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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei

komplizierte Naturen, die ihn anziehn. Nur daß hier freilich persönliche Leiden¬
schaft mit ganz andrer Stärke spricht als in den Türkischen Geschichten. Ein
Amnesi verläßt den Herrn und Wohltätet und kehrt von Konstantinopel in die
Heimat zurück, weil der Effendi das arabische Roß, mit dein jener wie ver¬
wachsen war, einer Frau schenkt.

"Djinn (so heißt das Pferd) ist im Stall der Botschaft. Sattel und Zaum¬
zeug habe ich zurückgebracht. Nun verlasse ich dich.

Der Mann stand in dem Augenblick Seelenschmerzen aus -- das erkannte
ich an seiner Haltung, dem Ausdruck seines Gesichts und an dem verstörten
Blick der Augen, die tief in ihre Höhlen zurückgesunken waren.

Warum willst du mich verlassen? fragte ich.

Weil du dein bestes Pferd einer Frau geschenkt hast.

Ich habe andre Pferde, die du pflegen kannst.

Du hast Djinn verschenkt -- an eine Frau.

Ich empfand etwas wie Gewissensbisse und konnte dem Mann nicht zürnen:
Möchtest du bei Djinn bleiben? fragte ich.

Ja.

So werde ich dich der Gräfin anempfehlen. Sie wird dich vielleicht in
ihre Dienste nehmen.

Da richtete er seine lange, hagere Gestalt aus der gebeugten Haltung
empor, in der er vor mir gestanden hatte, und sagte: Ich diene keiner Frau. "

Knapp, wie hier, gehn überall Rede und Gegenrede, wenn Leidenschaften
sprechen. Ein Jüngling, halb noch Knabe, wird trotz dringenden Bitten von
dem Effendi nicht zum Kriegszuge ausgemustert: "Später wollen wir sehen.
Heute bist du noch ein Kind. -- Ich werde dir beweisen, daß ich kein Kind
mehr bin.

Der dunkeläugige Junge geht freiwillig mit, kämpft wie ein junger
Löwe, und auf dem Sterbebett im Lazarett entblößt er die breite Wunde: Bin
ich ein Kind -- bin ich ein Kind? fragte er ganz leise, traurig, rührend.

Du bist ein ganzer Mann.

Darauf schloß er mit einem glücklichen Lächeln die schönen müden Augen."

Eine holde, in arabische Nachtstimmung getauchte Liebesgeschichte ist
"Salihah". Salihah gehört in der Verschwiegenheit des Hauses zu Bagdad
viele Monate dem Erzähler an. Aber er kann den Zugvogel nicht halten, den
des Vaters Wille zurückruft, und ein spätes Begegnen weckt nur noch einmal
schwermütig schöne Erinnerung unter dem Klang des Liedes, mit dem sich die
Araberin dem Geliebten ins Herz gesungen hat.

In stummen Schmerzen verlöscht das Leben des Mischlings, dem die
Tochter des türkischen Edeln versagt bleibt. Aber ihre Liebe währt über sein
Grab hinaus.

Nicht nur die ethnologisch interessanteste, sondern auch die dem poetischen
Gehalt nach schönste dieser Erzählungen ist "Hattidja, die Ruferin zum Streit".


Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei

komplizierte Naturen, die ihn anziehn. Nur daß hier freilich persönliche Leiden¬
schaft mit ganz andrer Stärke spricht als in den Türkischen Geschichten. Ein
Amnesi verläßt den Herrn und Wohltätet und kehrt von Konstantinopel in die
Heimat zurück, weil der Effendi das arabische Roß, mit dein jener wie ver¬
wachsen war, einer Frau schenkt.

„Djinn (so heißt das Pferd) ist im Stall der Botschaft. Sattel und Zaum¬
zeug habe ich zurückgebracht. Nun verlasse ich dich.

Der Mann stand in dem Augenblick Seelenschmerzen aus — das erkannte
ich an seiner Haltung, dem Ausdruck seines Gesichts und an dem verstörten
Blick der Augen, die tief in ihre Höhlen zurückgesunken waren.

Warum willst du mich verlassen? fragte ich.

Weil du dein bestes Pferd einer Frau geschenkt hast.

Ich habe andre Pferde, die du pflegen kannst.

Du hast Djinn verschenkt — an eine Frau.

Ich empfand etwas wie Gewissensbisse und konnte dem Mann nicht zürnen:
Möchtest du bei Djinn bleiben? fragte ich.

Ja.

So werde ich dich der Gräfin anempfehlen. Sie wird dich vielleicht in
ihre Dienste nehmen.

Da richtete er seine lange, hagere Gestalt aus der gebeugten Haltung
empor, in der er vor mir gestanden hatte, und sagte: Ich diene keiner Frau. "

Knapp, wie hier, gehn überall Rede und Gegenrede, wenn Leidenschaften
sprechen. Ein Jüngling, halb noch Knabe, wird trotz dringenden Bitten von
dem Effendi nicht zum Kriegszuge ausgemustert: „Später wollen wir sehen.
Heute bist du noch ein Kind. — Ich werde dir beweisen, daß ich kein Kind
mehr bin.

Der dunkeläugige Junge geht freiwillig mit, kämpft wie ein junger
Löwe, und auf dem Sterbebett im Lazarett entblößt er die breite Wunde: Bin
ich ein Kind — bin ich ein Kind? fragte er ganz leise, traurig, rührend.

Du bist ein ganzer Mann.

Darauf schloß er mit einem glücklichen Lächeln die schönen müden Augen."

Eine holde, in arabische Nachtstimmung getauchte Liebesgeschichte ist
„Salihah". Salihah gehört in der Verschwiegenheit des Hauses zu Bagdad
viele Monate dem Erzähler an. Aber er kann den Zugvogel nicht halten, den
des Vaters Wille zurückruft, und ein spätes Begegnen weckt nur noch einmal
schwermütig schöne Erinnerung unter dem Klang des Liedes, mit dem sich die
Araberin dem Geliebten ins Herz gesungen hat.

In stummen Schmerzen verlöscht das Leben des Mischlings, dem die
Tochter des türkischen Edeln versagt bleibt. Aber ihre Liebe währt über sein
Grab hinaus.

Nicht nur die ethnologisch interessanteste, sondern auch die dem poetischen
Gehalt nach schönste dieser Erzählungen ist „Hattidja, die Ruferin zum Streit".


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[0240] Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei komplizierte Naturen, die ihn anziehn. Nur daß hier freilich persönliche Leiden¬ schaft mit ganz andrer Stärke spricht als in den Türkischen Geschichten. Ein Amnesi verläßt den Herrn und Wohltätet und kehrt von Konstantinopel in die Heimat zurück, weil der Effendi das arabische Roß, mit dein jener wie ver¬ wachsen war, einer Frau schenkt. „Djinn (so heißt das Pferd) ist im Stall der Botschaft. Sattel und Zaum¬ zeug habe ich zurückgebracht. Nun verlasse ich dich. Der Mann stand in dem Augenblick Seelenschmerzen aus — das erkannte ich an seiner Haltung, dem Ausdruck seines Gesichts und an dem verstörten Blick der Augen, die tief in ihre Höhlen zurückgesunken waren. Warum willst du mich verlassen? fragte ich. Weil du dein bestes Pferd einer Frau geschenkt hast. Ich habe andre Pferde, die du pflegen kannst. Du hast Djinn verschenkt — an eine Frau. Ich empfand etwas wie Gewissensbisse und konnte dem Mann nicht zürnen: Möchtest du bei Djinn bleiben? fragte ich. Ja. So werde ich dich der Gräfin anempfehlen. Sie wird dich vielleicht in ihre Dienste nehmen. Da richtete er seine lange, hagere Gestalt aus der gebeugten Haltung empor, in der er vor mir gestanden hatte, und sagte: Ich diene keiner Frau. " Knapp, wie hier, gehn überall Rede und Gegenrede, wenn Leidenschaften sprechen. Ein Jüngling, halb noch Knabe, wird trotz dringenden Bitten von dem Effendi nicht zum Kriegszuge ausgemustert: „Später wollen wir sehen. Heute bist du noch ein Kind. — Ich werde dir beweisen, daß ich kein Kind mehr bin. Der dunkeläugige Junge geht freiwillig mit, kämpft wie ein junger Löwe, und auf dem Sterbebett im Lazarett entblößt er die breite Wunde: Bin ich ein Kind — bin ich ein Kind? fragte er ganz leise, traurig, rührend. Du bist ein ganzer Mann. Darauf schloß er mit einem glücklichen Lächeln die schönen müden Augen." Eine holde, in arabische Nachtstimmung getauchte Liebesgeschichte ist „Salihah". Salihah gehört in der Verschwiegenheit des Hauses zu Bagdad viele Monate dem Erzähler an. Aber er kann den Zugvogel nicht halten, den des Vaters Wille zurückruft, und ein spätes Begegnen weckt nur noch einmal schwermütig schöne Erinnerung unter dem Klang des Liedes, mit dem sich die Araberin dem Geliebten ins Herz gesungen hat. In stummen Schmerzen verlöscht das Leben des Mischlings, dem die Tochter des türkischen Edeln versagt bleibt. Aber ihre Liebe währt über sein Grab hinaus. Nicht nur die ethnologisch interessanteste, sondern auch die dem poetischen Gehalt nach schönste dieser Erzählungen ist „Hattidja, die Ruferin zum Streit".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/240>, abgerufen am 24.07.2024.