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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei

Helden, deren stilles, festes Herz am Ende belohnt wird. Denn keine dieser
Erzählungen verläuft tragisch, in jeder findet ganz nach Märchenart die Be¬
währung ihren Preis, den fast immer der Großherr selbst austeilt. Er, der
Sultan, erhebt den gehorsamen Sohn eines kurzen Eheglücks im fernen Asien
an seine Seite, er stellt die heimlich dem Unerkannten angetraute schöne und
reine Frau allen sichtbar auf den Thron neben sich, er gibt der Tochter, die
Liebesgram verzehrt, den Gatten ihrer Sehnsucht, er stiftet durch humorvolles
Entgegenkommen gegen einen schlauen armenischen Beamten eine sozial ungleiche
Ehe, er nimmt die totgeglaubte Tochter wieder an sein Herz und löst ihren
Gatten vom Tode, dem er nach dem strengen Gesetz des Islam verfallen wäre.
Er gewährt der Lieblingstochter die gänzlich dem Herkommen widersprechende
Möglichkeit, durch echte Weibeslist selbst den Gatten zu wählen, und er straft
die entartete Fürstentochter, die in Habsucht Hunderten zum Verderben wurde,
und stößt sie mit eigner Hand in den Tod. Aber immer bleibt dieser alles Ver¬
mögende individuell, mit wenig Strichen wird er stets aufs neue charakteristisch
gezeichnet, ein Gefäß schwerer Verantwortlichkeit und großer Weisheit, der
einzige, dem nichts verschwiegen werden darf, der Gelübde lösen und von
Eiden entbinden kann, dessen Blick über die Häupter der Umgebung weit
hinausgeht. Oft mischt er sich wie Harun al Raschid unerkannt ins Gedränge
und bewährt seine Weisheit in der Beobachtung des kleinen Mannes, und wenn
ihm eine Schönheit im Kühlen begegnet, so ist er rasch zur Hochzeit bereit,
wie er bereit ist, eignen kleinsten Frevel gegen das heilige Gesetz nach dem
vollen Wortlaut des Korans zu rügen.

Alle die Männer, die seine verdiente Huld emporhebt, und deren mancher
bis an den Tod des Herrn das höchste Amt des Reichs, das Großwesirat,
verwaltet, haben kämpfen müssen, sei es mit dem eignen leichten Blut, sei es
mit schurkischen Feinden und falschen Freunden Ihr Weg geht -- recht die
Straße Lindauscher Helden -- gerade durch, und es ist meist irgendein Derwisch
oder sonst ein hilfreicher Gönner, der Listen für sie ersinnen muß. Sie selbst
bringt Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe, die auch bis zum Tode schweigen kann,
wenn sich gelobt hat, ans Ziel. Und wenn sie im Glück sitzen, so gibts kein
Prahlen und Prunken, sondern ein vorsichtig ruhiges Genießen, eine gerechte
Führung anvertrauten Regiments. Bei einem meldet sich im Traum der Tod,
und an der Stelle, wo er einst gerechterweise zwei Leben vernichtet hat, be¬
gräbt den voll Befriedigten das treue Roß unter sich. Die andern ziehen sich
zurück, wenn ihr gnädiger Fürst gestorben ist, und leben mit Kindern und
Enkeln fern von der Hauptstadt in echter Märchenbehaglichkeit ihr Leben
zu Ende.

Anders aber die Frauen. Unter ihnen ist manche, die alle Künste unver¬
dorbner Weiblichkeit anwendet, das Glück zu erreichen. Da ist von der harm¬
losen Hauptmannsfrau, die mit leichtem Scherz ihr "Aadest", ihr Vielliebchen,
gewinnt, bis zu der totgeglaubtcn Sultan", die in den Palast zurückkehrt, ihr


Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei

Helden, deren stilles, festes Herz am Ende belohnt wird. Denn keine dieser
Erzählungen verläuft tragisch, in jeder findet ganz nach Märchenart die Be¬
währung ihren Preis, den fast immer der Großherr selbst austeilt. Er, der
Sultan, erhebt den gehorsamen Sohn eines kurzen Eheglücks im fernen Asien
an seine Seite, er stellt die heimlich dem Unerkannten angetraute schöne und
reine Frau allen sichtbar auf den Thron neben sich, er gibt der Tochter, die
Liebesgram verzehrt, den Gatten ihrer Sehnsucht, er stiftet durch humorvolles
Entgegenkommen gegen einen schlauen armenischen Beamten eine sozial ungleiche
Ehe, er nimmt die totgeglaubte Tochter wieder an sein Herz und löst ihren
Gatten vom Tode, dem er nach dem strengen Gesetz des Islam verfallen wäre.
Er gewährt der Lieblingstochter die gänzlich dem Herkommen widersprechende
Möglichkeit, durch echte Weibeslist selbst den Gatten zu wählen, und er straft
die entartete Fürstentochter, die in Habsucht Hunderten zum Verderben wurde,
und stößt sie mit eigner Hand in den Tod. Aber immer bleibt dieser alles Ver¬
mögende individuell, mit wenig Strichen wird er stets aufs neue charakteristisch
gezeichnet, ein Gefäß schwerer Verantwortlichkeit und großer Weisheit, der
einzige, dem nichts verschwiegen werden darf, der Gelübde lösen und von
Eiden entbinden kann, dessen Blick über die Häupter der Umgebung weit
hinausgeht. Oft mischt er sich wie Harun al Raschid unerkannt ins Gedränge
und bewährt seine Weisheit in der Beobachtung des kleinen Mannes, und wenn
ihm eine Schönheit im Kühlen begegnet, so ist er rasch zur Hochzeit bereit,
wie er bereit ist, eignen kleinsten Frevel gegen das heilige Gesetz nach dem
vollen Wortlaut des Korans zu rügen.

Alle die Männer, die seine verdiente Huld emporhebt, und deren mancher
bis an den Tod des Herrn das höchste Amt des Reichs, das Großwesirat,
verwaltet, haben kämpfen müssen, sei es mit dem eignen leichten Blut, sei es
mit schurkischen Feinden und falschen Freunden Ihr Weg geht — recht die
Straße Lindauscher Helden — gerade durch, und es ist meist irgendein Derwisch
oder sonst ein hilfreicher Gönner, der Listen für sie ersinnen muß. Sie selbst
bringt Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe, die auch bis zum Tode schweigen kann,
wenn sich gelobt hat, ans Ziel. Und wenn sie im Glück sitzen, so gibts kein
Prahlen und Prunken, sondern ein vorsichtig ruhiges Genießen, eine gerechte
Führung anvertrauten Regiments. Bei einem meldet sich im Traum der Tod,
und an der Stelle, wo er einst gerechterweise zwei Leben vernichtet hat, be¬
gräbt den voll Befriedigten das treue Roß unter sich. Die andern ziehen sich
zurück, wenn ihr gnädiger Fürst gestorben ist, und leben mit Kindern und
Enkeln fern von der Hauptstadt in echter Märchenbehaglichkeit ihr Leben
zu Ende.

Anders aber die Frauen. Unter ihnen ist manche, die alle Künste unver¬
dorbner Weiblichkeit anwendet, das Glück zu erreichen. Da ist von der harm¬
losen Hauptmannsfrau, die mit leichtem Scherz ihr „Aadest", ihr Vielliebchen,
gewinnt, bis zu der totgeglaubtcn Sultan«, die in den Palast zurückkehrt, ihr


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[0237] Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei Helden, deren stilles, festes Herz am Ende belohnt wird. Denn keine dieser Erzählungen verläuft tragisch, in jeder findet ganz nach Märchenart die Be¬ währung ihren Preis, den fast immer der Großherr selbst austeilt. Er, der Sultan, erhebt den gehorsamen Sohn eines kurzen Eheglücks im fernen Asien an seine Seite, er stellt die heimlich dem Unerkannten angetraute schöne und reine Frau allen sichtbar auf den Thron neben sich, er gibt der Tochter, die Liebesgram verzehrt, den Gatten ihrer Sehnsucht, er stiftet durch humorvolles Entgegenkommen gegen einen schlauen armenischen Beamten eine sozial ungleiche Ehe, er nimmt die totgeglaubte Tochter wieder an sein Herz und löst ihren Gatten vom Tode, dem er nach dem strengen Gesetz des Islam verfallen wäre. Er gewährt der Lieblingstochter die gänzlich dem Herkommen widersprechende Möglichkeit, durch echte Weibeslist selbst den Gatten zu wählen, und er straft die entartete Fürstentochter, die in Habsucht Hunderten zum Verderben wurde, und stößt sie mit eigner Hand in den Tod. Aber immer bleibt dieser alles Ver¬ mögende individuell, mit wenig Strichen wird er stets aufs neue charakteristisch gezeichnet, ein Gefäß schwerer Verantwortlichkeit und großer Weisheit, der einzige, dem nichts verschwiegen werden darf, der Gelübde lösen und von Eiden entbinden kann, dessen Blick über die Häupter der Umgebung weit hinausgeht. Oft mischt er sich wie Harun al Raschid unerkannt ins Gedränge und bewährt seine Weisheit in der Beobachtung des kleinen Mannes, und wenn ihm eine Schönheit im Kühlen begegnet, so ist er rasch zur Hochzeit bereit, wie er bereit ist, eignen kleinsten Frevel gegen das heilige Gesetz nach dem vollen Wortlaut des Korans zu rügen. Alle die Männer, die seine verdiente Huld emporhebt, und deren mancher bis an den Tod des Herrn das höchste Amt des Reichs, das Großwesirat, verwaltet, haben kämpfen müssen, sei es mit dem eignen leichten Blut, sei es mit schurkischen Feinden und falschen Freunden Ihr Weg geht — recht die Straße Lindauscher Helden — gerade durch, und es ist meist irgendein Derwisch oder sonst ein hilfreicher Gönner, der Listen für sie ersinnen muß. Sie selbst bringt Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe, die auch bis zum Tode schweigen kann, wenn sich gelobt hat, ans Ziel. Und wenn sie im Glück sitzen, so gibts kein Prahlen und Prunken, sondern ein vorsichtig ruhiges Genießen, eine gerechte Führung anvertrauten Regiments. Bei einem meldet sich im Traum der Tod, und an der Stelle, wo er einst gerechterweise zwei Leben vernichtet hat, be¬ gräbt den voll Befriedigten das treue Roß unter sich. Die andern ziehen sich zurück, wenn ihr gnädiger Fürst gestorben ist, und leben mit Kindern und Enkeln fern von der Hauptstadt in echter Märchenbehaglichkeit ihr Leben zu Ende. Anders aber die Frauen. Unter ihnen ist manche, die alle Künste unver¬ dorbner Weiblichkeit anwendet, das Glück zu erreichen. Da ist von der harm¬ losen Hauptmannsfrau, die mit leichtem Scherz ihr „Aadest", ihr Vielliebchen, gewinnt, bis zu der totgeglaubtcn Sultan«, die in den Palast zurückkehrt, ihr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/237>, abgerufen am 24.07.2024.