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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Meleager von Gadara

die drei Charitinnen haben ihr ihre Huld verliehn, haben ihr einen dreifachen
Kranz gewunden, ihre Haut, ihre Schönheit, ihre lieblichen Worte sind Gaben
der freundlichen Göttinnen. Reich beschenkt ist die Geliebte durch die Liebes¬
götter, ja sie wird selber Chans genannt; reiches Lob wird dem Maler gezollt,
der sie gebildet, der "anmutig die Anmut selbst gemalt hat". Alle Blumen
und Wiesen überstrahlt Zenophila: schon blüht die Levkoie, schon der regen¬
liebende Narkissos, schon auf deu Bergen die Lilie, aber auch Zenophila blüht
als Frühlingsrose auf den Wiesen wandelnd. Umsonst aber lachen die Wiesen¬
blumen auf ihrem Haupte, sie ist schöner als alle Kränze:


Wiesen, was lacht ihr so heiter mit euern Blumen? -- Vergeblich!
Denn über duftenden Kranz Siegel das liebliche Kind!

Nun sitzen sie zusammen beim Gelage, da beneidet er den Becher, daß
sie ihn mit ihrer süßplaudernden Lippe berührt, und der Wunsch wird wach:


Legte sie doch ihre Lippen an meine Lippen und schlürfte
Meine Seele als Trank ohne zu atmen hinab.

Aber bricht die Nacht herein, und ruht sie allein im Gemach, lodert die
Sehnsucht seiner Seele auf, und er wünscht sich als unbeflügelter Schlaf auf
ihre Lider senken zu dürfen und sie ganz zu genießen. Sogar auf die Kreatur
wird er eifersüchtig, auf jene kleinen geflügelten Blutsauger, die jetzt noch als
Zanzarcn unsre Nachtruhe im Süden stören. Sie sollen die Geliebte nur
ein wenig ruhen lassen; freilich kann er es ihnen nicht verdenken, wenn auch
sie den süßen Leib genießen wollen, darum fort mit ihnen!


Aber nun sage ichs euch, ihr Teufelsbrut, laßt von der Frechheit,
Oder ihr fühlet die Hand, die durch die Eisersucht stark!

Am Tage werden die kleinen Plagegeister jedoch praktisch als Botinnen
verwandt. Wie der Hirte bei Theokrit den Bock, wie Anakreon die Taube
als Liebesboten benutzt, so sendet hier Meleager das Mückchen zur Geliebten.
Kehrt es mit guter Botschaft wieder, harrt seiner eine originelle Belohnung:
in Löwenfell soll es gekleidet werden, und eine Keule soll es erhalten, um als
Herakles durch die Welt zu fliegen. Aber auf den Liebesfrühling folgt ein
leidenschaftliches Gewitter, eine rauschende Disharmonie klingt durch die Saiten
des Gekränkten. Es kommt zum jähen Bruch -- "ich weiß es, was bedarf
es eines Meineides?" Deutliche Kennzeichen sagen es dem beleidigten Lieb¬
haber, daß Zenophila ihm untreu geworden: die zerzauste Locke, das schlaf-
trunkne Auge, die vom Wein gelösten Glieder. Fort mit dir, du Dirne, ruft
er ihr zu, dich ruft doch die Leier und das Lärmen der Castagnetten! So
schließt das sonnige Glück mit einer schrillen Dissonanz. Eine andre Dame,
der er bis an ihren Tod zugetan blieb, war Heliodora. Auch sie bezauberte
ihn durch ihre musikalischen Leistungen, der Klang ihrer Stimme war ihm lieber
als der Ton der Apollokithara. Duftig ist die Szene beim Wein, wie er den


Meleager von Gadara

die drei Charitinnen haben ihr ihre Huld verliehn, haben ihr einen dreifachen
Kranz gewunden, ihre Haut, ihre Schönheit, ihre lieblichen Worte sind Gaben
der freundlichen Göttinnen. Reich beschenkt ist die Geliebte durch die Liebes¬
götter, ja sie wird selber Chans genannt; reiches Lob wird dem Maler gezollt,
der sie gebildet, der „anmutig die Anmut selbst gemalt hat". Alle Blumen
und Wiesen überstrahlt Zenophila: schon blüht die Levkoie, schon der regen¬
liebende Narkissos, schon auf deu Bergen die Lilie, aber auch Zenophila blüht
als Frühlingsrose auf den Wiesen wandelnd. Umsonst aber lachen die Wiesen¬
blumen auf ihrem Haupte, sie ist schöner als alle Kränze:


Wiesen, was lacht ihr so heiter mit euern Blumen? — Vergeblich!
Denn über duftenden Kranz Siegel das liebliche Kind!

Nun sitzen sie zusammen beim Gelage, da beneidet er den Becher, daß
sie ihn mit ihrer süßplaudernden Lippe berührt, und der Wunsch wird wach:


Legte sie doch ihre Lippen an meine Lippen und schlürfte
Meine Seele als Trank ohne zu atmen hinab.

Aber bricht die Nacht herein, und ruht sie allein im Gemach, lodert die
Sehnsucht seiner Seele auf, und er wünscht sich als unbeflügelter Schlaf auf
ihre Lider senken zu dürfen und sie ganz zu genießen. Sogar auf die Kreatur
wird er eifersüchtig, auf jene kleinen geflügelten Blutsauger, die jetzt noch als
Zanzarcn unsre Nachtruhe im Süden stören. Sie sollen die Geliebte nur
ein wenig ruhen lassen; freilich kann er es ihnen nicht verdenken, wenn auch
sie den süßen Leib genießen wollen, darum fort mit ihnen!


Aber nun sage ichs euch, ihr Teufelsbrut, laßt von der Frechheit,
Oder ihr fühlet die Hand, die durch die Eisersucht stark!

Am Tage werden die kleinen Plagegeister jedoch praktisch als Botinnen
verwandt. Wie der Hirte bei Theokrit den Bock, wie Anakreon die Taube
als Liebesboten benutzt, so sendet hier Meleager das Mückchen zur Geliebten.
Kehrt es mit guter Botschaft wieder, harrt seiner eine originelle Belohnung:
in Löwenfell soll es gekleidet werden, und eine Keule soll es erhalten, um als
Herakles durch die Welt zu fliegen. Aber auf den Liebesfrühling folgt ein
leidenschaftliches Gewitter, eine rauschende Disharmonie klingt durch die Saiten
des Gekränkten. Es kommt zum jähen Bruch — „ich weiß es, was bedarf
es eines Meineides?" Deutliche Kennzeichen sagen es dem beleidigten Lieb¬
haber, daß Zenophila ihm untreu geworden: die zerzauste Locke, das schlaf-
trunkne Auge, die vom Wein gelösten Glieder. Fort mit dir, du Dirne, ruft
er ihr zu, dich ruft doch die Leier und das Lärmen der Castagnetten! So
schließt das sonnige Glück mit einer schrillen Dissonanz. Eine andre Dame,
der er bis an ihren Tod zugetan blieb, war Heliodora. Auch sie bezauberte
ihn durch ihre musikalischen Leistungen, der Klang ihrer Stimme war ihm lieber
als der Ton der Apollokithara. Duftig ist die Szene beim Wein, wie er den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/190>, abgerufen am 24.07.2024.