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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

Leben) auf die alberne Beschuldigung hin, sie hätten eine Hostie beschimpft.
Das Geständnis des angeblichen Frevels war ihnen auf der Folter erpreßt
worden; Capistran wohnte der Folterung bei und gab selbst an, auf welche
Weise man die Unglücklichen martern solle. Vierzehn von ihnen ließ der
Wüterich auf andre Weise hinrichten: die Henker mußten ihnen mit glühenden
Zangen das Fleisch von den Knochen reißen, das in Becken voll brennender
Kohlen geworfen wurde, und dann sie vierteilen. Die Begeisterung für Capistran
steigerte sich noch, als die Kunde von seinen Erfolgen im Türkenkriege an¬
langte (hier war der Fanatismus wieder Hülle eines Lebensinteresses), und
Jammer und Wehklagen erfüllten die ganze Stadt, als kurz darauf die Nachricht
von seinem Tode eintraf; eifrig bemühten sich die Breslauer um seine Heilig¬
sprechung, die erst 1690 erfolgte, in einer Zeit, wo sie alle katholischen Heiligen
gründlich im Magen hatten. Der Fanatismus ist eine allgemein menschliche
Krankheit, deren Bazillus überall dort einen günstigen Nährboden findet, wo
die Vernunft nicht die Oberhand hat, und er äußert sich nicht bloß in der
Form religiösen, sondern auch nationalen, politischen, ästhetischen, ja sogar
wissenschaftlichen Wahnsinns. Als gute Lutheraner haben sich später die
Breslauer auch den Calvinisten gegenüber fanatisch benommen; ihre Abneigung
gegen diese hat in den entscheidenden Jahren von 1619 an ihre Aktion gegen
die Habsburger ebenso wie die der Sachsen gelähmt. Um auf ihren Kampf
gegen Podiebrad, dessen Geschichte hier nicht erzählt werden kann, zurück¬
zukommen, so standen sie damit eine Zeit lang ganz allein: sie hatten den
Kaiser, den Papst, die schlesischen Herzöge, die deutschen Reichsstände gegen
sich. Der Papst meinte, mit einem so gemäßigten Ketzer dürfe man sich schon
vertragen. Die Breslauer aber gaben sich alle Mühe, die Kurie gegen
Podiebrad scharf zu machen, und die Umstände fügten es, daß es ihnen endlich
gelang. Der Papst Paul der Zweite ließ das Kreuz gegen den Böhmen predigen
und versprach dem Polenkönige Lösung von dem Bann, den er sich durch die
Bekriegung des Deutschordens zugezogen hatte, unter der Bedingung, daß er
für sich oder seinen Sohn die böhmische Krone annähme. Kasimir aber mochte
nicht. "Hie hatten die Polen vor iren Füßen liegen das edle Land Stehlen,
das schöne fruchtbare Markgraftumb Mührer, und auch das löbliche Mark-
graftumb zu Lusitz, die vit schönen Stäte und Schlösser des christlichen
MholischenZ Teils in Behmen, die sich alle one Schwert dem Polen unter-
gehen Hütten, und gar gerne, als sie me anrüsten und baten. Hie hatten die
Polen die Crome zu Besen unter iren Füßen, und wolten die nicht.... Die
Polen haben das Land zu Preußen mit großen Kriegen wider alles Rechte
eingenommen, und wider der heiligen Kirchen Vorbildung die christlichen geist¬
lichen Ritter vortriben. Aber hie wolten sie sich ir Unrecht mit großem Zusatz
und Eren eines mächtigen Königreiches nicht zurecht lassen komen." So der
wackere Breslauer Chronist und Stadtschreiber Eschenloer, der als tüchtiger
Diplomat seiner Stadt bedeutende Dienste geleistet hat. Er billigte keineswegs
den Fanatismus seiner Mitbürger und war, wie es scheint, der sM-los rootm'


Breslau

Leben) auf die alberne Beschuldigung hin, sie hätten eine Hostie beschimpft.
Das Geständnis des angeblichen Frevels war ihnen auf der Folter erpreßt
worden; Capistran wohnte der Folterung bei und gab selbst an, auf welche
Weise man die Unglücklichen martern solle. Vierzehn von ihnen ließ der
Wüterich auf andre Weise hinrichten: die Henker mußten ihnen mit glühenden
Zangen das Fleisch von den Knochen reißen, das in Becken voll brennender
Kohlen geworfen wurde, und dann sie vierteilen. Die Begeisterung für Capistran
steigerte sich noch, als die Kunde von seinen Erfolgen im Türkenkriege an¬
langte (hier war der Fanatismus wieder Hülle eines Lebensinteresses), und
Jammer und Wehklagen erfüllten die ganze Stadt, als kurz darauf die Nachricht
von seinem Tode eintraf; eifrig bemühten sich die Breslauer um seine Heilig¬
sprechung, die erst 1690 erfolgte, in einer Zeit, wo sie alle katholischen Heiligen
gründlich im Magen hatten. Der Fanatismus ist eine allgemein menschliche
Krankheit, deren Bazillus überall dort einen günstigen Nährboden findet, wo
die Vernunft nicht die Oberhand hat, und er äußert sich nicht bloß in der
Form religiösen, sondern auch nationalen, politischen, ästhetischen, ja sogar
wissenschaftlichen Wahnsinns. Als gute Lutheraner haben sich später die
Breslauer auch den Calvinisten gegenüber fanatisch benommen; ihre Abneigung
gegen diese hat in den entscheidenden Jahren von 1619 an ihre Aktion gegen
die Habsburger ebenso wie die der Sachsen gelähmt. Um auf ihren Kampf
gegen Podiebrad, dessen Geschichte hier nicht erzählt werden kann, zurück¬
zukommen, so standen sie damit eine Zeit lang ganz allein: sie hatten den
Kaiser, den Papst, die schlesischen Herzöge, die deutschen Reichsstände gegen
sich. Der Papst meinte, mit einem so gemäßigten Ketzer dürfe man sich schon
vertragen. Die Breslauer aber gaben sich alle Mühe, die Kurie gegen
Podiebrad scharf zu machen, und die Umstände fügten es, daß es ihnen endlich
gelang. Der Papst Paul der Zweite ließ das Kreuz gegen den Böhmen predigen
und versprach dem Polenkönige Lösung von dem Bann, den er sich durch die
Bekriegung des Deutschordens zugezogen hatte, unter der Bedingung, daß er
für sich oder seinen Sohn die böhmische Krone annähme. Kasimir aber mochte
nicht. „Hie hatten die Polen vor iren Füßen liegen das edle Land Stehlen,
das schöne fruchtbare Markgraftumb Mührer, und auch das löbliche Mark-
graftumb zu Lusitz, die vit schönen Stäte und Schlösser des christlichen
MholischenZ Teils in Behmen, die sich alle one Schwert dem Polen unter-
gehen Hütten, und gar gerne, als sie me anrüsten und baten. Hie hatten die
Polen die Crome zu Besen unter iren Füßen, und wolten die nicht.... Die
Polen haben das Land zu Preußen mit großen Kriegen wider alles Rechte
eingenommen, und wider der heiligen Kirchen Vorbildung die christlichen geist¬
lichen Ritter vortriben. Aber hie wolten sie sich ir Unrecht mit großem Zusatz
und Eren eines mächtigen Königreiches nicht zurecht lassen komen." So der
wackere Breslauer Chronist und Stadtschreiber Eschenloer, der als tüchtiger
Diplomat seiner Stadt bedeutende Dienste geleistet hat. Er billigte keineswegs
den Fanatismus seiner Mitbürger und war, wie es scheint, der sM-los rootm'


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[0227] Breslau Leben) auf die alberne Beschuldigung hin, sie hätten eine Hostie beschimpft. Das Geständnis des angeblichen Frevels war ihnen auf der Folter erpreßt worden; Capistran wohnte der Folterung bei und gab selbst an, auf welche Weise man die Unglücklichen martern solle. Vierzehn von ihnen ließ der Wüterich auf andre Weise hinrichten: die Henker mußten ihnen mit glühenden Zangen das Fleisch von den Knochen reißen, das in Becken voll brennender Kohlen geworfen wurde, und dann sie vierteilen. Die Begeisterung für Capistran steigerte sich noch, als die Kunde von seinen Erfolgen im Türkenkriege an¬ langte (hier war der Fanatismus wieder Hülle eines Lebensinteresses), und Jammer und Wehklagen erfüllten die ganze Stadt, als kurz darauf die Nachricht von seinem Tode eintraf; eifrig bemühten sich die Breslauer um seine Heilig¬ sprechung, die erst 1690 erfolgte, in einer Zeit, wo sie alle katholischen Heiligen gründlich im Magen hatten. Der Fanatismus ist eine allgemein menschliche Krankheit, deren Bazillus überall dort einen günstigen Nährboden findet, wo die Vernunft nicht die Oberhand hat, und er äußert sich nicht bloß in der Form religiösen, sondern auch nationalen, politischen, ästhetischen, ja sogar wissenschaftlichen Wahnsinns. Als gute Lutheraner haben sich später die Breslauer auch den Calvinisten gegenüber fanatisch benommen; ihre Abneigung gegen diese hat in den entscheidenden Jahren von 1619 an ihre Aktion gegen die Habsburger ebenso wie die der Sachsen gelähmt. Um auf ihren Kampf gegen Podiebrad, dessen Geschichte hier nicht erzählt werden kann, zurück¬ zukommen, so standen sie damit eine Zeit lang ganz allein: sie hatten den Kaiser, den Papst, die schlesischen Herzöge, die deutschen Reichsstände gegen sich. Der Papst meinte, mit einem so gemäßigten Ketzer dürfe man sich schon vertragen. Die Breslauer aber gaben sich alle Mühe, die Kurie gegen Podiebrad scharf zu machen, und die Umstände fügten es, daß es ihnen endlich gelang. Der Papst Paul der Zweite ließ das Kreuz gegen den Böhmen predigen und versprach dem Polenkönige Lösung von dem Bann, den er sich durch die Bekriegung des Deutschordens zugezogen hatte, unter der Bedingung, daß er für sich oder seinen Sohn die böhmische Krone annähme. Kasimir aber mochte nicht. „Hie hatten die Polen vor iren Füßen liegen das edle Land Stehlen, das schöne fruchtbare Markgraftumb Mührer, und auch das löbliche Mark- graftumb zu Lusitz, die vit schönen Stäte und Schlösser des christlichen MholischenZ Teils in Behmen, die sich alle one Schwert dem Polen unter- gehen Hütten, und gar gerne, als sie me anrüsten und baten. Hie hatten die Polen die Crome zu Besen unter iren Füßen, und wolten die nicht.... Die Polen haben das Land zu Preußen mit großen Kriegen wider alles Rechte eingenommen, und wider der heiligen Kirchen Vorbildung die christlichen geist¬ lichen Ritter vortriben. Aber hie wolten sie sich ir Unrecht mit großem Zusatz und Eren eines mächtigen Königreiches nicht zurecht lassen komen." So der wackere Breslauer Chronist und Stadtschreiber Eschenloer, der als tüchtiger Diplomat seiner Stadt bedeutende Dienste geleistet hat. Er billigte keineswegs den Fanatismus seiner Mitbürger und war, wie es scheint, der sM-los rootm'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/227>, abgerufen am 24.07.2024.