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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

Werkzeuge: Volksschule und Presse, fehlten, und was nichts genützt hätte, da
die Prozedur den Haß steigert anstatt ihn zu dämpfen, sondern man schlug die
Leute tot oder vertrieb sie. In der mittelalterlichen Geschichte Schlesiens tritt
nur ein Mann hervor, der eine slawische Sprache bekämpft hat: der Bischof
Roth, von Geburt ein Schwabe (1482 bis 1506) gebot den tschechisch sprechenden
Bewohnern seines Dorfes Woitsch bei Ottmachau, binnen fünf Jahren deutsch
zu lernen, widrigenfalls sie aus dem Lande getrieben würden. Auch der Unter¬
schied in der Kulturhöhe erzeugte keine Feindschaft. Die polnischen Bauern
waren für die ihnen von den Deutschen gebrachten Verbesserungen ihrer Lebens¬
weise dankbar, und den Deutschen konnte die Rückständigkeit der Polen (die
sich, wie die der Slawen überhaupt, größtenteils daraus erklärt, daß sie ein
Paar hundert Jahre später in den Bereich der abendländischen Kultur eingetreten
sind, und daß sie auf einem ungünstigern Terrain sitzen bleiben mußten) nur
angenehm sein, weil sie sie vor einer Konkurrenz um Herrschaft und Handels¬
gewinn schützte. So sind die Deutschen auch nicht böse darüber gewesen, daß
die -- in der Kultur freilich überlegnen -- Italiener die militärisch schwächern
waren. Als später die Polen des Königreichs als Handelskonkurrenten auf¬
traten, entstanden daraus natürlich Konflikte mit Breslau. Dieses aber brauchte
die Polen so notwendig, daß ein Konflikt als ein Unglück empfunden wurde.
Im Jahre 1471 schrieb der Chronist Eschenloer: "Die von Breslau hatten eine
betrübte Zeit, keine narunge war vorhanden, keiner dörfte in Polen seinen
Handel suchen, vile, die es wagten, Leib und Gut verloren. Die Handwerker
verdorben, konten ire Gewerke nicht vertreiben und verkaufen. Die Jarmärkte
waren ganz gehindert. Das Geschrei in der Gemeine erhübe sich zu Frider usw."
Gegen das Christentum war das polnische Volk einmal aufgestanden, hatte die
Priester erschlagen und die Kirchen niedergebrannt. Aber das war im Jahre 1032.
vor dem Beginn der deutschen Kolonisation, geschehen. Und es war kein Wunder,
denn die rohen Polenfürsten bekehrten nicht durch Belehrung, sondern erzwangen
nur durch barbarische Strafen den äußerlichen Kult, ließen zum Beispiel jedem,
der in der Fastenzeit beim Fleischessen ertappt wurde, die Zähne ausbrechen.
In den Zisterziensermönchen, in den edeln gebildeten Fürstinnen deutscher Ab¬
kunft erschien ihnen dann das Christentum als eine hilfreiche und freund¬
liche Macht.

Konflikte entstanden nicht aus nationalen sondern aus Interessengegensätzen
und nicht zwischen den Deutschen und dem polnischen Volke sondern zwischen
den Herrschenden beider Nationalitäten. Es handelte sich dabei um zweierlei:
um Pfründen und um die Politik. Schlesien war zwar unter einer Seitenlinie
der Piaster von Polen unabhängig geworden, wurde aber von diesem immer
noch als Nebenland angesehen (unter Heinrich dem Bärtigen war es nahe
daran, Hauptland zu werden), und kirchlich gehörte es zur polnischen Kirchen-
Provinz. Man hat es Otto dem Dritten übel genommen, daß er geholfen hat,
eine selbständige, dem Papste unmittelbar untergebne polnische Kirchenprovinz


Breslau

Werkzeuge: Volksschule und Presse, fehlten, und was nichts genützt hätte, da
die Prozedur den Haß steigert anstatt ihn zu dämpfen, sondern man schlug die
Leute tot oder vertrieb sie. In der mittelalterlichen Geschichte Schlesiens tritt
nur ein Mann hervor, der eine slawische Sprache bekämpft hat: der Bischof
Roth, von Geburt ein Schwabe (1482 bis 1506) gebot den tschechisch sprechenden
Bewohnern seines Dorfes Woitsch bei Ottmachau, binnen fünf Jahren deutsch
zu lernen, widrigenfalls sie aus dem Lande getrieben würden. Auch der Unter¬
schied in der Kulturhöhe erzeugte keine Feindschaft. Die polnischen Bauern
waren für die ihnen von den Deutschen gebrachten Verbesserungen ihrer Lebens¬
weise dankbar, und den Deutschen konnte die Rückständigkeit der Polen (die
sich, wie die der Slawen überhaupt, größtenteils daraus erklärt, daß sie ein
Paar hundert Jahre später in den Bereich der abendländischen Kultur eingetreten
sind, und daß sie auf einem ungünstigern Terrain sitzen bleiben mußten) nur
angenehm sein, weil sie sie vor einer Konkurrenz um Herrschaft und Handels¬
gewinn schützte. So sind die Deutschen auch nicht böse darüber gewesen, daß
die — in der Kultur freilich überlegnen — Italiener die militärisch schwächern
waren. Als später die Polen des Königreichs als Handelskonkurrenten auf¬
traten, entstanden daraus natürlich Konflikte mit Breslau. Dieses aber brauchte
die Polen so notwendig, daß ein Konflikt als ein Unglück empfunden wurde.
Im Jahre 1471 schrieb der Chronist Eschenloer: „Die von Breslau hatten eine
betrübte Zeit, keine narunge war vorhanden, keiner dörfte in Polen seinen
Handel suchen, vile, die es wagten, Leib und Gut verloren. Die Handwerker
verdorben, konten ire Gewerke nicht vertreiben und verkaufen. Die Jarmärkte
waren ganz gehindert. Das Geschrei in der Gemeine erhübe sich zu Frider usw."
Gegen das Christentum war das polnische Volk einmal aufgestanden, hatte die
Priester erschlagen und die Kirchen niedergebrannt. Aber das war im Jahre 1032.
vor dem Beginn der deutschen Kolonisation, geschehen. Und es war kein Wunder,
denn die rohen Polenfürsten bekehrten nicht durch Belehrung, sondern erzwangen
nur durch barbarische Strafen den äußerlichen Kult, ließen zum Beispiel jedem,
der in der Fastenzeit beim Fleischessen ertappt wurde, die Zähne ausbrechen.
In den Zisterziensermönchen, in den edeln gebildeten Fürstinnen deutscher Ab¬
kunft erschien ihnen dann das Christentum als eine hilfreiche und freund¬
liche Macht.

Konflikte entstanden nicht aus nationalen sondern aus Interessengegensätzen
und nicht zwischen den Deutschen und dem polnischen Volke sondern zwischen
den Herrschenden beider Nationalitäten. Es handelte sich dabei um zweierlei:
um Pfründen und um die Politik. Schlesien war zwar unter einer Seitenlinie
der Piaster von Polen unabhängig geworden, wurde aber von diesem immer
noch als Nebenland angesehen (unter Heinrich dem Bärtigen war es nahe
daran, Hauptland zu werden), und kirchlich gehörte es zur polnischen Kirchen-
Provinz. Man hat es Otto dem Dritten übel genommen, daß er geholfen hat,
eine selbständige, dem Papste unmittelbar untergebne polnische Kirchenprovinz


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[0223] Breslau Werkzeuge: Volksschule und Presse, fehlten, und was nichts genützt hätte, da die Prozedur den Haß steigert anstatt ihn zu dämpfen, sondern man schlug die Leute tot oder vertrieb sie. In der mittelalterlichen Geschichte Schlesiens tritt nur ein Mann hervor, der eine slawische Sprache bekämpft hat: der Bischof Roth, von Geburt ein Schwabe (1482 bis 1506) gebot den tschechisch sprechenden Bewohnern seines Dorfes Woitsch bei Ottmachau, binnen fünf Jahren deutsch zu lernen, widrigenfalls sie aus dem Lande getrieben würden. Auch der Unter¬ schied in der Kulturhöhe erzeugte keine Feindschaft. Die polnischen Bauern waren für die ihnen von den Deutschen gebrachten Verbesserungen ihrer Lebens¬ weise dankbar, und den Deutschen konnte die Rückständigkeit der Polen (die sich, wie die der Slawen überhaupt, größtenteils daraus erklärt, daß sie ein Paar hundert Jahre später in den Bereich der abendländischen Kultur eingetreten sind, und daß sie auf einem ungünstigern Terrain sitzen bleiben mußten) nur angenehm sein, weil sie sie vor einer Konkurrenz um Herrschaft und Handels¬ gewinn schützte. So sind die Deutschen auch nicht böse darüber gewesen, daß die — in der Kultur freilich überlegnen — Italiener die militärisch schwächern waren. Als später die Polen des Königreichs als Handelskonkurrenten auf¬ traten, entstanden daraus natürlich Konflikte mit Breslau. Dieses aber brauchte die Polen so notwendig, daß ein Konflikt als ein Unglück empfunden wurde. Im Jahre 1471 schrieb der Chronist Eschenloer: „Die von Breslau hatten eine betrübte Zeit, keine narunge war vorhanden, keiner dörfte in Polen seinen Handel suchen, vile, die es wagten, Leib und Gut verloren. Die Handwerker verdorben, konten ire Gewerke nicht vertreiben und verkaufen. Die Jarmärkte waren ganz gehindert. Das Geschrei in der Gemeine erhübe sich zu Frider usw." Gegen das Christentum war das polnische Volk einmal aufgestanden, hatte die Priester erschlagen und die Kirchen niedergebrannt. Aber das war im Jahre 1032. vor dem Beginn der deutschen Kolonisation, geschehen. Und es war kein Wunder, denn die rohen Polenfürsten bekehrten nicht durch Belehrung, sondern erzwangen nur durch barbarische Strafen den äußerlichen Kult, ließen zum Beispiel jedem, der in der Fastenzeit beim Fleischessen ertappt wurde, die Zähne ausbrechen. In den Zisterziensermönchen, in den edeln gebildeten Fürstinnen deutscher Ab¬ kunft erschien ihnen dann das Christentum als eine hilfreiche und freund¬ liche Macht. Konflikte entstanden nicht aus nationalen sondern aus Interessengegensätzen und nicht zwischen den Deutschen und dem polnischen Volke sondern zwischen den Herrschenden beider Nationalitäten. Es handelte sich dabei um zweierlei: um Pfründen und um die Politik. Schlesien war zwar unter einer Seitenlinie der Piaster von Polen unabhängig geworden, wurde aber von diesem immer noch als Nebenland angesehen (unter Heinrich dem Bärtigen war es nahe daran, Hauptland zu werden), und kirchlich gehörte es zur polnischen Kirchen- Provinz. Man hat es Otto dem Dritten übel genommen, daß er geholfen hat, eine selbständige, dem Papste unmittelbar untergebne polnische Kirchenprovinz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/223>, abgerufen am 24.07.2024.