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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

einer Partei im Rate, die den Frieden mit Podiebrad anstrebte, dabei aber sich
der äußersten Vorsicht befleißigen mußte/ weil Prediger und Volk den Rat
terrorisierten. Eschenloer berichtet, das päpstliche Urteil, das den Girsig absetzte,
seine Untertanen von der Pflicht des Gehorsams entband und die Nachbarn
zum Kriege wider ihn aufrief, sei von den Breslauern zwar mit Jubel begrüßt,
überall sonst aber gemißbilligt worden, besonders von den deutschen Erzbischöfen.
Gelehrte Geistliche hätten ihre Kritik des päpstlichen Vorgehens mit Beweisen
aus der Heiligen Schrift und den Vätern ausführlich begründet. Er teilt diese
Argumentationen mit, in denen wirklich sehr schön bewiesen wird, daß es nicht
erlaubt sei, irrige Glaubensmeinungen mit Gewalt auszurotten, und daß der
Christ auch einem ketzerischen Fürsten Gehorsam schuldig sei, natürlich nur in
allem, was nicht wider das Gewissen gehe.

Mit diesen theologischen Gutachten stehn wir schon auf dem Boden der
Reformation. Wie die schlesischen Polen -- bis auf einen Rest im östlichen
Teile Oberschlesiens -- ohne Kampf und Widerstand ins Deutschtum, so sind
die deutschen Schlesier ohne Umsturz und Aufruhr in die evangelische Kirche
hineingewachsen. Die Deutschen im allgemeinen waren frei von jener frivolen
Skepsis und jenem atheistisch-heidnischen Epikureismus, der in den vornehmen
Kreisen Italiens bis in die römische Kurie und bis in die Herzen einiger
Renaissancepüpste hinein gewundert hat. Sie waren gläubig und fromm.
Aber sie haben, wenn auch vielfach in Aberglauben befangen, nach einem ver¬
nünftigen, die gute weltliche Ordnung fördernden Christentum gestrebt. Das
gilt von ihren großen Königen von Karl dem Großen bis auf Heinrich den
Dritten, es gilt dann später von den gescheiten und tüchtigen Stadtbürgern.
Die Breslauer erwiesen sich neuen Andächtcleien nach romanischem Geschmack
abgeneigt, bekämpften den zur Ausbeutung des Volkes gemißbrauchten Ablaß,
wehrten das ab, was allein unter Klerikalismus verstanden werden sollte:
die Übergriffe der kirchlichen Jurisdiktion ins bürgerliche und Staatsrecht,
setzten der Vermehrung des geistlichen Grundbesitzes Schranken. In alledem
waren Rat, Bürgerschaft und Pfarrgeistlichkeit einig; oft standen auch einzelne
Klöster und manchmal sogar die Domgeistlichkeit und der Bischof auf ihrer
Seite. Der schon genannte Bischof Roth ging ernstlich an eine Reform des
Klerus, der schon durch seine übermäßige Zahl zum Müßiggang und damit
zur Liederlichkeit verurteilt war, allein er stieß auf unüberwindlichen Wider¬
stand, weil seine scharfen Rügen das Standesgefühl verletzten, sodaß sich auch
ein Teil der Pfarrgeistlichkeit mit Mönchen und Domherren gegen ihn ver¬
bündete. Immerhin wurde manche nützliche Reform durchgeführt, wie denn
zum Beispiel der Bischof Nowak hundert Jahre vor dem Tridentinum das
dreimalige Aufgebot der Brautleute anordnete, und der Rat schon vor der
Reformation in den Stadtschulen kostenlosen Unterricht erteilen ließ. So
nahmen denn die Breslauer die Wittenbergischen Lehren und Einrichtungen
als etwas selbstverständliches an. Der Gedanke an Spaltung lag ihnen so
fern wie Luthern und Melanchthon; sie fühlten sich als treue, nur eben


Breslau

einer Partei im Rate, die den Frieden mit Podiebrad anstrebte, dabei aber sich
der äußersten Vorsicht befleißigen mußte/ weil Prediger und Volk den Rat
terrorisierten. Eschenloer berichtet, das päpstliche Urteil, das den Girsig absetzte,
seine Untertanen von der Pflicht des Gehorsams entband und die Nachbarn
zum Kriege wider ihn aufrief, sei von den Breslauern zwar mit Jubel begrüßt,
überall sonst aber gemißbilligt worden, besonders von den deutschen Erzbischöfen.
Gelehrte Geistliche hätten ihre Kritik des päpstlichen Vorgehens mit Beweisen
aus der Heiligen Schrift und den Vätern ausführlich begründet. Er teilt diese
Argumentationen mit, in denen wirklich sehr schön bewiesen wird, daß es nicht
erlaubt sei, irrige Glaubensmeinungen mit Gewalt auszurotten, und daß der
Christ auch einem ketzerischen Fürsten Gehorsam schuldig sei, natürlich nur in
allem, was nicht wider das Gewissen gehe.

Mit diesen theologischen Gutachten stehn wir schon auf dem Boden der
Reformation. Wie die schlesischen Polen — bis auf einen Rest im östlichen
Teile Oberschlesiens — ohne Kampf und Widerstand ins Deutschtum, so sind
die deutschen Schlesier ohne Umsturz und Aufruhr in die evangelische Kirche
hineingewachsen. Die Deutschen im allgemeinen waren frei von jener frivolen
Skepsis und jenem atheistisch-heidnischen Epikureismus, der in den vornehmen
Kreisen Italiens bis in die römische Kurie und bis in die Herzen einiger
Renaissancepüpste hinein gewundert hat. Sie waren gläubig und fromm.
Aber sie haben, wenn auch vielfach in Aberglauben befangen, nach einem ver¬
nünftigen, die gute weltliche Ordnung fördernden Christentum gestrebt. Das
gilt von ihren großen Königen von Karl dem Großen bis auf Heinrich den
Dritten, es gilt dann später von den gescheiten und tüchtigen Stadtbürgern.
Die Breslauer erwiesen sich neuen Andächtcleien nach romanischem Geschmack
abgeneigt, bekämpften den zur Ausbeutung des Volkes gemißbrauchten Ablaß,
wehrten das ab, was allein unter Klerikalismus verstanden werden sollte:
die Übergriffe der kirchlichen Jurisdiktion ins bürgerliche und Staatsrecht,
setzten der Vermehrung des geistlichen Grundbesitzes Schranken. In alledem
waren Rat, Bürgerschaft und Pfarrgeistlichkeit einig; oft standen auch einzelne
Klöster und manchmal sogar die Domgeistlichkeit und der Bischof auf ihrer
Seite. Der schon genannte Bischof Roth ging ernstlich an eine Reform des
Klerus, der schon durch seine übermäßige Zahl zum Müßiggang und damit
zur Liederlichkeit verurteilt war, allein er stieß auf unüberwindlichen Wider¬
stand, weil seine scharfen Rügen das Standesgefühl verletzten, sodaß sich auch
ein Teil der Pfarrgeistlichkeit mit Mönchen und Domherren gegen ihn ver¬
bündete. Immerhin wurde manche nützliche Reform durchgeführt, wie denn
zum Beispiel der Bischof Nowak hundert Jahre vor dem Tridentinum das
dreimalige Aufgebot der Brautleute anordnete, und der Rat schon vor der
Reformation in den Stadtschulen kostenlosen Unterricht erteilen ließ. So
nahmen denn die Breslauer die Wittenbergischen Lehren und Einrichtungen
als etwas selbstverständliches an. Der Gedanke an Spaltung lag ihnen so
fern wie Luthern und Melanchthon; sie fühlten sich als treue, nur eben


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[0228] Breslau einer Partei im Rate, die den Frieden mit Podiebrad anstrebte, dabei aber sich der äußersten Vorsicht befleißigen mußte/ weil Prediger und Volk den Rat terrorisierten. Eschenloer berichtet, das päpstliche Urteil, das den Girsig absetzte, seine Untertanen von der Pflicht des Gehorsams entband und die Nachbarn zum Kriege wider ihn aufrief, sei von den Breslauern zwar mit Jubel begrüßt, überall sonst aber gemißbilligt worden, besonders von den deutschen Erzbischöfen. Gelehrte Geistliche hätten ihre Kritik des päpstlichen Vorgehens mit Beweisen aus der Heiligen Schrift und den Vätern ausführlich begründet. Er teilt diese Argumentationen mit, in denen wirklich sehr schön bewiesen wird, daß es nicht erlaubt sei, irrige Glaubensmeinungen mit Gewalt auszurotten, und daß der Christ auch einem ketzerischen Fürsten Gehorsam schuldig sei, natürlich nur in allem, was nicht wider das Gewissen gehe. Mit diesen theologischen Gutachten stehn wir schon auf dem Boden der Reformation. Wie die schlesischen Polen — bis auf einen Rest im östlichen Teile Oberschlesiens — ohne Kampf und Widerstand ins Deutschtum, so sind die deutschen Schlesier ohne Umsturz und Aufruhr in die evangelische Kirche hineingewachsen. Die Deutschen im allgemeinen waren frei von jener frivolen Skepsis und jenem atheistisch-heidnischen Epikureismus, der in den vornehmen Kreisen Italiens bis in die römische Kurie und bis in die Herzen einiger Renaissancepüpste hinein gewundert hat. Sie waren gläubig und fromm. Aber sie haben, wenn auch vielfach in Aberglauben befangen, nach einem ver¬ nünftigen, die gute weltliche Ordnung fördernden Christentum gestrebt. Das gilt von ihren großen Königen von Karl dem Großen bis auf Heinrich den Dritten, es gilt dann später von den gescheiten und tüchtigen Stadtbürgern. Die Breslauer erwiesen sich neuen Andächtcleien nach romanischem Geschmack abgeneigt, bekämpften den zur Ausbeutung des Volkes gemißbrauchten Ablaß, wehrten das ab, was allein unter Klerikalismus verstanden werden sollte: die Übergriffe der kirchlichen Jurisdiktion ins bürgerliche und Staatsrecht, setzten der Vermehrung des geistlichen Grundbesitzes Schranken. In alledem waren Rat, Bürgerschaft und Pfarrgeistlichkeit einig; oft standen auch einzelne Klöster und manchmal sogar die Domgeistlichkeit und der Bischof auf ihrer Seite. Der schon genannte Bischof Roth ging ernstlich an eine Reform des Klerus, der schon durch seine übermäßige Zahl zum Müßiggang und damit zur Liederlichkeit verurteilt war, allein er stieß auf unüberwindlichen Wider¬ stand, weil seine scharfen Rügen das Standesgefühl verletzten, sodaß sich auch ein Teil der Pfarrgeistlichkeit mit Mönchen und Domherren gegen ihn ver¬ bündete. Immerhin wurde manche nützliche Reform durchgeführt, wie denn zum Beispiel der Bischof Nowak hundert Jahre vor dem Tridentinum das dreimalige Aufgebot der Brautleute anordnete, und der Rat schon vor der Reformation in den Stadtschulen kostenlosen Unterricht erteilen ließ. So nahmen denn die Breslauer die Wittenbergischen Lehren und Einrichtungen als etwas selbstverständliches an. Der Gedanke an Spaltung lag ihnen so fern wie Luthern und Melanchthon; sie fühlten sich als treue, nur eben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/228>, abgerufen am 24.07.2024.