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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Veutschlaud und Amerika

Archibald Carp Coolidge (367 Seiten, Preis 6 Mark) angesehn werden,
gerade weil es vom amerikanischen Standpunkte aus geschrieben ist, aber alle
Fragen bei genauer Kenntnis der europäischen Verhältnisse sachlich und mit
beachtenswerter Objektivität behandelt.

Der Verfasser bringt für seine Darstellungen die ausreichende Befähigung
mit. Er hat in England, Deutschland, Frankreich und der Schweiz studiert, ist
längere Zeit diplomatisch in Petersburg, Paris und Wien tätig gewesen und
hat alle Weltteile bereist. Seit Jahren wirkt er an der Harvard-Universität
und war im Jahre 1907 Austauschprofessor in Paris. Aus den dort gehaltnen
Vorträgen ist das vorliegende Werk entstanden, das der Verfasser ausdrücklich
für Deutschland hat übersetzen lassen, "dessen großen Männern der Wissenschaft
er sich tief verpflichtet fühlt". Diese Hochachtung vor deutscher Wissenschaft im
Verein mit der Eigenschaft als Austauschprofessor in Paris lassen schon im
vorhinein eine große Unparteilichkeit des Werks annehmen, und man wird in
der Überzeugung davon beim Lesen von Seite zu Seite bestärkt. Es ist un¬
streitig sogar ein großer Vorzug, daß der Verfasser nicht Austauschprofessor in
Deutschland war, weshalb gewisse, darauf fußende Artigkeiten fehlen und darum
auch keinen Anlaß zu mißverständlichen Auffassungen geben können. Das um¬
fangreiche Werk gibt in einer Einleitung und neunzehn Kapiteln erschöpfende
Auskunft über die geschichtliche Entwicklung der Union, die Bevölkerungs-,
Einwandrungs- und Rassenfrage, die wirtschaftlichen Anschauungen und die
politischen Beziehungen der Vereinigten Staaten zu den europäischen Gro߬
mächten, dem romanischen Amerika und zu China und Japan. Es verdient
bemerkt zu werden, daß der Verfasser die Machtverhältnisse der Union zu Wasser
und zu Lande, obgleich der Titel des Buchs zu der Annahme führen könnte,
nicht eigentlich bespricht, sondern nur gelegentlich bei geschichtlichen Ereignissen
ihre Mitwirkung erwähnt, wobei er nicht verschweigt, daß sich im Kriege mit
Spanien die Organisation der Armee als ungenügend erwiesen hatte, während
der Erfolg der jungen Flotte ihr eine solche Volkstümlichkeit erwarb, daß dadurch
ihre weitere Aufrechterhaltung und Vergrößerung gesichert wurde. Übrigens
scheint er die allgemeine Ansicht der Nordamerikaner zu teilen, daß die Union
für ihre politischen Aufgaben stets die notwendigen Machtmittel aufzubringen
imstande ist.

In der Einleitung erläutert Coolidge seine Ansicht über den Begriff
Weltmacht, wofür er als Voraussetzung die Stellung als Großmacht und
außerdem einen beträchtlichen Kolonialbesitz in einem andern Weltteil annimmt.
Demnach rechnet er zu den Weltmächten nach ihrer Größe England, Rußland,
Frankreich, die Vereinigten Staaten und Deutschland, aber nicht Österreich-
Ungarn und Italien, ebensowenig China und Japan. Seine Darstellung der
geschichtlichen Entwicklung der Vereinigten Staaten kann für den vorliegenden
Zweck als mustergiltig angesehn werden; daß sie in großen Zügen gehalten ist
und jede Schilderung der Feldzttge vermeidet, ist eher ein Vorzug als ein


Veutschlaud und Amerika

Archibald Carp Coolidge (367 Seiten, Preis 6 Mark) angesehn werden,
gerade weil es vom amerikanischen Standpunkte aus geschrieben ist, aber alle
Fragen bei genauer Kenntnis der europäischen Verhältnisse sachlich und mit
beachtenswerter Objektivität behandelt.

Der Verfasser bringt für seine Darstellungen die ausreichende Befähigung
mit. Er hat in England, Deutschland, Frankreich und der Schweiz studiert, ist
längere Zeit diplomatisch in Petersburg, Paris und Wien tätig gewesen und
hat alle Weltteile bereist. Seit Jahren wirkt er an der Harvard-Universität
und war im Jahre 1907 Austauschprofessor in Paris. Aus den dort gehaltnen
Vorträgen ist das vorliegende Werk entstanden, das der Verfasser ausdrücklich
für Deutschland hat übersetzen lassen, „dessen großen Männern der Wissenschaft
er sich tief verpflichtet fühlt". Diese Hochachtung vor deutscher Wissenschaft im
Verein mit der Eigenschaft als Austauschprofessor in Paris lassen schon im
vorhinein eine große Unparteilichkeit des Werks annehmen, und man wird in
der Überzeugung davon beim Lesen von Seite zu Seite bestärkt. Es ist un¬
streitig sogar ein großer Vorzug, daß der Verfasser nicht Austauschprofessor in
Deutschland war, weshalb gewisse, darauf fußende Artigkeiten fehlen und darum
auch keinen Anlaß zu mißverständlichen Auffassungen geben können. Das um¬
fangreiche Werk gibt in einer Einleitung und neunzehn Kapiteln erschöpfende
Auskunft über die geschichtliche Entwicklung der Union, die Bevölkerungs-,
Einwandrungs- und Rassenfrage, die wirtschaftlichen Anschauungen und die
politischen Beziehungen der Vereinigten Staaten zu den europäischen Gro߬
mächten, dem romanischen Amerika und zu China und Japan. Es verdient
bemerkt zu werden, daß der Verfasser die Machtverhältnisse der Union zu Wasser
und zu Lande, obgleich der Titel des Buchs zu der Annahme führen könnte,
nicht eigentlich bespricht, sondern nur gelegentlich bei geschichtlichen Ereignissen
ihre Mitwirkung erwähnt, wobei er nicht verschweigt, daß sich im Kriege mit
Spanien die Organisation der Armee als ungenügend erwiesen hatte, während
der Erfolg der jungen Flotte ihr eine solche Volkstümlichkeit erwarb, daß dadurch
ihre weitere Aufrechterhaltung und Vergrößerung gesichert wurde. Übrigens
scheint er die allgemeine Ansicht der Nordamerikaner zu teilen, daß die Union
für ihre politischen Aufgaben stets die notwendigen Machtmittel aufzubringen
imstande ist.

In der Einleitung erläutert Coolidge seine Ansicht über den Begriff
Weltmacht, wofür er als Voraussetzung die Stellung als Großmacht und
außerdem einen beträchtlichen Kolonialbesitz in einem andern Weltteil annimmt.
Demnach rechnet er zu den Weltmächten nach ihrer Größe England, Rußland,
Frankreich, die Vereinigten Staaten und Deutschland, aber nicht Österreich-
Ungarn und Italien, ebensowenig China und Japan. Seine Darstellung der
geschichtlichen Entwicklung der Vereinigten Staaten kann für den vorliegenden
Zweck als mustergiltig angesehn werden; daß sie in großen Zügen gehalten ist
und jede Schilderung der Feldzttge vermeidet, ist eher ein Vorzug als ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/212>, abgerufen am 04.07.2024.