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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

rücken, Kalbsviertel. Auerhahn. 2. Rindernes Schwanzstück mit Kreil, ein
gespickter Hase, rinderner Lendenbraten. 3. Ein gesottener Wels, drei Aale, ein
Auerhahn. eine gespickte Rehkeule, zwei gespickte Hasen, ein Kalbsviertel, zwei
Kapaunen, ein schweinerner Diballe(?), zwölf kleine Pasteten, eine Apfeltorte,
eine Butterschlange. Milchreis, Salat und Käse. 4. Vier Karpfen mit Zubehör,
ein rinderner Lendenbraten, ein Rehrücken, eine Kalbskeule, Sauerkraut und
süßes Gebäck. 5. Ein Gericht Fische mit Steckrüben, ein gespickter Hase, ein
Auerhahn, ein Lungenbraten, eine Kirschtorte. Da nicht anzunehmen ist, daß
der Appetit der Herren so stark gewechselt hat wie die Quantität der Speisen,
so vermute ich, daß die Zahl der Teilnehmer nicht an allen fünf Tagen dieselbe
war. Eine Hauptaufgabe der Innungen war die Übung von Wohltätigkeit.
Hilfsbedürftige Mitglieder scheint es, den Rechnungsbüchern nach zu urteilen,
in der Kürschnerzunft nicht gegeben zu haben. Vor 1500 wurden die Frauen¬
konvente reichlich unterstützt, nach Einführung der Reformation auswärtige
verarmte oder abgebrannte Zunftgenossen und evangelische Gemeinden, die eine
Kirche bauen wollten. In der Zeit der Gegenreformation "wimmelt es in den
Rechnungsbüchern von Geldgeschenken an Vertriebne Glaubensgenossen: Geist¬
liche. Lehrer, Handwerker"; dazu kommen in den Kriegszeiten aus der Kriegs¬
gefangenschaft zurückgekehrte Soldaten und Fechtbrüder aller Art, auch adlige.
"Eine andre Form der Bettelei bestand in Gebetbüchlein, Predigten und Gedichten,
die von ihren Verfassern mit einer Widmung überreicht wurden." Ein Schützen¬
schreiber hat in der Zeit von 1604 bis 1618 die Innung zehnmal angedichtet
und außerdem mit Erfolg zum Neujahr gratuliere.

Eine andre angesehene und beliebte, wenn auch minder vornehme Zunft
war die der Kretschmer, das heißt Bierschankwirte. Heute sind sehr viele
"Restaurateure", wie sie jetzt heißen, Hörige der Großbrauereien, deren Gebräu
sie verzapfen; im alten Breslau -- ob auch anderwärts, weiß ich nicht -- ge¬
hörten umgekehrt die Braumeister und Brauknechte zum Gesinde der Kretschmer.
Die Perle unter den Breslauer Bieren war der Schöps. Wie er zu seinem
Namen gekommen ist, weiß man nicht. Einer seiner Verehrer unterschiebt dem
Schöps oder Hammel einen Widder und begründet die Benennung mit der
Stößigkeit, und ein andrer beschreibt diese Eigenschaft in ulkigem Latein:


LoKspL (-AMt ÄLvöQclit, oso iOÄixst ullis,
Lsssiwt in Stil'no, all'Mus inws in dirnis.

Dem Breslauer Schöps war der Schweidnitzer noch über, der im Breslauer
Ratskeller ausgeschenkt wurde; dieser heißt darum bis auf den heutigen Tag der
Schweidnitzer Keller. Der Ruf des Schweidnitzer Braus verbreitete sich weit
über die Landesgrenze. Zur Zeit des Königs Matthias von Ungarn gab es
in Ofen einen Schweidnitzer Keller, und in Thüringen erinnern die kleinen
Würstchen noch daran, die in Berlin Wiener und in Wien Berliner Würstchen
heißen: an manchen Orten Thüringens, versichert der mir unbekannte A. Pi,


Breslau

rücken, Kalbsviertel. Auerhahn. 2. Rindernes Schwanzstück mit Kreil, ein
gespickter Hase, rinderner Lendenbraten. 3. Ein gesottener Wels, drei Aale, ein
Auerhahn. eine gespickte Rehkeule, zwei gespickte Hasen, ein Kalbsviertel, zwei
Kapaunen, ein schweinerner Diballe(?), zwölf kleine Pasteten, eine Apfeltorte,
eine Butterschlange. Milchreis, Salat und Käse. 4. Vier Karpfen mit Zubehör,
ein rinderner Lendenbraten, ein Rehrücken, eine Kalbskeule, Sauerkraut und
süßes Gebäck. 5. Ein Gericht Fische mit Steckrüben, ein gespickter Hase, ein
Auerhahn, ein Lungenbraten, eine Kirschtorte. Da nicht anzunehmen ist, daß
der Appetit der Herren so stark gewechselt hat wie die Quantität der Speisen,
so vermute ich, daß die Zahl der Teilnehmer nicht an allen fünf Tagen dieselbe
war. Eine Hauptaufgabe der Innungen war die Übung von Wohltätigkeit.
Hilfsbedürftige Mitglieder scheint es, den Rechnungsbüchern nach zu urteilen,
in der Kürschnerzunft nicht gegeben zu haben. Vor 1500 wurden die Frauen¬
konvente reichlich unterstützt, nach Einführung der Reformation auswärtige
verarmte oder abgebrannte Zunftgenossen und evangelische Gemeinden, die eine
Kirche bauen wollten. In der Zeit der Gegenreformation „wimmelt es in den
Rechnungsbüchern von Geldgeschenken an Vertriebne Glaubensgenossen: Geist¬
liche. Lehrer, Handwerker"; dazu kommen in den Kriegszeiten aus der Kriegs¬
gefangenschaft zurückgekehrte Soldaten und Fechtbrüder aller Art, auch adlige.
„Eine andre Form der Bettelei bestand in Gebetbüchlein, Predigten und Gedichten,
die von ihren Verfassern mit einer Widmung überreicht wurden." Ein Schützen¬
schreiber hat in der Zeit von 1604 bis 1618 die Innung zehnmal angedichtet
und außerdem mit Erfolg zum Neujahr gratuliere.

Eine andre angesehene und beliebte, wenn auch minder vornehme Zunft
war die der Kretschmer, das heißt Bierschankwirte. Heute sind sehr viele
„Restaurateure", wie sie jetzt heißen, Hörige der Großbrauereien, deren Gebräu
sie verzapfen; im alten Breslau — ob auch anderwärts, weiß ich nicht — ge¬
hörten umgekehrt die Braumeister und Brauknechte zum Gesinde der Kretschmer.
Die Perle unter den Breslauer Bieren war der Schöps. Wie er zu seinem
Namen gekommen ist, weiß man nicht. Einer seiner Verehrer unterschiebt dem
Schöps oder Hammel einen Widder und begründet die Benennung mit der
Stößigkeit, und ein andrer beschreibt diese Eigenschaft in ulkigem Latein:


LoKspL (-AMt ÄLvöQclit, oso iOÄixst ullis,
Lsssiwt in Stil'no, all'Mus inws in dirnis.

Dem Breslauer Schöps war der Schweidnitzer noch über, der im Breslauer
Ratskeller ausgeschenkt wurde; dieser heißt darum bis auf den heutigen Tag der
Schweidnitzer Keller. Der Ruf des Schweidnitzer Braus verbreitete sich weit
über die Landesgrenze. Zur Zeit des Königs Matthias von Ungarn gab es
in Ofen einen Schweidnitzer Keller, und in Thüringen erinnern die kleinen
Würstchen noch daran, die in Berlin Wiener und in Wien Berliner Würstchen
heißen: an manchen Orten Thüringens, versichert der mir unbekannte A. Pi,


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[0181] Breslau rücken, Kalbsviertel. Auerhahn. 2. Rindernes Schwanzstück mit Kreil, ein gespickter Hase, rinderner Lendenbraten. 3. Ein gesottener Wels, drei Aale, ein Auerhahn. eine gespickte Rehkeule, zwei gespickte Hasen, ein Kalbsviertel, zwei Kapaunen, ein schweinerner Diballe(?), zwölf kleine Pasteten, eine Apfeltorte, eine Butterschlange. Milchreis, Salat und Käse. 4. Vier Karpfen mit Zubehör, ein rinderner Lendenbraten, ein Rehrücken, eine Kalbskeule, Sauerkraut und süßes Gebäck. 5. Ein Gericht Fische mit Steckrüben, ein gespickter Hase, ein Auerhahn, ein Lungenbraten, eine Kirschtorte. Da nicht anzunehmen ist, daß der Appetit der Herren so stark gewechselt hat wie die Quantität der Speisen, so vermute ich, daß die Zahl der Teilnehmer nicht an allen fünf Tagen dieselbe war. Eine Hauptaufgabe der Innungen war die Übung von Wohltätigkeit. Hilfsbedürftige Mitglieder scheint es, den Rechnungsbüchern nach zu urteilen, in der Kürschnerzunft nicht gegeben zu haben. Vor 1500 wurden die Frauen¬ konvente reichlich unterstützt, nach Einführung der Reformation auswärtige verarmte oder abgebrannte Zunftgenossen und evangelische Gemeinden, die eine Kirche bauen wollten. In der Zeit der Gegenreformation „wimmelt es in den Rechnungsbüchern von Geldgeschenken an Vertriebne Glaubensgenossen: Geist¬ liche. Lehrer, Handwerker"; dazu kommen in den Kriegszeiten aus der Kriegs¬ gefangenschaft zurückgekehrte Soldaten und Fechtbrüder aller Art, auch adlige. „Eine andre Form der Bettelei bestand in Gebetbüchlein, Predigten und Gedichten, die von ihren Verfassern mit einer Widmung überreicht wurden." Ein Schützen¬ schreiber hat in der Zeit von 1604 bis 1618 die Innung zehnmal angedichtet und außerdem mit Erfolg zum Neujahr gratuliere. Eine andre angesehene und beliebte, wenn auch minder vornehme Zunft war die der Kretschmer, das heißt Bierschankwirte. Heute sind sehr viele „Restaurateure", wie sie jetzt heißen, Hörige der Großbrauereien, deren Gebräu sie verzapfen; im alten Breslau — ob auch anderwärts, weiß ich nicht — ge¬ hörten umgekehrt die Braumeister und Brauknechte zum Gesinde der Kretschmer. Die Perle unter den Breslauer Bieren war der Schöps. Wie er zu seinem Namen gekommen ist, weiß man nicht. Einer seiner Verehrer unterschiebt dem Schöps oder Hammel einen Widder und begründet die Benennung mit der Stößigkeit, und ein andrer beschreibt diese Eigenschaft in ulkigem Latein: LoKspL (-AMt ÄLvöQclit, oso iOÄixst ullis, Lsssiwt in Stil'no, all'Mus inws in dirnis. Dem Breslauer Schöps war der Schweidnitzer noch über, der im Breslauer Ratskeller ausgeschenkt wurde; dieser heißt darum bis auf den heutigen Tag der Schweidnitzer Keller. Der Ruf des Schweidnitzer Braus verbreitete sich weit über die Landesgrenze. Zur Zeit des Königs Matthias von Ungarn gab es in Ofen einen Schweidnitzer Keller, und in Thüringen erinnern die kleinen Würstchen noch daran, die in Berlin Wiener und in Wien Berliner Würstchen heißen: an manchen Orten Thüringens, versichert der mir unbekannte A. Pi,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/181>, abgerufen am 24.07.2024.