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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Jesus im Urteil der Jahrhunderte

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^^^^kann für den Menschen der Gegenwart wohl kaum ein eigen-
Itiimlicheres, anregenderes und ergreifenderes Schauspiel der Geistes¬
geschichte geben als die meisterlich geordnete und erläuterte Galerie
von Christusbildern fast zweier Jahrtausende, die Gustav Pfann-
!mulier im Teubnerschen Verlag hat erscheinen lassen.*) Ja, von
Christusbildern! So dürfte man vielleicht eher sagen als von Jesusbildern.
Denn mit dem wirklichen geschichtlichen Jesus beschäftigen sich, von dem letzten
Jahrhundert abgesehen, eigentlich nur wenige auserlesne dieser gesammelten
Urteile. Es ist, als müßte sich jener aus unzähligen, ihm jahrhundertelang
immer aufs neue übergeworfnen Dogmenhüllen zum Lichte emporringen. Die
Meinung, alle Christusbilder der Kirche hätten ihren notwendigen Ursprung in
der geschichtlichen Persönlichkeit der Evangelien gehabt, und jede Generation
hätte diese nur nach einer bestimmten Seite ihres eignen Wesens erfaßt, je nach
dem Stande ihrer religiösen Anschauungen, wird auch nach der aufmerksamen
Betrachtung dieser Bilderreihe noch schwer verständlich erscheinen. Denn allzuoft
stellen diese Christusporträts eine Übermalung dar, die kaum einen der irdischen
Züge des Grundbildes mehr durchschimmern läßt. Wie oft ist doch nur Rahmen
gewesen, was lebendiges Bild sein sollte, Rahmen, in den man bis zum äußersten
Gegensatz gegen das Ursprüngliche hineinschob, was einem gefiel oder notwendig
erschien!

Der kurze, sehr schlichte Bericht über Leben und Charakter Jesu, den
Pfannmüller zunächst auf Grund des kritisch gesichteten Textes der drei ersten
Evangelisten erstattet, nimmt in bestimmter und maßvoll ruhiger Weise zu allen
wichtigen Problemen des Urchristentums Stellung und erweckt den Eindruck
zuverlässiger wissenschaftlicher Gediegenheit. Wir sehen dann aber sogleich das
Christusbild der Urgemeinde durch die Vision der Jünger bestimmt. Der er¬
höhte Christus, der himmlische, steht schon im Vordergrunde, wenn er auch das
irdische Lebensbild noch nicht verdrängt. Das Alte Testament und seine Weis¬
sagung muß helfen, den Juden diesen Christus zugänglich zu machen, der immer
mehr ins Wunderhafte ausgestaltet wird. Bei Paulus tritt der geschichtliche



*) Diesem Aufsatz liegt das gleichbetitelte Werk von Gustav Pfannmiiller zugrunde.
Leipzig und Berlin, B. G. Teubner, 1908. ö76 Seiten, Preis gebunden 5 Mark.


Jesus im Urteil der Jahrhunderte

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^^^^kann für den Menschen der Gegenwart wohl kaum ein eigen-
Itiimlicheres, anregenderes und ergreifenderes Schauspiel der Geistes¬
geschichte geben als die meisterlich geordnete und erläuterte Galerie
von Christusbildern fast zweier Jahrtausende, die Gustav Pfann-
!mulier im Teubnerschen Verlag hat erscheinen lassen.*) Ja, von
Christusbildern! So dürfte man vielleicht eher sagen als von Jesusbildern.
Denn mit dem wirklichen geschichtlichen Jesus beschäftigen sich, von dem letzten
Jahrhundert abgesehen, eigentlich nur wenige auserlesne dieser gesammelten
Urteile. Es ist, als müßte sich jener aus unzähligen, ihm jahrhundertelang
immer aufs neue übergeworfnen Dogmenhüllen zum Lichte emporringen. Die
Meinung, alle Christusbilder der Kirche hätten ihren notwendigen Ursprung in
der geschichtlichen Persönlichkeit der Evangelien gehabt, und jede Generation
hätte diese nur nach einer bestimmten Seite ihres eignen Wesens erfaßt, je nach
dem Stande ihrer religiösen Anschauungen, wird auch nach der aufmerksamen
Betrachtung dieser Bilderreihe noch schwer verständlich erscheinen. Denn allzuoft
stellen diese Christusporträts eine Übermalung dar, die kaum einen der irdischen
Züge des Grundbildes mehr durchschimmern läßt. Wie oft ist doch nur Rahmen
gewesen, was lebendiges Bild sein sollte, Rahmen, in den man bis zum äußersten
Gegensatz gegen das Ursprüngliche hineinschob, was einem gefiel oder notwendig
erschien!

Der kurze, sehr schlichte Bericht über Leben und Charakter Jesu, den
Pfannmüller zunächst auf Grund des kritisch gesichteten Textes der drei ersten
Evangelisten erstattet, nimmt in bestimmter und maßvoll ruhiger Weise zu allen
wichtigen Problemen des Urchristentums Stellung und erweckt den Eindruck
zuverlässiger wissenschaftlicher Gediegenheit. Wir sehen dann aber sogleich das
Christusbild der Urgemeinde durch die Vision der Jünger bestimmt. Der er¬
höhte Christus, der himmlische, steht schon im Vordergrunde, wenn er auch das
irdische Lebensbild noch nicht verdrängt. Das Alte Testament und seine Weis¬
sagung muß helfen, den Juden diesen Christus zugänglich zu machen, der immer
mehr ins Wunderhafte ausgestaltet wird. Bei Paulus tritt der geschichtliche



*) Diesem Aufsatz liegt das gleichbetitelte Werk von Gustav Pfannmiiller zugrunde.
Leipzig und Berlin, B. G. Teubner, 1908. ö76 Seiten, Preis gebunden 5 Mark.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/23>, abgerufen am 04.07.2024.