Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.Breslau seine schlesischen und lausitzischen Besitzungen der Krone Böhmen "für ewige Breslau seine schlesischen und lausitzischen Besitzungen der Krone Böhmen „für ewige <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314573"/> <fw type="header" place="top"> Breslau</fw><lb/> <p xml:id="ID_1123" prev="#ID_1122" next="#ID_1124"> seine schlesischen und lausitzischen Besitzungen der Krone Böhmen „für ewige<lb/> Zeiten" einverleibte und sich auch von den Breslauern huldigen ließ, deren<lb/> Ratssenior er zum Landeshauptmann des Fürstentums Breslau ernannte,<lb/> wodurch die Stadt auch formell den Herzögen im Range gleichgestellt wurde.<lb/> Diese Könige sorgten für Ordnung, Ruhe und Frieden im Lande, halfen auch<lb/> als Friedensstifter den Städtern in ihren Verfassungskämpfen, verschafften ihnen<lb/> günstige Bedingungen im Handelsverkehr mit andern Staaten und ließen, wenn<lb/> sie auch die höchste Gerichtsbarkeit für sich in Anspruch nahmen, im übrigen<lb/> die Selbstverwaltung unangetastet. Breslaus Handel blühte unter Karl dem<lb/> Vierten wie nie zuvor, und bei seinem Tode konnte es — unerhört im Mittel¬<lb/> alter — auf dreißig Jahre eines Friedens zurückblicken, der durch keine Fehde,<lb/> keinen Raub und keine Plünderung in seinem Gebiete unterbrochen worden<lb/> war. Aber dann kam die schreckliche Hussitenzeit. Wie damals Schlesien ver¬<lb/> wüstet worden ist, weiß alle Welt. Was ist natürlicher, als daß sich die<lb/> Freundschaft für Böhmen in Todfeindschaft verwandelte? Und diese trug nun<lb/> allerdings ein nationales Gepräge, da es ja der durch materielle Interessen<lb/> entzündete Nationalhaß der Tschechen gegen die Deutschen war, aus dem die<lb/> Hussitenkriege entsprangen. Das Merkwürdige ist nun, daß diese Feindschaft bei<lb/> den Breslauern, und nur bei den Breslauern, die Zeit überdauerte, da sie<lb/> gerechtfertigt war, daß sie sich in einem Fanatismus äußerte, der dem hussitischen<lb/> nichts nachgab, und daß dieser Fanatismus religiöse Färbung annahm: den<lb/> böhmischen „Ketzern" galt. Der Gubernator, spätere König von Böhmen, Georg<lb/> Podiebrad — Girsig nannten ihn verächtlich die Breslauer —. erhält von allen<lb/> Zeitgenossen, namentlich von Äneas Sylvius, dem spätern Papste Pius dem<lb/> Zweiten, das Zeugnis, daß er trotz seiner Ketzerei — er war gemäßigter<lb/> Utraquist — ein verständiger, milder und gerechter Mann und ein gewissen¬<lb/> hafter, tüchtiger Regent gewesen sei. Ob, wie Weiß glaubt, die Breslauer durch<lb/> ihren hartnäckigen Widerstand gegen ihn das Schicksal der Tschechisierung ab¬<lb/> gewandt haben, das Schlesien gedroht habe, ob Tschechisierung bei der damaligen<lb/> Weltlage überhaupt möglich gewesen wäre, mögen Kundigere entscheiden. In<lb/> allen Äußerungen der Breslauer tritt nicht ihr deutsches Nationalbewußtsein,<lb/> sondern nur ihr Eifer für die katholische Religion hervor, der durch fanatische<lb/> Prediger geschürt wurde, sodaß Weiß zur Abwechslung von einer deutsch-klerikalen<lb/> Bewegung spricht, was ebenso irreführend ist wie die polnisch-klerikalen Um¬<lb/> triebe. Gewiß hatte auch dieser Fanatismus seinen Ursprung aus dem materiellen<lb/> Interesse, das heißt aus dessen Verletzung durch die Hussiten genommen, aber<lb/> zuletzt war wirklich nur reiner Fanatismus übrig geblieben. Beweis dafür die<lb/> Begeisterung, mit der die Breslauer 1453 den von ihnen eingeladnen Kreuz¬<lb/> zugprediger und Inquisitor Johann Capistran aufnahmen, wochenlang seinen<lb/> lateinischen Predigten lauschten, ohne ein Wort davon zu verstehen, an seine<lb/> sehr zweifelhaften Wunder glaubten, zuerst ihren Eitelkeitskram, dann aber,<lb/> was weniger harmlos war, einundvierzig Juden auf dem Salzringe lebendig<lb/> verbrannten (zwanzig Jünglinge retteten durch Annahme des Christentums ihr</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0226]
Breslau
seine schlesischen und lausitzischen Besitzungen der Krone Böhmen „für ewige
Zeiten" einverleibte und sich auch von den Breslauern huldigen ließ, deren
Ratssenior er zum Landeshauptmann des Fürstentums Breslau ernannte,
wodurch die Stadt auch formell den Herzögen im Range gleichgestellt wurde.
Diese Könige sorgten für Ordnung, Ruhe und Frieden im Lande, halfen auch
als Friedensstifter den Städtern in ihren Verfassungskämpfen, verschafften ihnen
günstige Bedingungen im Handelsverkehr mit andern Staaten und ließen, wenn
sie auch die höchste Gerichtsbarkeit für sich in Anspruch nahmen, im übrigen
die Selbstverwaltung unangetastet. Breslaus Handel blühte unter Karl dem
Vierten wie nie zuvor, und bei seinem Tode konnte es — unerhört im Mittel¬
alter — auf dreißig Jahre eines Friedens zurückblicken, der durch keine Fehde,
keinen Raub und keine Plünderung in seinem Gebiete unterbrochen worden
war. Aber dann kam die schreckliche Hussitenzeit. Wie damals Schlesien ver¬
wüstet worden ist, weiß alle Welt. Was ist natürlicher, als daß sich die
Freundschaft für Böhmen in Todfeindschaft verwandelte? Und diese trug nun
allerdings ein nationales Gepräge, da es ja der durch materielle Interessen
entzündete Nationalhaß der Tschechen gegen die Deutschen war, aus dem die
Hussitenkriege entsprangen. Das Merkwürdige ist nun, daß diese Feindschaft bei
den Breslauern, und nur bei den Breslauern, die Zeit überdauerte, da sie
gerechtfertigt war, daß sie sich in einem Fanatismus äußerte, der dem hussitischen
nichts nachgab, und daß dieser Fanatismus religiöse Färbung annahm: den
böhmischen „Ketzern" galt. Der Gubernator, spätere König von Böhmen, Georg
Podiebrad — Girsig nannten ihn verächtlich die Breslauer —. erhält von allen
Zeitgenossen, namentlich von Äneas Sylvius, dem spätern Papste Pius dem
Zweiten, das Zeugnis, daß er trotz seiner Ketzerei — er war gemäßigter
Utraquist — ein verständiger, milder und gerechter Mann und ein gewissen¬
hafter, tüchtiger Regent gewesen sei. Ob, wie Weiß glaubt, die Breslauer durch
ihren hartnäckigen Widerstand gegen ihn das Schicksal der Tschechisierung ab¬
gewandt haben, das Schlesien gedroht habe, ob Tschechisierung bei der damaligen
Weltlage überhaupt möglich gewesen wäre, mögen Kundigere entscheiden. In
allen Äußerungen der Breslauer tritt nicht ihr deutsches Nationalbewußtsein,
sondern nur ihr Eifer für die katholische Religion hervor, der durch fanatische
Prediger geschürt wurde, sodaß Weiß zur Abwechslung von einer deutsch-klerikalen
Bewegung spricht, was ebenso irreführend ist wie die polnisch-klerikalen Um¬
triebe. Gewiß hatte auch dieser Fanatismus seinen Ursprung aus dem materiellen
Interesse, das heißt aus dessen Verletzung durch die Hussiten genommen, aber
zuletzt war wirklich nur reiner Fanatismus übrig geblieben. Beweis dafür die
Begeisterung, mit der die Breslauer 1453 den von ihnen eingeladnen Kreuz¬
zugprediger und Inquisitor Johann Capistran aufnahmen, wochenlang seinen
lateinischen Predigten lauschten, ohne ein Wort davon zu verstehen, an seine
sehr zweifelhaften Wunder glaubten, zuerst ihren Eitelkeitskram, dann aber,
was weniger harmlos war, einundvierzig Juden auf dem Salzringe lebendig
verbrannten (zwanzig Jünglinge retteten durch Annahme des Christentums ihr
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