit schmälere. Weitere Beispiele anzuführen, ist unnötig: beinahe jede Nummer eines frei¬ sinnigen Blattes bringt sie in schönster Fülle. Dieses ganze Doppelspiel hängt eng mit.der jüdischen Znsammensetzung der freisinnigen Parteien zusammen. Man wird nicht übertreiben in der An¬ nahme, daß sich ein bedeutender Bruchteil — und gerade ziemlich der ein¬ flußreichste — der freisinnigen Parteien aus Juden rekrutiert. Der Jude ist infolge seiner immer noch bedrückten Lage förmlich in eine Oppositionsstellung gedrängt, wird sich doch aber andrerseits, sofern er nur einigermaßen im ge¬ schäftlichen Leben steht, der antikapitalistischen Sozialdemokratie nicht anschließen können. Was Wunder, daß er prinzipiell einen scharfen bürgerlichen Radikalismus vertritt! Da er aber eben durch und durch kapitalistisch denkt und fühlt, wird bei ihm der Radikalismus niemals weiter reichen, als das sein geschäftliches Interesse erlaubt. Dieser Halbheit und Inkonsequenz der radikalen Presse gesellt sich ihre Einflußlosigkeit. Kampfrufe, die von den eignen Parteigenossen nicht ernst genommen werden, können doch unmöglich bei der Regierung und bei den Politischen Gegnern für wichtig gelten. So kommt es denn, daß freisinnige Zeitungen, die über einen ungeheuern Leserkreis verfügen, doch politisch einflu߬ loser sind als irgendein Winkelblättchen, das ständiger Zuschüsse aus offnen und geheimen Quellen bedarf. Diese riesigen Blätter können schreien, als ob sie am Spieße steckten, gerade die maßgebenden Politiker gehn an dieser Ge¬ sangsaufführung mit stillem Lächeln vorüber. Desto mehr ziehen solche Varietekunststückchen die Massen an. Daher eben die große Auflage dieser Blätter. Aber das breite Publikum, das den ebenfalls im Schreien geübten Zeitungsverkäufern die noch nicht trocknen Blätter aus den Händen windet, hat natürlich noch weit weniger als der prinzipientreue Leserstamm mit dem Freisinn zu tun. Dort nennt man sich und wählt doch wenigstens freisinnig, hierüber bestehen kaum irgendwelche Verbindungslinien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/259>, abgerufen am 24.07.2024.