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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Meleager von Gadara

so muß sie gefesselt bei dem Dichter bleiben. Auch bösartige Satire läuft mit
unter. Eine Dame namens Timarion ist dem Alter verfallen. Rücksichtslos deckt
er ihre Schwächen auf, indem er sie realistisch und derb fast in Manier des
Archilochos mit einem alten, gebrechlichen Lastschiff vergleicht, dessen Segel¬
stange krumm geworden > dessen Segeltuch zerrissen, dessen Boden leck ist; es
bleibt dem Leser überlassen, die sehr obszön durchgeführten Vergleiche selbst
herauszufinden.

Auch auf schöne Knaben finden sich Lobgedichte, deren Besprechung wir
uns einer weitern Ausführung vorbehalten.

Wer aber glaubt, Meleager habe sich nur im goldnen Glänze der Liebe
gesonnt und verstehe es nur, seinen Lesern ein Brillantfeuerwerk vorzuführen,
der irrt; auch Verse auf die Macht des finstern Todes entströmen seiner Leier.
An der Spitze der Grabepigramme stehe das wundervolle Trauergedicht auf
die geliebte Heliodora. Hier ist er der heiligsten, ernstesten Töne fähig, der
Stil wird ruhiger, vornehmer; nicht mehr auflodernde Liebe, stiller Schmerz
erfüllt seine Brust. Die einst so gepriesne Geliebte ist entschlafen; ihr
widmet er in tiefer Trauer die ergreifenden Verse: ^


Tränen hinab in die Erde send ich dir, Heliodora,
Unserer Liebe Nest, Trauer hinab in das Grab.
Tränen, bittere Tränen am vielumjcimmerten Hügel
spert ich, gedenkend an dich, an deinen Frohsinn und Reiz.
schmerzvoll bejammert dich nun, die Freundin, auch dort bei den Toten
Dein Meleager und bringt nutzlose Gabe ins Grab.
Wehe, wo ist deine reizvolle Blüte? Sie raubte der Hades,
Und es besudelt der Staub Blume im Lenze erblüht.
Höre, allnährende Erde, die Bitte: die trünenbeklngto
Bette sie, Mutter, gar sanft in deine Arme und Schoß! .

Wahrlich ein harmonisches, edles Ausklingen und Ende des Liebesfrühlings!
Rührend ist auch die Klage um den Tod eines jungen Mannes, der im Alter
von achtzehn Jahren dahinstarb. Im Ephebenmantel liegt er nun vor uns,
von der zärtlichen Mutter zum letztenmale geschmückt. Einen Stein hätte es
erbarmen können, als die Freunde die Leiche aus dem Hause geleiteten:


Nun bleibt Sehnsucht den Freunden, den Eltern bittere Trauer,
Höret ein Fremder das Leid, denkt er in Mitleid an sie.

Seltsam war das Ende einer armen Braut, die ihr Liebesglück gar nicht
genoß, da sie im Brautgemach vom raschen Tode ereilt wurde. Flöten und
Hochzeitslieder waren eben erst durch den Raum erschallt, früh aber wandelte
sich die Hochzeitsmusik in Totenklänge.. Aller Arten Verstorbner wird ge¬
dacht: so eines Selbstmörders, der seinen Lehren konsequent geblieben ist und
sich als Greis durch Vergiften der Misere des Daseins entzogen hat. Der
alte bärbeißige Heraklit wird auch im Zwiegespräch mit dem Besucher seines
Grabes redend eingeführt: seine Verdienste um seine Heimat sind noch bedeutender


Meleager von Gadara

so muß sie gefesselt bei dem Dichter bleiben. Auch bösartige Satire läuft mit
unter. Eine Dame namens Timarion ist dem Alter verfallen. Rücksichtslos deckt
er ihre Schwächen auf, indem er sie realistisch und derb fast in Manier des
Archilochos mit einem alten, gebrechlichen Lastschiff vergleicht, dessen Segel¬
stange krumm geworden > dessen Segeltuch zerrissen, dessen Boden leck ist; es
bleibt dem Leser überlassen, die sehr obszön durchgeführten Vergleiche selbst
herauszufinden.

Auch auf schöne Knaben finden sich Lobgedichte, deren Besprechung wir
uns einer weitern Ausführung vorbehalten.

Wer aber glaubt, Meleager habe sich nur im goldnen Glänze der Liebe
gesonnt und verstehe es nur, seinen Lesern ein Brillantfeuerwerk vorzuführen,
der irrt; auch Verse auf die Macht des finstern Todes entströmen seiner Leier.
An der Spitze der Grabepigramme stehe das wundervolle Trauergedicht auf
die geliebte Heliodora. Hier ist er der heiligsten, ernstesten Töne fähig, der
Stil wird ruhiger, vornehmer; nicht mehr auflodernde Liebe, stiller Schmerz
erfüllt seine Brust. Die einst so gepriesne Geliebte ist entschlafen; ihr
widmet er in tiefer Trauer die ergreifenden Verse: ^


Tränen hinab in die Erde send ich dir, Heliodora,
Unserer Liebe Nest, Trauer hinab in das Grab.
Tränen, bittere Tränen am vielumjcimmerten Hügel
spert ich, gedenkend an dich, an deinen Frohsinn und Reiz.
schmerzvoll bejammert dich nun, die Freundin, auch dort bei den Toten
Dein Meleager und bringt nutzlose Gabe ins Grab.
Wehe, wo ist deine reizvolle Blüte? Sie raubte der Hades,
Und es besudelt der Staub Blume im Lenze erblüht.
Höre, allnährende Erde, die Bitte: die trünenbeklngto
Bette sie, Mutter, gar sanft in deine Arme und Schoß! .

Wahrlich ein harmonisches, edles Ausklingen und Ende des Liebesfrühlings!
Rührend ist auch die Klage um den Tod eines jungen Mannes, der im Alter
von achtzehn Jahren dahinstarb. Im Ephebenmantel liegt er nun vor uns,
von der zärtlichen Mutter zum letztenmale geschmückt. Einen Stein hätte es
erbarmen können, als die Freunde die Leiche aus dem Hause geleiteten:


Nun bleibt Sehnsucht den Freunden, den Eltern bittere Trauer,
Höret ein Fremder das Leid, denkt er in Mitleid an sie.

Seltsam war das Ende einer armen Braut, die ihr Liebesglück gar nicht
genoß, da sie im Brautgemach vom raschen Tode ereilt wurde. Flöten und
Hochzeitslieder waren eben erst durch den Raum erschallt, früh aber wandelte
sich die Hochzeitsmusik in Totenklänge.. Aller Arten Verstorbner wird ge¬
dacht: so eines Selbstmörders, der seinen Lehren konsequent geblieben ist und
sich als Greis durch Vergiften der Misere des Daseins entzogen hat. Der
alte bärbeißige Heraklit wird auch im Zwiegespräch mit dem Besucher seines
Grabes redend eingeführt: seine Verdienste um seine Heimat sind noch bedeutender


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[0192] Meleager von Gadara so muß sie gefesselt bei dem Dichter bleiben. Auch bösartige Satire läuft mit unter. Eine Dame namens Timarion ist dem Alter verfallen. Rücksichtslos deckt er ihre Schwächen auf, indem er sie realistisch und derb fast in Manier des Archilochos mit einem alten, gebrechlichen Lastschiff vergleicht, dessen Segel¬ stange krumm geworden > dessen Segeltuch zerrissen, dessen Boden leck ist; es bleibt dem Leser überlassen, die sehr obszön durchgeführten Vergleiche selbst herauszufinden. Auch auf schöne Knaben finden sich Lobgedichte, deren Besprechung wir uns einer weitern Ausführung vorbehalten. Wer aber glaubt, Meleager habe sich nur im goldnen Glänze der Liebe gesonnt und verstehe es nur, seinen Lesern ein Brillantfeuerwerk vorzuführen, der irrt; auch Verse auf die Macht des finstern Todes entströmen seiner Leier. An der Spitze der Grabepigramme stehe das wundervolle Trauergedicht auf die geliebte Heliodora. Hier ist er der heiligsten, ernstesten Töne fähig, der Stil wird ruhiger, vornehmer; nicht mehr auflodernde Liebe, stiller Schmerz erfüllt seine Brust. Die einst so gepriesne Geliebte ist entschlafen; ihr widmet er in tiefer Trauer die ergreifenden Verse: ^ Tränen hinab in die Erde send ich dir, Heliodora, Unserer Liebe Nest, Trauer hinab in das Grab. Tränen, bittere Tränen am vielumjcimmerten Hügel spert ich, gedenkend an dich, an deinen Frohsinn und Reiz. schmerzvoll bejammert dich nun, die Freundin, auch dort bei den Toten Dein Meleager und bringt nutzlose Gabe ins Grab. Wehe, wo ist deine reizvolle Blüte? Sie raubte der Hades, Und es besudelt der Staub Blume im Lenze erblüht. Höre, allnährende Erde, die Bitte: die trünenbeklngto Bette sie, Mutter, gar sanft in deine Arme und Schoß! . Wahrlich ein harmonisches, edles Ausklingen und Ende des Liebesfrühlings! Rührend ist auch die Klage um den Tod eines jungen Mannes, der im Alter von achtzehn Jahren dahinstarb. Im Ephebenmantel liegt er nun vor uns, von der zärtlichen Mutter zum letztenmale geschmückt. Einen Stein hätte es erbarmen können, als die Freunde die Leiche aus dem Hause geleiteten: Nun bleibt Sehnsucht den Freunden, den Eltern bittere Trauer, Höret ein Fremder das Leid, denkt er in Mitleid an sie. Seltsam war das Ende einer armen Braut, die ihr Liebesglück gar nicht genoß, da sie im Brautgemach vom raschen Tode ereilt wurde. Flöten und Hochzeitslieder waren eben erst durch den Raum erschallt, früh aber wandelte sich die Hochzeitsmusik in Totenklänge.. Aller Arten Verstorbner wird ge¬ dacht: so eines Selbstmörders, der seinen Lehren konsequent geblieben ist und sich als Greis durch Vergiften der Misere des Daseins entzogen hat. Der alte bärbeißige Heraklit wird auch im Zwiegespräch mit dem Besucher seines Grabes redend eingeführt: seine Verdienste um seine Heimat sind noch bedeutender

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/192>, abgerufen am 24.07.2024.