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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei

bleibt dort als Konsul, Journalist und Kaufmann, macht, zurückgekehrt, den
Deutsch-französischen Krieg im Gefolge des Prinzen August von Württemberg
mit, der das Gardekorps führt, tritt dann ins Auswärtige Amt, zunächst als
Legationssekretär bei der Botschaft in Paris, dann als Vortragender Rat für
die Presse in Berlin selbst, und zu einer Zeit, wo sich andre zur Ruhe setzen,
geht der ungebundne Hagestolz als deutsches Mitglied der türkischen Staats¬
schuldenverwaltung nach Konstantinopel. Jetzt ruht er in seinem schönen Haus
auf Helgoland von seinen Ämtern aus in wahrem otium oum cliMitats.

Spät hat er die Feder des Erzählers ergriffen, und er hatte das vierzigste
Lebensjahr schon hinter sich, als sein erster deutscher Roman erschien. Die
gewaltige Menge von Anschauung, die in allen Werken Rudolf Lindaus steckt,
hatte er vor seiner Schöpferzeit aufgenommen, und er konnte aus diesem Rohstoff
immer neu heraufholen, während sein Leben zwei Jahrzehnte lang unter ruhiger
Amtspflicht in der französischen und der deutschen Hauptstadt verlief. Gerade
diese Genesis seiner Werke hilft ihren Charakter erklären, macht den Mangel
jeder Blendung durch die fremden Eindrücke noch verständlicher; diese lagen ja
zurück, zogen, treu festgehalten, nun in stillen Stunden wieder vorbei und wiesen
dem Zurückblickenden das eigentliche, menschliche Antlitz alles Erlebten. Es darf
dabei auf den Junggescllencharakter dieser Kunst hingewiesen werden: einsam
gebliebne Menschen wie Saar, Lindau, Luise von Franc.vis, Annette von Droste,
Turgenjew, Keller schreiben anders als Familienväter und Mütter, um deren
Knie ein junges Leben spielt -- man merkt das bei Keller besonders deutlich
aus den "Züricher Novellen" und dem "Martin Salander" heraus, man
empfindet es bei den andern überall. Das Motiv der Freundschaft tritt bei
ihnen häufig neben das der Liebe oder an dessen Stelle, wie bei Lindau im
"Hans der Träumer", im "Gast", in "Gordon Baldwin", in "Liquidiert", im
"Flirt", wo es überall kein Anhängsel für das Leben, sondern von ungemein
starkem Einfluß ist. Parallelen bieten da Turgenjew in "Bäter und Söhne",
in der "Neuen Generation", Luise von Fran^vis in ihrer stolzen Eberhardine,
in mehr als einer Novelle.

Und sie, in deren einsamer Häuslichkeit die Stille waltet, sind immer
wieder Zuhörer von größtem Feingefühl, dankbare Gäste. Gerade weil sie allein
reif geworden sind, gehören sie niemals zu den Fertigen, denen nichts recht
zu macheu ist. Freilich sind sie auch nicht "gleich bereit, zu weinen und zu
lachen", selten hat das kluge Auge Tränen, und ein feines, kalter Ironie
bares Lächeln verschönt ihre Züge, stimmt die Erinnerung ab und verfälscht
sie nicht.

Rudolf Lindau hatte das sechzigste Lebensjahr überschritten, als er nach
Konstantinopel zog. Ich besitze einen Brief Eduard Bauernfelds an eine in
Konstantinopel lebende deutsche Freundin, worin es heißt: "Daß Sie unter den
barbarischen Türken leben müssen, bedaure ich. Die Schönheit der Natur ent¬
schädigt nicht für den Mangel an Bildung. Schon Voltaire riet der Kaiserin


Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei

bleibt dort als Konsul, Journalist und Kaufmann, macht, zurückgekehrt, den
Deutsch-französischen Krieg im Gefolge des Prinzen August von Württemberg
mit, der das Gardekorps führt, tritt dann ins Auswärtige Amt, zunächst als
Legationssekretär bei der Botschaft in Paris, dann als Vortragender Rat für
die Presse in Berlin selbst, und zu einer Zeit, wo sich andre zur Ruhe setzen,
geht der ungebundne Hagestolz als deutsches Mitglied der türkischen Staats¬
schuldenverwaltung nach Konstantinopel. Jetzt ruht er in seinem schönen Haus
auf Helgoland von seinen Ämtern aus in wahrem otium oum cliMitats.

Spät hat er die Feder des Erzählers ergriffen, und er hatte das vierzigste
Lebensjahr schon hinter sich, als sein erster deutscher Roman erschien. Die
gewaltige Menge von Anschauung, die in allen Werken Rudolf Lindaus steckt,
hatte er vor seiner Schöpferzeit aufgenommen, und er konnte aus diesem Rohstoff
immer neu heraufholen, während sein Leben zwei Jahrzehnte lang unter ruhiger
Amtspflicht in der französischen und der deutschen Hauptstadt verlief. Gerade
diese Genesis seiner Werke hilft ihren Charakter erklären, macht den Mangel
jeder Blendung durch die fremden Eindrücke noch verständlicher; diese lagen ja
zurück, zogen, treu festgehalten, nun in stillen Stunden wieder vorbei und wiesen
dem Zurückblickenden das eigentliche, menschliche Antlitz alles Erlebten. Es darf
dabei auf den Junggescllencharakter dieser Kunst hingewiesen werden: einsam
gebliebne Menschen wie Saar, Lindau, Luise von Franc.vis, Annette von Droste,
Turgenjew, Keller schreiben anders als Familienväter und Mütter, um deren
Knie ein junges Leben spielt — man merkt das bei Keller besonders deutlich
aus den „Züricher Novellen" und dem „Martin Salander" heraus, man
empfindet es bei den andern überall. Das Motiv der Freundschaft tritt bei
ihnen häufig neben das der Liebe oder an dessen Stelle, wie bei Lindau im
„Hans der Träumer", im „Gast", in „Gordon Baldwin", in „Liquidiert", im
„Flirt", wo es überall kein Anhängsel für das Leben, sondern von ungemein
starkem Einfluß ist. Parallelen bieten da Turgenjew in „Bäter und Söhne",
in der „Neuen Generation", Luise von Fran^vis in ihrer stolzen Eberhardine,
in mehr als einer Novelle.

Und sie, in deren einsamer Häuslichkeit die Stille waltet, sind immer
wieder Zuhörer von größtem Feingefühl, dankbare Gäste. Gerade weil sie allein
reif geworden sind, gehören sie niemals zu den Fertigen, denen nichts recht
zu macheu ist. Freilich sind sie auch nicht „gleich bereit, zu weinen und zu
lachen", selten hat das kluge Auge Tränen, und ein feines, kalter Ironie
bares Lächeln verschönt ihre Züge, stimmt die Erinnerung ab und verfälscht
sie nicht.

Rudolf Lindau hatte das sechzigste Lebensjahr überschritten, als er nach
Konstantinopel zog. Ich besitze einen Brief Eduard Bauernfelds an eine in
Konstantinopel lebende deutsche Freundin, worin es heißt: „Daß Sie unter den
barbarischen Türken leben müssen, bedaure ich. Die Schönheit der Natur ent¬
schädigt nicht für den Mangel an Bildung. Schon Voltaire riet der Kaiserin


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[0234] Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei bleibt dort als Konsul, Journalist und Kaufmann, macht, zurückgekehrt, den Deutsch-französischen Krieg im Gefolge des Prinzen August von Württemberg mit, der das Gardekorps führt, tritt dann ins Auswärtige Amt, zunächst als Legationssekretär bei der Botschaft in Paris, dann als Vortragender Rat für die Presse in Berlin selbst, und zu einer Zeit, wo sich andre zur Ruhe setzen, geht der ungebundne Hagestolz als deutsches Mitglied der türkischen Staats¬ schuldenverwaltung nach Konstantinopel. Jetzt ruht er in seinem schönen Haus auf Helgoland von seinen Ämtern aus in wahrem otium oum cliMitats. Spät hat er die Feder des Erzählers ergriffen, und er hatte das vierzigste Lebensjahr schon hinter sich, als sein erster deutscher Roman erschien. Die gewaltige Menge von Anschauung, die in allen Werken Rudolf Lindaus steckt, hatte er vor seiner Schöpferzeit aufgenommen, und er konnte aus diesem Rohstoff immer neu heraufholen, während sein Leben zwei Jahrzehnte lang unter ruhiger Amtspflicht in der französischen und der deutschen Hauptstadt verlief. Gerade diese Genesis seiner Werke hilft ihren Charakter erklären, macht den Mangel jeder Blendung durch die fremden Eindrücke noch verständlicher; diese lagen ja zurück, zogen, treu festgehalten, nun in stillen Stunden wieder vorbei und wiesen dem Zurückblickenden das eigentliche, menschliche Antlitz alles Erlebten. Es darf dabei auf den Junggescllencharakter dieser Kunst hingewiesen werden: einsam gebliebne Menschen wie Saar, Lindau, Luise von Franc.vis, Annette von Droste, Turgenjew, Keller schreiben anders als Familienväter und Mütter, um deren Knie ein junges Leben spielt — man merkt das bei Keller besonders deutlich aus den „Züricher Novellen" und dem „Martin Salander" heraus, man empfindet es bei den andern überall. Das Motiv der Freundschaft tritt bei ihnen häufig neben das der Liebe oder an dessen Stelle, wie bei Lindau im „Hans der Träumer", im „Gast", in „Gordon Baldwin", in „Liquidiert", im „Flirt", wo es überall kein Anhängsel für das Leben, sondern von ungemein starkem Einfluß ist. Parallelen bieten da Turgenjew in „Bäter und Söhne", in der „Neuen Generation", Luise von Fran^vis in ihrer stolzen Eberhardine, in mehr als einer Novelle. Und sie, in deren einsamer Häuslichkeit die Stille waltet, sind immer wieder Zuhörer von größtem Feingefühl, dankbare Gäste. Gerade weil sie allein reif geworden sind, gehören sie niemals zu den Fertigen, denen nichts recht zu macheu ist. Freilich sind sie auch nicht „gleich bereit, zu weinen und zu lachen", selten hat das kluge Auge Tränen, und ein feines, kalter Ironie bares Lächeln verschönt ihre Züge, stimmt die Erinnerung ab und verfälscht sie nicht. Rudolf Lindau hatte das sechzigste Lebensjahr überschritten, als er nach Konstantinopel zog. Ich besitze einen Brief Eduard Bauernfelds an eine in Konstantinopel lebende deutsche Freundin, worin es heißt: „Daß Sie unter den barbarischen Türken leben müssen, bedaure ich. Die Schönheit der Natur ent¬ schädigt nicht für den Mangel an Bildung. Schon Voltaire riet der Kaiserin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/234>, abgerufen am 24.07.2024.