Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei

Ernst ist, nach türkischer Auffassung, nächst Gottesfurcht und Tapferkeit die
Eigenschaft, die den Mann am meisten ziert.

Mein Freund darf auf seinen Vater stolz sein, der zu den höchsten Würden¬
trägern des Reichs gezählt hat, und dem er eine ungewöhnlich sorgfältige,
wissenschaftliche Erziehung verdankt, die ihn auch im Abendlande zu einem
ebenbürtigen Mitgliede der gebildeten Kreise machen würde..... Er hat während
langer Zeit die großen Hauptstädte Europas bewohnt, und seine Unterhaltung
gibt, ohne jede Prahlsucht, in selbstverständlicher Weise zu erkennen, daß er
mit den besten Gelehrten und Künstlern unsrer Zeit in regem Verkehr ge¬
standen hat und teilweise noch steht. Er bewohnt am untern Bosporus in
einem Dorfe, etwa eine deutsche Meile von Stambul entfernt, ein geräumiges,
gut gehaltenes Haus, in dem er eine liebenswürdige, anspruchslose Gast¬
freundschaft ausübt....

Es ist ein friedliches, freundliches Haus, das Haus, von dem ich spreche,
ein Aufenthalt für Menschen, die ohne Lärm glücklich sein wollen und können.
In einem seiner stillen Zimmer pflege ich mit meinem Freunde zusammen¬
zutreffen, und dort lausche ich gern seinen Erzählungen, von denen ich versuchen
will, einige, in den Worten des Erzählers, soweit sie mir im Gedächtnis ge¬
blieben sind, wiederzugeben."

Hier atmen wir nun in historischem türkischem Milieu. Zu uns spricht
durch und mit Lindau ein Mann, der innerhalb des ottomanischen Reichs ähn¬
liche Sendungen ausgeführt hat, wie sie Rudolf Lindau selbst in Westeuropa
und für die Schweiz in Ostasien oblagen, und wie seine deutschen Amtsgenossen
sie erhielten. Nur bekommt alles einen besonders reizvollen Charakter, weil
sich der Effendi fortwährend in unsichern Teilen des Kalifats bewegt. In
Bagdad ist er dem Gouverneur beigegeben, als 1869 räuberische Banden an
der türkisch-persischen Grenze bekämpft werden müssen, er verlebt dort schöne
Tage auf dem Ruhesitz eines von den Engländern entthronten indischen Königs
und nimmt an der Unterdrückung Aufständischer teil, die dem neuen Gesetz
allgemeiner Wehrpflicht nicht gehorchen wollen.

Der Effendi selbst ist Türke. Aber die Menschen, mit denen er zusammen¬
kommt, und deren Geschicke sich seinem Gedächtnis und oft genug seinem Herzen
eingraben, sind andern Bluts: Araber, Jndier, Mischlinge aus Araber- und
Negerblut. Ihr Leben ist anders. Die frei in der Wüste reitenden Beduinen,
die Zelte bewohnenden Scheichs, die ihren Ursprung in unmittelbarer Folge
vom Propheten selbst ableiten, sind wesentlich andre Menschen als die unter
dem Halbmond der Haja Sophia und der Hohen Pforte in einer Millionen¬
stadt versammelten Türken. Wie das Tier der Wüste, lieben sie die Freiheit,
und ihre Herrscher bleiben Fürsten, auch wenn sie sich dem Großherrn und
seinem Pascha ehrlich und ehrfürchtig beugen.

Auch diesen Erzähler geht unter dem herrlich milden Himmel Mesopotamiens
immer wieder der Mensch am nächsten an. Und wieder sind es gerade, un-


Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei

Ernst ist, nach türkischer Auffassung, nächst Gottesfurcht und Tapferkeit die
Eigenschaft, die den Mann am meisten ziert.

Mein Freund darf auf seinen Vater stolz sein, der zu den höchsten Würden¬
trägern des Reichs gezählt hat, und dem er eine ungewöhnlich sorgfältige,
wissenschaftliche Erziehung verdankt, die ihn auch im Abendlande zu einem
ebenbürtigen Mitgliede der gebildeten Kreise machen würde..... Er hat während
langer Zeit die großen Hauptstädte Europas bewohnt, und seine Unterhaltung
gibt, ohne jede Prahlsucht, in selbstverständlicher Weise zu erkennen, daß er
mit den besten Gelehrten und Künstlern unsrer Zeit in regem Verkehr ge¬
standen hat und teilweise noch steht. Er bewohnt am untern Bosporus in
einem Dorfe, etwa eine deutsche Meile von Stambul entfernt, ein geräumiges,
gut gehaltenes Haus, in dem er eine liebenswürdige, anspruchslose Gast¬
freundschaft ausübt....

Es ist ein friedliches, freundliches Haus, das Haus, von dem ich spreche,
ein Aufenthalt für Menschen, die ohne Lärm glücklich sein wollen und können.
In einem seiner stillen Zimmer pflege ich mit meinem Freunde zusammen¬
zutreffen, und dort lausche ich gern seinen Erzählungen, von denen ich versuchen
will, einige, in den Worten des Erzählers, soweit sie mir im Gedächtnis ge¬
blieben sind, wiederzugeben."

Hier atmen wir nun in historischem türkischem Milieu. Zu uns spricht
durch und mit Lindau ein Mann, der innerhalb des ottomanischen Reichs ähn¬
liche Sendungen ausgeführt hat, wie sie Rudolf Lindau selbst in Westeuropa
und für die Schweiz in Ostasien oblagen, und wie seine deutschen Amtsgenossen
sie erhielten. Nur bekommt alles einen besonders reizvollen Charakter, weil
sich der Effendi fortwährend in unsichern Teilen des Kalifats bewegt. In
Bagdad ist er dem Gouverneur beigegeben, als 1869 räuberische Banden an
der türkisch-persischen Grenze bekämpft werden müssen, er verlebt dort schöne
Tage auf dem Ruhesitz eines von den Engländern entthronten indischen Königs
und nimmt an der Unterdrückung Aufständischer teil, die dem neuen Gesetz
allgemeiner Wehrpflicht nicht gehorchen wollen.

Der Effendi selbst ist Türke. Aber die Menschen, mit denen er zusammen¬
kommt, und deren Geschicke sich seinem Gedächtnis und oft genug seinem Herzen
eingraben, sind andern Bluts: Araber, Jndier, Mischlinge aus Araber- und
Negerblut. Ihr Leben ist anders. Die frei in der Wüste reitenden Beduinen,
die Zelte bewohnenden Scheichs, die ihren Ursprung in unmittelbarer Folge
vom Propheten selbst ableiten, sind wesentlich andre Menschen als die unter
dem Halbmond der Haja Sophia und der Hohen Pforte in einer Millionen¬
stadt versammelten Türken. Wie das Tier der Wüste, lieben sie die Freiheit,
und ihre Herrscher bleiben Fürsten, auch wenn sie sich dem Großherrn und
seinem Pascha ehrlich und ehrfürchtig beugen.

Auch diesen Erzähler geht unter dem herrlich milden Himmel Mesopotamiens
immer wieder der Mensch am nächsten an. Und wieder sind es gerade, un-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314586"/>
          <fw type="header" place="top"> Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1154" prev="#ID_1153"> Ernst ist, nach türkischer Auffassung, nächst Gottesfurcht und Tapferkeit die<lb/>
Eigenschaft, die den Mann am meisten ziert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1155"> Mein Freund darf auf seinen Vater stolz sein, der zu den höchsten Würden¬<lb/>
trägern des Reichs gezählt hat, und dem er eine ungewöhnlich sorgfältige,<lb/>
wissenschaftliche Erziehung verdankt, die ihn auch im Abendlande zu einem<lb/>
ebenbürtigen Mitgliede der gebildeten Kreise machen würde.....    Er hat während<lb/>
langer Zeit die großen Hauptstädte Europas bewohnt, und seine Unterhaltung<lb/>
gibt, ohne jede Prahlsucht, in selbstverständlicher Weise zu erkennen, daß er<lb/>
mit den besten Gelehrten und Künstlern unsrer Zeit in regem Verkehr ge¬<lb/>
standen hat und teilweise noch steht. Er bewohnt am untern Bosporus in<lb/>
einem Dorfe, etwa eine deutsche Meile von Stambul entfernt, ein geräumiges,<lb/>
gut gehaltenes Haus, in dem er eine liebenswürdige, anspruchslose Gast¬<lb/>
freundschaft ausübt....</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1156"> Es ist ein friedliches, freundliches Haus, das Haus, von dem ich spreche,<lb/>
ein Aufenthalt für Menschen, die ohne Lärm glücklich sein wollen und können.<lb/>
In einem seiner stillen Zimmer pflege ich mit meinem Freunde zusammen¬<lb/>
zutreffen, und dort lausche ich gern seinen Erzählungen, von denen ich versuchen<lb/>
will, einige, in den Worten des Erzählers, soweit sie mir im Gedächtnis ge¬<lb/>
blieben sind, wiederzugeben."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1157"> Hier atmen wir nun in historischem türkischem Milieu. Zu uns spricht<lb/>
durch und mit Lindau ein Mann, der innerhalb des ottomanischen Reichs ähn¬<lb/>
liche Sendungen ausgeführt hat, wie sie Rudolf Lindau selbst in Westeuropa<lb/>
und für die Schweiz in Ostasien oblagen, und wie seine deutschen Amtsgenossen<lb/>
sie erhielten. Nur bekommt alles einen besonders reizvollen Charakter, weil<lb/>
sich der Effendi fortwährend in unsichern Teilen des Kalifats bewegt. In<lb/>
Bagdad ist er dem Gouverneur beigegeben, als 1869 räuberische Banden an<lb/>
der türkisch-persischen Grenze bekämpft werden müssen, er verlebt dort schöne<lb/>
Tage auf dem Ruhesitz eines von den Engländern entthronten indischen Königs<lb/>
und nimmt an der Unterdrückung Aufständischer teil, die dem neuen Gesetz<lb/>
allgemeiner Wehrpflicht nicht gehorchen wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1158"> Der Effendi selbst ist Türke. Aber die Menschen, mit denen er zusammen¬<lb/>
kommt, und deren Geschicke sich seinem Gedächtnis und oft genug seinem Herzen<lb/>
eingraben, sind andern Bluts: Araber, Jndier, Mischlinge aus Araber- und<lb/>
Negerblut. Ihr Leben ist anders. Die frei in der Wüste reitenden Beduinen,<lb/>
die Zelte bewohnenden Scheichs, die ihren Ursprung in unmittelbarer Folge<lb/>
vom Propheten selbst ableiten, sind wesentlich andre Menschen als die unter<lb/>
dem Halbmond der Haja Sophia und der Hohen Pforte in einer Millionen¬<lb/>
stadt versammelten Türken. Wie das Tier der Wüste, lieben sie die Freiheit,<lb/>
und ihre Herrscher bleiben Fürsten, auch wenn sie sich dem Großherrn und<lb/>
seinem Pascha ehrlich und ehrfürchtig beugen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1159" next="#ID_1160"> Auch diesen Erzähler geht unter dem herrlich milden Himmel Mesopotamiens<lb/>
immer wieder der Mensch am nächsten an.  Und wieder sind es gerade, un-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0239] Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei Ernst ist, nach türkischer Auffassung, nächst Gottesfurcht und Tapferkeit die Eigenschaft, die den Mann am meisten ziert. Mein Freund darf auf seinen Vater stolz sein, der zu den höchsten Würden¬ trägern des Reichs gezählt hat, und dem er eine ungewöhnlich sorgfältige, wissenschaftliche Erziehung verdankt, die ihn auch im Abendlande zu einem ebenbürtigen Mitgliede der gebildeten Kreise machen würde..... Er hat während langer Zeit die großen Hauptstädte Europas bewohnt, und seine Unterhaltung gibt, ohne jede Prahlsucht, in selbstverständlicher Weise zu erkennen, daß er mit den besten Gelehrten und Künstlern unsrer Zeit in regem Verkehr ge¬ standen hat und teilweise noch steht. Er bewohnt am untern Bosporus in einem Dorfe, etwa eine deutsche Meile von Stambul entfernt, ein geräumiges, gut gehaltenes Haus, in dem er eine liebenswürdige, anspruchslose Gast¬ freundschaft ausübt.... Es ist ein friedliches, freundliches Haus, das Haus, von dem ich spreche, ein Aufenthalt für Menschen, die ohne Lärm glücklich sein wollen und können. In einem seiner stillen Zimmer pflege ich mit meinem Freunde zusammen¬ zutreffen, und dort lausche ich gern seinen Erzählungen, von denen ich versuchen will, einige, in den Worten des Erzählers, soweit sie mir im Gedächtnis ge¬ blieben sind, wiederzugeben." Hier atmen wir nun in historischem türkischem Milieu. Zu uns spricht durch und mit Lindau ein Mann, der innerhalb des ottomanischen Reichs ähn¬ liche Sendungen ausgeführt hat, wie sie Rudolf Lindau selbst in Westeuropa und für die Schweiz in Ostasien oblagen, und wie seine deutschen Amtsgenossen sie erhielten. Nur bekommt alles einen besonders reizvollen Charakter, weil sich der Effendi fortwährend in unsichern Teilen des Kalifats bewegt. In Bagdad ist er dem Gouverneur beigegeben, als 1869 räuberische Banden an der türkisch-persischen Grenze bekämpft werden müssen, er verlebt dort schöne Tage auf dem Ruhesitz eines von den Engländern entthronten indischen Königs und nimmt an der Unterdrückung Aufständischer teil, die dem neuen Gesetz allgemeiner Wehrpflicht nicht gehorchen wollen. Der Effendi selbst ist Türke. Aber die Menschen, mit denen er zusammen¬ kommt, und deren Geschicke sich seinem Gedächtnis und oft genug seinem Herzen eingraben, sind andern Bluts: Araber, Jndier, Mischlinge aus Araber- und Negerblut. Ihr Leben ist anders. Die frei in der Wüste reitenden Beduinen, die Zelte bewohnenden Scheichs, die ihren Ursprung in unmittelbarer Folge vom Propheten selbst ableiten, sind wesentlich andre Menschen als die unter dem Halbmond der Haja Sophia und der Hohen Pforte in einer Millionen¬ stadt versammelten Türken. Wie das Tier der Wüste, lieben sie die Freiheit, und ihre Herrscher bleiben Fürsten, auch wenn sie sich dem Großherrn und seinem Pascha ehrlich und ehrfürchtig beugen. Auch diesen Erzähler geht unter dem herrlich milden Himmel Mesopotamiens immer wieder der Mensch am nächsten an. Und wieder sind es gerade, un-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/239
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/239>, abgerufen am 24.07.2024.