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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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ventschland und Amerika

Mangel. Mit ganz besondrer Betonung hebt Coolidge den Wendepunkt durch
den spanisch-amerikanischen Krieg von 1898 hervor, infolgedessen die Union erst
Weltmacht geworden ist, und dessen Erfolge, wie ganz ehrlich zugestanden wird,
in gar keinem Verhältnis zu den amerikanischen Siegen stehn. Aber man "war
überzeugt, daß man das frühere Sonderleben nicht weiter führen könne; auch
die Vereinigten Staaten müßten teilnehmen an dem Leben der großen Welt,
selbst wenn dafür alte Ideale geopfert werden müßten". Man betrat den Weg
der imperialistischen Politik. "Es ist wohl nicht bloß Zufall, daß Amerika nach
vollständiger Besiedlung innerhalb seiner natürlichen Grenzen sich über diese
ausdehnte." Da der Krieg so erfolgreich gewesen war, wollte das Volk nichts
wieder aufgeben, was einmal erobert worden war, und scheute vor keinen neuen
Gefahren oder Verantwortlichkeiten zurück, und dieses Gefühl wurde schließlich
für die Zukunft entscheidend. Sehr interessant ist der Nachweis, daß der wirt¬
schaftliche Fortschritt die ganze Politik des Landes vielfach beeinflußte, und
daß dies auch in Zukunft der Fall sein wird. Dieser Einfluß hat insbesondre
dadurch eine Wandlung erfahren, daß an Stelle der frühern ausschließlichen Roh¬
produktenausfuhr in wachsender Steigerung der Export an Fabrikerzeugnissen
ausschlaggebend geworden ist. Heutzutage müssen sich die Vereinigten Staaten
im Wettstreit mit den hochentwickelten Industrieländern messen, von denen jedes
alle Mittel anwendet, seinen Handel zu fördern und -- vorderhand England
ausgenommen -- die heimische Industrie durch Einfuhrzölle zu schützen.

Coolidge verkennt nicht, daß die Unvernunft der extremen Hochschutz¬
zöllner im eignen Lande dem Abschluß vorteilhafter Handelsverträge im Wege
gestanden hat, er enthält sich aber einer unzweifelhaften Verurteilung dieses
wirtschaftlichen Standpunkts und stellt immer die nordamerikanischen Einfuhr¬
zölle den Zöllen andrer Staaten gewissermaßen gleich, obwohl doch schon der
sogenannte Dingleytarif als übermäßig angesehen werden muß. Vom neusten
amerikanischen Tarif spricht er selbstverständlich nicht, da sein Buch viel früher
entstanden ist. Da der Export nordamerikanischer Fabrikerzeugnisse nach den
Besitzungen der europäische" Mächte durch Zölle stark behindert war, glaubten
die Vereinigten Staaten bloß noch in zwei Gebieten eine große Zukunft für
ihren Warenexport zu haben: in den romanischen Republiken ihres Welt¬
teils und in Ostasien. Darum wurde die panamerikanische Bewegung eifrig
betrieben und für Ostasien der Grundsatz der "offnen Tür" durchgesetzt, wobei
Coolidge nicht verkennt, daß das letztere Bestreben der Nordamerikaner beinahe
lächerlich gewesen sei, da es ihnen nicht einfalle, den gleichen Grundsatz daheim
anzuwenden. Er gibt auch mit aller Offenheit zu, daß die offne Tür für
die Philippinen, für die sie bei der Annexion no1en8 volens erklärt werden
mußte, keinen längern Bestand haben, und daß eine etwaige Durchführung
des Grundsatzes für die romanischen Republiken auf den ernsten Widerstand
der Union stoßen dürfte. Bei diesem Ausfuhrwettbewerb stoßen nun die
Nordamerikaner überall auf die Konkurrenz der europäischen Industriestaaten,


ventschland und Amerika

Mangel. Mit ganz besondrer Betonung hebt Coolidge den Wendepunkt durch
den spanisch-amerikanischen Krieg von 1898 hervor, infolgedessen die Union erst
Weltmacht geworden ist, und dessen Erfolge, wie ganz ehrlich zugestanden wird,
in gar keinem Verhältnis zu den amerikanischen Siegen stehn. Aber man „war
überzeugt, daß man das frühere Sonderleben nicht weiter führen könne; auch
die Vereinigten Staaten müßten teilnehmen an dem Leben der großen Welt,
selbst wenn dafür alte Ideale geopfert werden müßten". Man betrat den Weg
der imperialistischen Politik. „Es ist wohl nicht bloß Zufall, daß Amerika nach
vollständiger Besiedlung innerhalb seiner natürlichen Grenzen sich über diese
ausdehnte." Da der Krieg so erfolgreich gewesen war, wollte das Volk nichts
wieder aufgeben, was einmal erobert worden war, und scheute vor keinen neuen
Gefahren oder Verantwortlichkeiten zurück, und dieses Gefühl wurde schließlich
für die Zukunft entscheidend. Sehr interessant ist der Nachweis, daß der wirt¬
schaftliche Fortschritt die ganze Politik des Landes vielfach beeinflußte, und
daß dies auch in Zukunft der Fall sein wird. Dieser Einfluß hat insbesondre
dadurch eine Wandlung erfahren, daß an Stelle der frühern ausschließlichen Roh¬
produktenausfuhr in wachsender Steigerung der Export an Fabrikerzeugnissen
ausschlaggebend geworden ist. Heutzutage müssen sich die Vereinigten Staaten
im Wettstreit mit den hochentwickelten Industrieländern messen, von denen jedes
alle Mittel anwendet, seinen Handel zu fördern und — vorderhand England
ausgenommen — die heimische Industrie durch Einfuhrzölle zu schützen.

Coolidge verkennt nicht, daß die Unvernunft der extremen Hochschutz¬
zöllner im eignen Lande dem Abschluß vorteilhafter Handelsverträge im Wege
gestanden hat, er enthält sich aber einer unzweifelhaften Verurteilung dieses
wirtschaftlichen Standpunkts und stellt immer die nordamerikanischen Einfuhr¬
zölle den Zöllen andrer Staaten gewissermaßen gleich, obwohl doch schon der
sogenannte Dingleytarif als übermäßig angesehen werden muß. Vom neusten
amerikanischen Tarif spricht er selbstverständlich nicht, da sein Buch viel früher
entstanden ist. Da der Export nordamerikanischer Fabrikerzeugnisse nach den
Besitzungen der europäische» Mächte durch Zölle stark behindert war, glaubten
die Vereinigten Staaten bloß noch in zwei Gebieten eine große Zukunft für
ihren Warenexport zu haben: in den romanischen Republiken ihres Welt¬
teils und in Ostasien. Darum wurde die panamerikanische Bewegung eifrig
betrieben und für Ostasien der Grundsatz der „offnen Tür" durchgesetzt, wobei
Coolidge nicht verkennt, daß das letztere Bestreben der Nordamerikaner beinahe
lächerlich gewesen sei, da es ihnen nicht einfalle, den gleichen Grundsatz daheim
anzuwenden. Er gibt auch mit aller Offenheit zu, daß die offne Tür für
die Philippinen, für die sie bei der Annexion no1en8 volens erklärt werden
mußte, keinen längern Bestand haben, und daß eine etwaige Durchführung
des Grundsatzes für die romanischen Republiken auf den ernsten Widerstand
der Union stoßen dürfte. Bei diesem Ausfuhrwettbewerb stoßen nun die
Nordamerikaner überall auf die Konkurrenz der europäischen Industriestaaten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/213>, abgerufen am 04.07.2024.