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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Meleager von Gadara

Übersättigung erlegen ist. Schon früh war es der Mutter geraubt, hatte sich
aber einer süßen Gefangenschaft zu erfreuen gehabt, die ihm so verhängnisvoll
werden sollte. Aber das Langohrchen soll doch auch im Tode einen Ehren-
Platz einnehmen, nämlich am Lager der Herrin, damit sie ihn in ihren
Träumen immer vor sich habe.

Besonders sind es die kleinen geflügelten Lieblinge des Dichters: Heu¬
schrecken und Zitaten, die in Versen verherrlicht werden. Bukolische ein
Theodul erinnernde Verse schlägt Mcleciger an bei dem Liedchen auf die
Heuschrecke. Eine Siestastimmnng des südlichen Mittags überkommt Ins:
Das Tierchen ist es, das ihm durch sein Gezirp so süß seinen Liebeskummer
verscheucht, darum soll es jetzt mit seinen Füßchen an die Flügel reiben und
sein Stimmchen wie eine zarte Saite erklingen lassen, damit er in seinen
Liebesklagen auf andre Gedanken komme. Auch der Zitate, des freundlichen
Feldsüngers. gedenkt er. Es ist das liebe Geschöpf, das mit seiner Stimme
so recht die sonnenverbrannte südliche Vegetation repräsentiert, durch Anakreon.
Theokrit und Goethe gefeiert. Sie wird gepriesen, wie sie trunken von Tau¬
tröpfchen auf den Blättern sitzt und mit ihren sägeförmigen Beinchen und
funkelnder Haut ihr Liedchen singt. Da will der verliebte Dichter lauschen,
dem Eros glücklich entronnen:


Singe ein neues Lied den baumbcmohnenden Nymphen,
Singe mit scherzenden Klang zirpend entgegen dein Pan;
Ich unterdessen gelagert im Schatten der dunkeln Platane
Suche am Mittag nach Schlaf fliehend des Eros Gewalt.

Und der Dichter hatte es nötig, dem Pfeilschützen zu entfliehen und Ruhe in
der herrlichen Natur zu suchen. Er war ein gar entzündbares Herz und
mußte an sich das Erbteil seines Volkes schmerzlich erfahren. Das ist sein
eigentliches Element, die zärtliche, schmachtende Liebeselegie, in der er Meister
ist. und die er mit buntem, fast modernem Kolorit erfüllt. Das wieder¬
kehrende Thema spricht er selbst in einem Epigramme aus, es stehe als Motto
über seinen erotischen Gesängen:


Immer tönt mir in den Ohren
Liebesbrausen wunderbar,
Und in Sehnsucht bringt das Auge
Leise süße Tränen dar.

Und nun folgt eine Reihe Epigramme von der Person und der Macht
der Liebe. Im Meere der Sehnsucht schwimmt der Dichter, wo wird er hin¬
verschlagen? Der brausende Wind der Liebe treibt das Fahrzeug vorwärts,
das Steuerruder der Vernunft ist gerissen, vielleicht gerät er in eine Skylla.
Am Ende fliegt die Seele bei der Liebesflamme davon, auch sie hat Flügel;
darüber dichtet er ein kurzes Liedchen mit hübschem Wortspiel, denn kann
die Seele, aber auch die Lichtmotte bedeuten, die dem Lichte zufliegt und sich die
Flügel verbrennt, eine Szene, der wir auch auf den kunstvoll geschnittenen


Meleager von Gadara

Übersättigung erlegen ist. Schon früh war es der Mutter geraubt, hatte sich
aber einer süßen Gefangenschaft zu erfreuen gehabt, die ihm so verhängnisvoll
werden sollte. Aber das Langohrchen soll doch auch im Tode einen Ehren-
Platz einnehmen, nämlich am Lager der Herrin, damit sie ihn in ihren
Träumen immer vor sich habe.

Besonders sind es die kleinen geflügelten Lieblinge des Dichters: Heu¬
schrecken und Zitaten, die in Versen verherrlicht werden. Bukolische ein
Theodul erinnernde Verse schlägt Mcleciger an bei dem Liedchen auf die
Heuschrecke. Eine Siestastimmnng des südlichen Mittags überkommt Ins:
Das Tierchen ist es, das ihm durch sein Gezirp so süß seinen Liebeskummer
verscheucht, darum soll es jetzt mit seinen Füßchen an die Flügel reiben und
sein Stimmchen wie eine zarte Saite erklingen lassen, damit er in seinen
Liebesklagen auf andre Gedanken komme. Auch der Zitate, des freundlichen
Feldsüngers. gedenkt er. Es ist das liebe Geschöpf, das mit seiner Stimme
so recht die sonnenverbrannte südliche Vegetation repräsentiert, durch Anakreon.
Theokrit und Goethe gefeiert. Sie wird gepriesen, wie sie trunken von Tau¬
tröpfchen auf den Blättern sitzt und mit ihren sägeförmigen Beinchen und
funkelnder Haut ihr Liedchen singt. Da will der verliebte Dichter lauschen,
dem Eros glücklich entronnen:


Singe ein neues Lied den baumbcmohnenden Nymphen,
Singe mit scherzenden Klang zirpend entgegen dein Pan;
Ich unterdessen gelagert im Schatten der dunkeln Platane
Suche am Mittag nach Schlaf fliehend des Eros Gewalt.

Und der Dichter hatte es nötig, dem Pfeilschützen zu entfliehen und Ruhe in
der herrlichen Natur zu suchen. Er war ein gar entzündbares Herz und
mußte an sich das Erbteil seines Volkes schmerzlich erfahren. Das ist sein
eigentliches Element, die zärtliche, schmachtende Liebeselegie, in der er Meister
ist. und die er mit buntem, fast modernem Kolorit erfüllt. Das wieder¬
kehrende Thema spricht er selbst in einem Epigramme aus, es stehe als Motto
über seinen erotischen Gesängen:


Immer tönt mir in den Ohren
Liebesbrausen wunderbar,
Und in Sehnsucht bringt das Auge
Leise süße Tränen dar.

Und nun folgt eine Reihe Epigramme von der Person und der Macht
der Liebe. Im Meere der Sehnsucht schwimmt der Dichter, wo wird er hin¬
verschlagen? Der brausende Wind der Liebe treibt das Fahrzeug vorwärts,
das Steuerruder der Vernunft ist gerissen, vielleicht gerät er in eine Skylla.
Am Ende fliegt die Seele bei der Liebesflamme davon, auch sie hat Flügel;
darüber dichtet er ein kurzes Liedchen mit hübschem Wortspiel, denn kann
die Seele, aber auch die Lichtmotte bedeuten, die dem Lichte zufliegt und sich die
Flügel verbrennt, eine Szene, der wir auch auf den kunstvoll geschnittenen


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[0187] Meleager von Gadara Übersättigung erlegen ist. Schon früh war es der Mutter geraubt, hatte sich aber einer süßen Gefangenschaft zu erfreuen gehabt, die ihm so verhängnisvoll werden sollte. Aber das Langohrchen soll doch auch im Tode einen Ehren- Platz einnehmen, nämlich am Lager der Herrin, damit sie ihn in ihren Träumen immer vor sich habe. Besonders sind es die kleinen geflügelten Lieblinge des Dichters: Heu¬ schrecken und Zitaten, die in Versen verherrlicht werden. Bukolische ein Theodul erinnernde Verse schlägt Mcleciger an bei dem Liedchen auf die Heuschrecke. Eine Siestastimmnng des südlichen Mittags überkommt Ins: Das Tierchen ist es, das ihm durch sein Gezirp so süß seinen Liebeskummer verscheucht, darum soll es jetzt mit seinen Füßchen an die Flügel reiben und sein Stimmchen wie eine zarte Saite erklingen lassen, damit er in seinen Liebesklagen auf andre Gedanken komme. Auch der Zitate, des freundlichen Feldsüngers. gedenkt er. Es ist das liebe Geschöpf, das mit seiner Stimme so recht die sonnenverbrannte südliche Vegetation repräsentiert, durch Anakreon. Theokrit und Goethe gefeiert. Sie wird gepriesen, wie sie trunken von Tau¬ tröpfchen auf den Blättern sitzt und mit ihren sägeförmigen Beinchen und funkelnder Haut ihr Liedchen singt. Da will der verliebte Dichter lauschen, dem Eros glücklich entronnen: Singe ein neues Lied den baumbcmohnenden Nymphen, Singe mit scherzenden Klang zirpend entgegen dein Pan; Ich unterdessen gelagert im Schatten der dunkeln Platane Suche am Mittag nach Schlaf fliehend des Eros Gewalt. Und der Dichter hatte es nötig, dem Pfeilschützen zu entfliehen und Ruhe in der herrlichen Natur zu suchen. Er war ein gar entzündbares Herz und mußte an sich das Erbteil seines Volkes schmerzlich erfahren. Das ist sein eigentliches Element, die zärtliche, schmachtende Liebeselegie, in der er Meister ist. und die er mit buntem, fast modernem Kolorit erfüllt. Das wieder¬ kehrende Thema spricht er selbst in einem Epigramme aus, es stehe als Motto über seinen erotischen Gesängen: Immer tönt mir in den Ohren Liebesbrausen wunderbar, Und in Sehnsucht bringt das Auge Leise süße Tränen dar. Und nun folgt eine Reihe Epigramme von der Person und der Macht der Liebe. Im Meere der Sehnsucht schwimmt der Dichter, wo wird er hin¬ verschlagen? Der brausende Wind der Liebe treibt das Fahrzeug vorwärts, das Steuerruder der Vernunft ist gerissen, vielleicht gerät er in eine Skylla. Am Ende fliegt die Seele bei der Liebesflamme davon, auch sie hat Flügel; darüber dichtet er ein kurzes Liedchen mit hübschem Wortspiel, denn kann die Seele, aber auch die Lichtmotte bedeuten, die dem Lichte zufliegt und sich die Flügel verbrennt, eine Szene, der wir auch auf den kunstvoll geschnittenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/187>, abgerufen am 24.07.2024.