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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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unterlassen, bestimmte Erklärungen heraufzubeschwören. Für die große Masse
der Nordamerikaner gilt freilich die Monroelehre als politischer Glaubenssatz,
hinter dessen Unbestimmtheit sich viel Selbstüberhebung und aller Fremdenhaß
zu verbergen vermag. Dergleichen gibt aber noch keine politische Kraft, und
Coolidge ist auch nicht im Zweifel darüber, daß die Monroelehre für die Union
große Schwierigkeiten bringen kann.

Es ließe sich noch sehr vieles darüber sagen, wie auch über den inter¬
essanten Inhalt noch aller andern Kapitel, denn das Buch ist von Anfang
bis zu Ende höchst lesenswert, es ist eine wahre Fundgrube für überseeische
Politik und namentlich geeignet, zum politischen Nachdenken anzuregen, manche
landläufige Meinungen in Deutschland richtigzustellen und gewisse Illusionen
zu zerstören. Wir Deutschen müssen endlich einmal zur klaren Einsicht
darüber kommen, wie wir eigentlich in der Welt stehn, und in dieser Be¬
ziehung ist hinterher eine angenehme Enttäuschung besser als eine unan¬
genehme. Vor einer solchen dürfte das Studium des erwähnten Buchs den
deutschen Leser bewahren. Es wird manche geben, die sagen, sie hätten zu
dergleichen keine Zeit, was aber wohl auf dasselbe hinauskommt wie keine
Lust. Wer sich das Recht errungen hat, in der Politik ein Wort mitzu¬
sprechen, muß auch die Pflicht erfüllen, sich dafür vorzubilden. Das im
Aufstreben begriffne Deutschland muß hierauf den größten Wert legen.


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Neue Bismarck - Literatur

it mehr als ausreichenden Gründen darf man hierzu die Aus¬
wahl von politischen Essays von O. Gildemeister rechnen, die
die Literarische Gesellschaft des Künstlervereins zu Bremen heraus¬
gegeben hat. (Aus den Tagen Bismarcks. Politische Essays
von Otto Gildemeister. Mit einem Porträt Gildemeisters.
Verlag von Quelle Meyer in Leipzig. 230 Seiten, geheftet 4,40 Mark,
gebunden 4,80 Mark.) Es ist der Geist einer großen Zeit, die Sprache der
Besten in jenen unvergeßlichen Tagen, wo Deutschland ein Reich und damit
erst wirklich uns zum Vaterlande wurde, die uns in der knappen Zahl von
sechzig in meisterhaft vollendetem Stil geschriebnen Aufsätzen hier entgegen¬
treten. Die Alten, die jene ewig denkwürdigen Ereignisse miterlebt haben,
werden mit tiefer Befriedigung den zugleich jubelnden und ernsten Ton der
Stimmung wieder erkennen, die damals die Seele unsers gesamten Volks in
mächtige Schwingungen versetzte, und die Jungen mögen daraus lernen, wie
die Väter dachten und empfanden, wie sich unter dem Eindrucke überraschender
Wendungen, der Erfüllung des von der Nation heiß ersehnten Wunsches eine
hohe Auffassung und eine ideale Gesinnung Raum verschaffte, die unsrer im-"?--'""
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unterlassen, bestimmte Erklärungen heraufzubeschwören. Für die große Masse
der Nordamerikaner gilt freilich die Monroelehre als politischer Glaubenssatz,
hinter dessen Unbestimmtheit sich viel Selbstüberhebung und aller Fremdenhaß
zu verbergen vermag. Dergleichen gibt aber noch keine politische Kraft, und
Coolidge ist auch nicht im Zweifel darüber, daß die Monroelehre für die Union
große Schwierigkeiten bringen kann.

Es ließe sich noch sehr vieles darüber sagen, wie auch über den inter¬
essanten Inhalt noch aller andern Kapitel, denn das Buch ist von Anfang
bis zu Ende höchst lesenswert, es ist eine wahre Fundgrube für überseeische
Politik und namentlich geeignet, zum politischen Nachdenken anzuregen, manche
landläufige Meinungen in Deutschland richtigzustellen und gewisse Illusionen
zu zerstören. Wir Deutschen müssen endlich einmal zur klaren Einsicht
darüber kommen, wie wir eigentlich in der Welt stehn, und in dieser Be¬
ziehung ist hinterher eine angenehme Enttäuschung besser als eine unan¬
genehme. Vor einer solchen dürfte das Studium des erwähnten Buchs den
deutschen Leser bewahren. Es wird manche geben, die sagen, sie hätten zu
dergleichen keine Zeit, was aber wohl auf dasselbe hinauskommt wie keine
Lust. Wer sich das Recht errungen hat, in der Politik ein Wort mitzu¬
sprechen, muß auch die Pflicht erfüllen, sich dafür vorzubilden. Das im
Aufstreben begriffne Deutschland muß hierauf den größten Wert legen.


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it mehr als ausreichenden Gründen darf man hierzu die Aus¬
wahl von politischen Essays von O. Gildemeister rechnen, die
die Literarische Gesellschaft des Künstlervereins zu Bremen heraus¬
gegeben hat. (Aus den Tagen Bismarcks. Politische Essays
von Otto Gildemeister. Mit einem Porträt Gildemeisters.
Verlag von Quelle Meyer in Leipzig. 230 Seiten, geheftet 4,40 Mark,
gebunden 4,80 Mark.) Es ist der Geist einer großen Zeit, die Sprache der
Besten in jenen unvergeßlichen Tagen, wo Deutschland ein Reich und damit
erst wirklich uns zum Vaterlande wurde, die uns in der knappen Zahl von
sechzig in meisterhaft vollendetem Stil geschriebnen Aufsätzen hier entgegen¬
treten. Die Alten, die jene ewig denkwürdigen Ereignisse miterlebt haben,
werden mit tiefer Befriedigung den zugleich jubelnden und ernsten Ton der
Stimmung wieder erkennen, die damals die Seele unsers gesamten Volks in
mächtige Schwingungen versetzte, und die Jungen mögen daraus lernen, wie
die Väter dachten und empfanden, wie sich unter dem Eindrucke überraschender
Wendungen, der Erfüllung des von der Nation heiß ersehnten Wunsches eine
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/216>, abgerufen am 24.07.2024.