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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Der rote Hahn

Assessor Richter nahm die Nachricht vom Geständnis des Myggefjedmannes
mit Ruhe und scheinbarer Gleichgiltigkeit auf. Frederiksen war in diesen Tagen
sehr klein geworden. Dann fand der Assessor Trost in der Erwägung, daß Seydewitz
es veranlaßt hatte, und in seiner Freundschaft war der verhaßte Untersuchungsrichter
treu. Die nächste Post aus jener Gegend brachte ihm eine Karte, die von einem
kommentierenden Briefchen begleitet war. Sie sah so aus:


X^>l M?VN^II2

Richter griff sofort nach Feder und Papier und schrieb:

Kopenhagen, den . . .


Lieber Seydewitz!

Gratuliere! Da ich es bin, der Sie und Ihre Braut zusammengeführt hat -- ich
betone dies, weil ich zu konstatieren wünsche, daß meine Mission in der Gegend
von einiger Bedeutung gewesen ist --, so bitte ich Sie, der Sie doch Wohl gegen¬
wärtig einen bedeutenden Teil des Vertrauens der jungen Dame haben, ihr von mir
zu bestellen: Als ich an dem Tage, der vermutlich Ihr Siegestag gewesen, mit ihr
von einem sechzehnjähriger Mädchen sprach, da meinte ich, was ich sagte. Sie soll
sich Mühe geben, das zu vergessen, was ich später sagte, und was ich nicht so meinte.
Es wäre edel, wenn sie es täte, verständlich, wenn sie es nicht könnte. Im übrigen
sollen Sie so wenig wie möglich von mir mit ihr sprechen, was Sie vielleicht auch
tun. Sie sind noch jung, lieber Freund, und Sie werden mich deshalb nicht ganz
richtig beurteilen können. Sehen Sie in diesem Briefe mehr als eine höfliche Antwort.
Ich kann Ihnen sagen, so wie Sie in den Tagen waren, in denen wir dort unten
miteinander zu tun hatten, war ich einmal. Wie ich heute bin, das wissen Sie, nicht
wenig verschieden von Ihnen. Sie stehen im ersten Stadium des Weges, ich stehe
am Ende. Ich rate Ihnen, nicht fortzufahren, und ganz besonders nicht, den Weg
zu verfolgen, den ich eingeschlagen habe. Ein Jurist hat zwei Aufgaben: anzugreifen
und zu verteidigen. Werden Sie Verteidiger, dazu eignen Sie sich, und lassen Sie
mich Ihnen zum Schluß sagen, wenn Sie Verteidiger würden, würden Sie eine
gute Stütze in Ihrer kleinen Jnger finden. Ich kann nicht moralisieren, und ich
fühle wohl, daß ich sentimental werde, und daß es mir nicht steht. Ich liebe Jugend
und Schönheit. , -

Was meint er damit? fragte Jnger.

Das werde ich dir später erzählen, meinte Seydewitz, aber er hat Recht. Ein
Jurist kann Ankläger oder Verteidiger sein, ich will Verteidiger sein. Schon aus
dem Grunde, weil ich nur da, wo es zu verteidige" gibt, sicher sein kann, dich an
meiner Seite zu wissen, Jnger.

Und ich will dich an meiner Seite wissen, Jnger, bei allem, was ich, auch tue. --

So endete die Erzählung vom roten Hahn, idyllischer, als man hätte erwarten
dürfen. Sie handelte ja immerhin von so gefährlichen Dingen wie Flammen, Liebe
und Irrsinn. Aber allerdings nur in einer kleinen, freundlichen Stadt- Du lieber
Gott ja! --




Der rote Hahn

Assessor Richter nahm die Nachricht vom Geständnis des Myggefjedmannes
mit Ruhe und scheinbarer Gleichgiltigkeit auf. Frederiksen war in diesen Tagen
sehr klein geworden. Dann fand der Assessor Trost in der Erwägung, daß Seydewitz
es veranlaßt hatte, und in seiner Freundschaft war der verhaßte Untersuchungsrichter
treu. Die nächste Post aus jener Gegend brachte ihm eine Karte, die von einem
kommentierenden Briefchen begleitet war. Sie sah so aus:


X^>l M?VN^II2

Richter griff sofort nach Feder und Papier und schrieb:

Kopenhagen, den . . .


Lieber Seydewitz!

Gratuliere! Da ich es bin, der Sie und Ihre Braut zusammengeführt hat — ich
betone dies, weil ich zu konstatieren wünsche, daß meine Mission in der Gegend
von einiger Bedeutung gewesen ist —, so bitte ich Sie, der Sie doch Wohl gegen¬
wärtig einen bedeutenden Teil des Vertrauens der jungen Dame haben, ihr von mir
zu bestellen: Als ich an dem Tage, der vermutlich Ihr Siegestag gewesen, mit ihr
von einem sechzehnjähriger Mädchen sprach, da meinte ich, was ich sagte. Sie soll
sich Mühe geben, das zu vergessen, was ich später sagte, und was ich nicht so meinte.
Es wäre edel, wenn sie es täte, verständlich, wenn sie es nicht könnte. Im übrigen
sollen Sie so wenig wie möglich von mir mit ihr sprechen, was Sie vielleicht auch
tun. Sie sind noch jung, lieber Freund, und Sie werden mich deshalb nicht ganz
richtig beurteilen können. Sehen Sie in diesem Briefe mehr als eine höfliche Antwort.
Ich kann Ihnen sagen, so wie Sie in den Tagen waren, in denen wir dort unten
miteinander zu tun hatten, war ich einmal. Wie ich heute bin, das wissen Sie, nicht
wenig verschieden von Ihnen. Sie stehen im ersten Stadium des Weges, ich stehe
am Ende. Ich rate Ihnen, nicht fortzufahren, und ganz besonders nicht, den Weg
zu verfolgen, den ich eingeschlagen habe. Ein Jurist hat zwei Aufgaben: anzugreifen
und zu verteidigen. Werden Sie Verteidiger, dazu eignen Sie sich, und lassen Sie
mich Ihnen zum Schluß sagen, wenn Sie Verteidiger würden, würden Sie eine
gute Stütze in Ihrer kleinen Jnger finden. Ich kann nicht moralisieren, und ich
fühle wohl, daß ich sentimental werde, und daß es mir nicht steht. Ich liebe Jugend
und Schönheit. , -

Was meint er damit? fragte Jnger.

Das werde ich dir später erzählen, meinte Seydewitz, aber er hat Recht. Ein
Jurist kann Ankläger oder Verteidiger sein, ich will Verteidiger sein. Schon aus
dem Grunde, weil ich nur da, wo es zu verteidige» gibt, sicher sein kann, dich an
meiner Seite zu wissen, Jnger.

Und ich will dich an meiner Seite wissen, Jnger, bei allem, was ich, auch tue. —

So endete die Erzählung vom roten Hahn, idyllischer, als man hätte erwarten
dürfen. Sie handelte ja immerhin von so gefährlichen Dingen wie Flammen, Liebe
und Irrsinn. Aber allerdings nur in einer kleinen, freundlichen Stadt- Du lieber
Gott ja! —




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[0251] Der rote Hahn Assessor Richter nahm die Nachricht vom Geständnis des Myggefjedmannes mit Ruhe und scheinbarer Gleichgiltigkeit auf. Frederiksen war in diesen Tagen sehr klein geworden. Dann fand der Assessor Trost in der Erwägung, daß Seydewitz es veranlaßt hatte, und in seiner Freundschaft war der verhaßte Untersuchungsrichter treu. Die nächste Post aus jener Gegend brachte ihm eine Karte, die von einem kommentierenden Briefchen begleitet war. Sie sah so aus: X^>l M?VN^II2 Richter griff sofort nach Feder und Papier und schrieb: Kopenhagen, den . . . Lieber Seydewitz! Gratuliere! Da ich es bin, der Sie und Ihre Braut zusammengeführt hat — ich betone dies, weil ich zu konstatieren wünsche, daß meine Mission in der Gegend von einiger Bedeutung gewesen ist —, so bitte ich Sie, der Sie doch Wohl gegen¬ wärtig einen bedeutenden Teil des Vertrauens der jungen Dame haben, ihr von mir zu bestellen: Als ich an dem Tage, der vermutlich Ihr Siegestag gewesen, mit ihr von einem sechzehnjähriger Mädchen sprach, da meinte ich, was ich sagte. Sie soll sich Mühe geben, das zu vergessen, was ich später sagte, und was ich nicht so meinte. Es wäre edel, wenn sie es täte, verständlich, wenn sie es nicht könnte. Im übrigen sollen Sie so wenig wie möglich von mir mit ihr sprechen, was Sie vielleicht auch tun. Sie sind noch jung, lieber Freund, und Sie werden mich deshalb nicht ganz richtig beurteilen können. Sehen Sie in diesem Briefe mehr als eine höfliche Antwort. Ich kann Ihnen sagen, so wie Sie in den Tagen waren, in denen wir dort unten miteinander zu tun hatten, war ich einmal. Wie ich heute bin, das wissen Sie, nicht wenig verschieden von Ihnen. Sie stehen im ersten Stadium des Weges, ich stehe am Ende. Ich rate Ihnen, nicht fortzufahren, und ganz besonders nicht, den Weg zu verfolgen, den ich eingeschlagen habe. Ein Jurist hat zwei Aufgaben: anzugreifen und zu verteidigen. Werden Sie Verteidiger, dazu eignen Sie sich, und lassen Sie mich Ihnen zum Schluß sagen, wenn Sie Verteidiger würden, würden Sie eine gute Stütze in Ihrer kleinen Jnger finden. Ich kann nicht moralisieren, und ich fühle wohl, daß ich sentimental werde, und daß es mir nicht steht. Ich liebe Jugend und Schönheit. , - Was meint er damit? fragte Jnger. Das werde ich dir später erzählen, meinte Seydewitz, aber er hat Recht. Ein Jurist kann Ankläger oder Verteidiger sein, ich will Verteidiger sein. Schon aus dem Grunde, weil ich nur da, wo es zu verteidige» gibt, sicher sein kann, dich an meiner Seite zu wissen, Jnger. Und ich will dich an meiner Seite wissen, Jnger, bei allem, was ich, auch tue. — So endete die Erzählung vom roten Hahn, idyllischer, als man hätte erwarten dürfen. Sie handelte ja immerhin von so gefährlichen Dingen wie Flammen, Liebe und Irrsinn. Aber allerdings nur in einer kleinen, freundlichen Stadt- Du lieber Gott ja! —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/251>, abgerufen am 24.07.2024.