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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

Raum für Besiedlung frei wurde. Das lenkte einen neuen Ansiedlcrstrom
nach Schlesien, und nun wurde auch das am linken Oderufer gelegne Breslau
eine deutsche Stadt (die alte hölzerne Stadt war beim Nahen der Horden in
Flammen aufgegangen), während die Jnselstadt vorläufig noch polnisch Weh.
Und diese neue Stadt wurde nach deutschem Ansiedlerbrauch planmäßig an¬
gelegt und mit deutschem Rechte begabt. Der Lokator erhielt die Vogtei.
Der Plan dieses alten deutschen Breslau ist mir. seitdem ich Verständnis für
dergleichen habe, immer bewunderungswürdig erschienen. Als ich nach West¬
deutschland kam, habe ich überall vergebens den Ring gesucht. Ich wußte
damals noch nicht, daß diese Art Marktplatz eine Eigentümlichkeit der ost-
elbischen Kolonistenstädte und von diesen auf die polnischen und böhmischen
übergegangen ist. Sie herrscht besonders in Schlesien. Mit dem rechteckigen,
oft beinahe quadratischen Ringe und den von ihm ausgehenden Gassen, die
den übrigen einander teils parallel laufenden teils rechtwinklig schneidenden
Gassen die Lage anweisen, ist ein schöner, regelmäßiger und übersichtlicher
Plan gegeben. Möglichst in der Mitte des Ringes steht das Rathaus als
räumliches und politisches Zentrum, und an dieses lehnen sich die Verkaufs¬
stände: Kammern, Bauden, Bänke, schrägen, die den Ring auch zum Markt,
zum wirtschaftlichen Zentrum machen. Der Stadtplan von Breslau ist nnn
so großartig, der Ring (3.4 Hektar) und die Straßen sind so geräumig, daß
sie auch dem heutigen Verkehr noch genügen, Erweiterungen und Durchbrüche
nicht notwendig erscheinen. Weiß hat vollkommen recht, wenn er schreibt:
"Bei Betrachtung dieses ursprünglichen, wir möchten sagen monumentalen
Stadtplans drängt sich die Überzeugung auf, daß sich die Gründer der Stadt,
als sie auf dem wüsten Platze mit Pflöcken und Schnuren das ungeheure
Marktviereck mit seinen Nebenplätzen öderen bedeutendster ist der an der Süd¬
westecke angefügte polnische oder Salzring -- das Salz kam aus Wieliczka --,
der jetzt Blücherplatz heißt) und Straßenanfängen absteckten, schon mit der
kühnen Absicht trugen, eine Großstadt, ein Handelsemporium zu schaffen."
Spätere Chronisten, die sich nicht erklären konnten, wie eine Bürgergemeinde
so etwas leisten könne, haben Karl den Vierten von Böhmen zum Schöpfer
dieses Planes machen wollen. Touristen gewöhnlichen Schlages mögen ihre
Rechnung in Breslau nicht finden, aber wer Interesse hat für die historische
Entwicklung der deutschen Städte und für Fragen der Stadtanlage, der sollte
es nicht versäumen, die Hauptstadt Schlesiens kennen zu lernen; sie erinnert
an die amerikanischen Stadtanlagen des neunzehnten Jahrhunderts. Die
Kolonisten sind wahrscheinlich aus Thüringen gekommen, denn sie haben ihre
erste Pfarrkirche der heiligen Elisabeth geweiht; eine zweite Pfarrgemeinde
wühlte sich Maria Magdalena zur Schutzpatronin.

Die Erwartungen der kühnen Gründer haben sich erfüllt: Breslau ist
rasch eine reiche und mächtige Stadt geworden, mit ihrem Gelde und ihrem
Bürgerheer den kleinen Herzögen ringsum nicht allein ebenbürtig sondern


Grenzbot-n IV 1909 22
Breslau

Raum für Besiedlung frei wurde. Das lenkte einen neuen Ansiedlcrstrom
nach Schlesien, und nun wurde auch das am linken Oderufer gelegne Breslau
eine deutsche Stadt (die alte hölzerne Stadt war beim Nahen der Horden in
Flammen aufgegangen), während die Jnselstadt vorläufig noch polnisch Weh.
Und diese neue Stadt wurde nach deutschem Ansiedlerbrauch planmäßig an¬
gelegt und mit deutschem Rechte begabt. Der Lokator erhielt die Vogtei.
Der Plan dieses alten deutschen Breslau ist mir. seitdem ich Verständnis für
dergleichen habe, immer bewunderungswürdig erschienen. Als ich nach West¬
deutschland kam, habe ich überall vergebens den Ring gesucht. Ich wußte
damals noch nicht, daß diese Art Marktplatz eine Eigentümlichkeit der ost-
elbischen Kolonistenstädte und von diesen auf die polnischen und böhmischen
übergegangen ist. Sie herrscht besonders in Schlesien. Mit dem rechteckigen,
oft beinahe quadratischen Ringe und den von ihm ausgehenden Gassen, die
den übrigen einander teils parallel laufenden teils rechtwinklig schneidenden
Gassen die Lage anweisen, ist ein schöner, regelmäßiger und übersichtlicher
Plan gegeben. Möglichst in der Mitte des Ringes steht das Rathaus als
räumliches und politisches Zentrum, und an dieses lehnen sich die Verkaufs¬
stände: Kammern, Bauden, Bänke, schrägen, die den Ring auch zum Markt,
zum wirtschaftlichen Zentrum machen. Der Stadtplan von Breslau ist nnn
so großartig, der Ring (3.4 Hektar) und die Straßen sind so geräumig, daß
sie auch dem heutigen Verkehr noch genügen, Erweiterungen und Durchbrüche
nicht notwendig erscheinen. Weiß hat vollkommen recht, wenn er schreibt:
„Bei Betrachtung dieses ursprünglichen, wir möchten sagen monumentalen
Stadtplans drängt sich die Überzeugung auf, daß sich die Gründer der Stadt,
als sie auf dem wüsten Platze mit Pflöcken und Schnuren das ungeheure
Marktviereck mit seinen Nebenplätzen öderen bedeutendster ist der an der Süd¬
westecke angefügte polnische oder Salzring — das Salz kam aus Wieliczka —,
der jetzt Blücherplatz heißt) und Straßenanfängen absteckten, schon mit der
kühnen Absicht trugen, eine Großstadt, ein Handelsemporium zu schaffen."
Spätere Chronisten, die sich nicht erklären konnten, wie eine Bürgergemeinde
so etwas leisten könne, haben Karl den Vierten von Böhmen zum Schöpfer
dieses Planes machen wollen. Touristen gewöhnlichen Schlages mögen ihre
Rechnung in Breslau nicht finden, aber wer Interesse hat für die historische
Entwicklung der deutschen Städte und für Fragen der Stadtanlage, der sollte
es nicht versäumen, die Hauptstadt Schlesiens kennen zu lernen; sie erinnert
an die amerikanischen Stadtanlagen des neunzehnten Jahrhunderts. Die
Kolonisten sind wahrscheinlich aus Thüringen gekommen, denn sie haben ihre
erste Pfarrkirche der heiligen Elisabeth geweiht; eine zweite Pfarrgemeinde
wühlte sich Maria Magdalena zur Schutzpatronin.

Die Erwartungen der kühnen Gründer haben sich erfüllt: Breslau ist
rasch eine reiche und mächtige Stadt geworden, mit ihrem Gelde und ihrem
Bürgerheer den kleinen Herzögen ringsum nicht allein ebenbürtig sondern


Grenzbot-n IV 1909 22
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[0177] Breslau Raum für Besiedlung frei wurde. Das lenkte einen neuen Ansiedlcrstrom nach Schlesien, und nun wurde auch das am linken Oderufer gelegne Breslau eine deutsche Stadt (die alte hölzerne Stadt war beim Nahen der Horden in Flammen aufgegangen), während die Jnselstadt vorläufig noch polnisch Weh. Und diese neue Stadt wurde nach deutschem Ansiedlerbrauch planmäßig an¬ gelegt und mit deutschem Rechte begabt. Der Lokator erhielt die Vogtei. Der Plan dieses alten deutschen Breslau ist mir. seitdem ich Verständnis für dergleichen habe, immer bewunderungswürdig erschienen. Als ich nach West¬ deutschland kam, habe ich überall vergebens den Ring gesucht. Ich wußte damals noch nicht, daß diese Art Marktplatz eine Eigentümlichkeit der ost- elbischen Kolonistenstädte und von diesen auf die polnischen und böhmischen übergegangen ist. Sie herrscht besonders in Schlesien. Mit dem rechteckigen, oft beinahe quadratischen Ringe und den von ihm ausgehenden Gassen, die den übrigen einander teils parallel laufenden teils rechtwinklig schneidenden Gassen die Lage anweisen, ist ein schöner, regelmäßiger und übersichtlicher Plan gegeben. Möglichst in der Mitte des Ringes steht das Rathaus als räumliches und politisches Zentrum, und an dieses lehnen sich die Verkaufs¬ stände: Kammern, Bauden, Bänke, schrägen, die den Ring auch zum Markt, zum wirtschaftlichen Zentrum machen. Der Stadtplan von Breslau ist nnn so großartig, der Ring (3.4 Hektar) und die Straßen sind so geräumig, daß sie auch dem heutigen Verkehr noch genügen, Erweiterungen und Durchbrüche nicht notwendig erscheinen. Weiß hat vollkommen recht, wenn er schreibt: „Bei Betrachtung dieses ursprünglichen, wir möchten sagen monumentalen Stadtplans drängt sich die Überzeugung auf, daß sich die Gründer der Stadt, als sie auf dem wüsten Platze mit Pflöcken und Schnuren das ungeheure Marktviereck mit seinen Nebenplätzen öderen bedeutendster ist der an der Süd¬ westecke angefügte polnische oder Salzring — das Salz kam aus Wieliczka —, der jetzt Blücherplatz heißt) und Straßenanfängen absteckten, schon mit der kühnen Absicht trugen, eine Großstadt, ein Handelsemporium zu schaffen." Spätere Chronisten, die sich nicht erklären konnten, wie eine Bürgergemeinde so etwas leisten könne, haben Karl den Vierten von Böhmen zum Schöpfer dieses Planes machen wollen. Touristen gewöhnlichen Schlages mögen ihre Rechnung in Breslau nicht finden, aber wer Interesse hat für die historische Entwicklung der deutschen Städte und für Fragen der Stadtanlage, der sollte es nicht versäumen, die Hauptstadt Schlesiens kennen zu lernen; sie erinnert an die amerikanischen Stadtanlagen des neunzehnten Jahrhunderts. Die Kolonisten sind wahrscheinlich aus Thüringen gekommen, denn sie haben ihre erste Pfarrkirche der heiligen Elisabeth geweiht; eine zweite Pfarrgemeinde wühlte sich Maria Magdalena zur Schutzpatronin. Die Erwartungen der kühnen Gründer haben sich erfüllt: Breslau ist rasch eine reiche und mächtige Stadt geworden, mit ihrem Gelde und ihrem Bürgerheer den kleinen Herzögen ringsum nicht allein ebenbürtig sondern Grenzbot-n IV 1909 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/177>, abgerufen am 24.07.2024.