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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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gesprochen worden ist, und beider gleichgesinnte Nachkommen vollendeten die
Germanisation durch kirchliche Stiftungen, von denen das Zisterzienserinnen¬
kloster Trelmitz und die Zisterzienserklöster Kamenz, Heinrichen und Grüssau
die bedeutendsten sind. Selbstverständlich war es nicht religiöser Eifer allein
und noch weniger eine sentimentale Liebe zu deutschem Volkstum, was solche
Stiftungen hervorrief. Die Religion lieferte damals ausschließlich die idealen
Motive, mit denen edle Menschen ihr Streben nach dem schnöden Mammon zu
rechtfertigen pflegen. Die polnischen Dörfer lieferten den Herren nur Naturalien,
und zwar bei der primitiven slawischen Wirtschaftsweise nach Qualität und
Quantität recht kärgliche. Nur Wild und Honig waren im Überfluß vorhanden,
dagegen stand es um Ackerbau und Gartenbau schlecht, um die Erzeugnisse
des Gewerbfleißes noch schlechter, und Geld, das zu einer zivilisierten Hof¬
haltung und, wenn das Wort beim damaligen Zustande erlaubt ist, Staats¬
verwaltung gehört, gab es gar nicht. Die Kloster- und Bistnmsstiftnngen
waren die damalige Form der Kapitalschöpfung (das gilt natürlich mit einigen
Modifikationen anch für Altdeutschland, wo sich der Prozeß ein paar Jahr¬
hunderte früher abgespielt hatte), denn die Mönche und die ihnen nachziehenden
deutschen Bauern und Handwerker, die Dörfer und Städte gründeten, schufen
wirtschaftliche Güter, deren Austausch Geld ins Land brachte, und machten
den Boden wertvoll, von dem sie den Grundherren Zins zahlten. Bald auch
vermochten sie, wenigstens die städtischen, deren Geldbedürfnis durch Darlehn
zu befriedigen. Und die Schenkungen an Domkirchen und Klöster waren die
Kapitalanlagen jener Zeit, denn sie sicherten den überzähligen Söhnen und
Töchtern des Adels eine anständige Versorgung. Nirgends findet sich eine
Andeutung, daß die polnische Bevölkerung diesen Ansiedlungen feindlich be¬
gegnet wäre. Im Gegenteil scheint es, daß sie sich des wachsenden Wohl¬
stands und Komforts, an dem sie selbst teilnahm, der bessern Nahrung (die
Klöster verbesserten nicht bloß den Ackerbau, sondern pflanzten Gemüse, Obst
und Wein; in Leubus hat sich ein Weinberg bis heute erhalten) gefreut habe
und bemüht gewesen sei, sich selbst das deutsche Recht zu verschaffen, nach
dem die deutschen Kolonisten in Freiheit lebten. Das freundschaftliche Ver¬
hältnis der beiden Nationalitüten, die stille, als ein ganz natürlicher Prozeß
sich vollziehende Aufsaugung des polnischen Elements vom deutschen, wobei
die noch nicht germanisierten Polen mehr und mehr zu willigen Arbeitern
der in der Kultur überlegnen Deutschen hernbsanken, hat fortgedauert bis
zu der erst nach 1870 eingetretnen großen Wendung. In Breslau sind
als erste deutsche Grundbesitzer urkundlich bezeugt ein Gerung 1202 und ein
Otto 1226.

Einen Stoß nach vorwärts erteilte der Germanisation Schlesiens ein großes
Unglück. Am 9. April 1241 fiel der jugendliche Held Heinrich der Zweite,
des Bärtigen Sohn und Nachfolger, in der großen Tatarenschlacht auf der
Wahlstatt. Die Unholde hatten so viel Menschen erschlagen, daß reichlich


Breslau

gesprochen worden ist, und beider gleichgesinnte Nachkommen vollendeten die
Germanisation durch kirchliche Stiftungen, von denen das Zisterzienserinnen¬
kloster Trelmitz und die Zisterzienserklöster Kamenz, Heinrichen und Grüssau
die bedeutendsten sind. Selbstverständlich war es nicht religiöser Eifer allein
und noch weniger eine sentimentale Liebe zu deutschem Volkstum, was solche
Stiftungen hervorrief. Die Religion lieferte damals ausschließlich die idealen
Motive, mit denen edle Menschen ihr Streben nach dem schnöden Mammon zu
rechtfertigen pflegen. Die polnischen Dörfer lieferten den Herren nur Naturalien,
und zwar bei der primitiven slawischen Wirtschaftsweise nach Qualität und
Quantität recht kärgliche. Nur Wild und Honig waren im Überfluß vorhanden,
dagegen stand es um Ackerbau und Gartenbau schlecht, um die Erzeugnisse
des Gewerbfleißes noch schlechter, und Geld, das zu einer zivilisierten Hof¬
haltung und, wenn das Wort beim damaligen Zustande erlaubt ist, Staats¬
verwaltung gehört, gab es gar nicht. Die Kloster- und Bistnmsstiftnngen
waren die damalige Form der Kapitalschöpfung (das gilt natürlich mit einigen
Modifikationen anch für Altdeutschland, wo sich der Prozeß ein paar Jahr¬
hunderte früher abgespielt hatte), denn die Mönche und die ihnen nachziehenden
deutschen Bauern und Handwerker, die Dörfer und Städte gründeten, schufen
wirtschaftliche Güter, deren Austausch Geld ins Land brachte, und machten
den Boden wertvoll, von dem sie den Grundherren Zins zahlten. Bald auch
vermochten sie, wenigstens die städtischen, deren Geldbedürfnis durch Darlehn
zu befriedigen. Und die Schenkungen an Domkirchen und Klöster waren die
Kapitalanlagen jener Zeit, denn sie sicherten den überzähligen Söhnen und
Töchtern des Adels eine anständige Versorgung. Nirgends findet sich eine
Andeutung, daß die polnische Bevölkerung diesen Ansiedlungen feindlich be¬
gegnet wäre. Im Gegenteil scheint es, daß sie sich des wachsenden Wohl¬
stands und Komforts, an dem sie selbst teilnahm, der bessern Nahrung (die
Klöster verbesserten nicht bloß den Ackerbau, sondern pflanzten Gemüse, Obst
und Wein; in Leubus hat sich ein Weinberg bis heute erhalten) gefreut habe
und bemüht gewesen sei, sich selbst das deutsche Recht zu verschaffen, nach
dem die deutschen Kolonisten in Freiheit lebten. Das freundschaftliche Ver¬
hältnis der beiden Nationalitüten, die stille, als ein ganz natürlicher Prozeß
sich vollziehende Aufsaugung des polnischen Elements vom deutschen, wobei
die noch nicht germanisierten Polen mehr und mehr zu willigen Arbeitern
der in der Kultur überlegnen Deutschen hernbsanken, hat fortgedauert bis
zu der erst nach 1870 eingetretnen großen Wendung. In Breslau sind
als erste deutsche Grundbesitzer urkundlich bezeugt ein Gerung 1202 und ein
Otto 1226.

Einen Stoß nach vorwärts erteilte der Germanisation Schlesiens ein großes
Unglück. Am 9. April 1241 fiel der jugendliche Held Heinrich der Zweite,
des Bärtigen Sohn und Nachfolger, in der großen Tatarenschlacht auf der
Wahlstatt. Die Unholde hatten so viel Menschen erschlagen, daß reichlich


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[0176] Breslau gesprochen worden ist, und beider gleichgesinnte Nachkommen vollendeten die Germanisation durch kirchliche Stiftungen, von denen das Zisterzienserinnen¬ kloster Trelmitz und die Zisterzienserklöster Kamenz, Heinrichen und Grüssau die bedeutendsten sind. Selbstverständlich war es nicht religiöser Eifer allein und noch weniger eine sentimentale Liebe zu deutschem Volkstum, was solche Stiftungen hervorrief. Die Religion lieferte damals ausschließlich die idealen Motive, mit denen edle Menschen ihr Streben nach dem schnöden Mammon zu rechtfertigen pflegen. Die polnischen Dörfer lieferten den Herren nur Naturalien, und zwar bei der primitiven slawischen Wirtschaftsweise nach Qualität und Quantität recht kärgliche. Nur Wild und Honig waren im Überfluß vorhanden, dagegen stand es um Ackerbau und Gartenbau schlecht, um die Erzeugnisse des Gewerbfleißes noch schlechter, und Geld, das zu einer zivilisierten Hof¬ haltung und, wenn das Wort beim damaligen Zustande erlaubt ist, Staats¬ verwaltung gehört, gab es gar nicht. Die Kloster- und Bistnmsstiftnngen waren die damalige Form der Kapitalschöpfung (das gilt natürlich mit einigen Modifikationen anch für Altdeutschland, wo sich der Prozeß ein paar Jahr¬ hunderte früher abgespielt hatte), denn die Mönche und die ihnen nachziehenden deutschen Bauern und Handwerker, die Dörfer und Städte gründeten, schufen wirtschaftliche Güter, deren Austausch Geld ins Land brachte, und machten den Boden wertvoll, von dem sie den Grundherren Zins zahlten. Bald auch vermochten sie, wenigstens die städtischen, deren Geldbedürfnis durch Darlehn zu befriedigen. Und die Schenkungen an Domkirchen und Klöster waren die Kapitalanlagen jener Zeit, denn sie sicherten den überzähligen Söhnen und Töchtern des Adels eine anständige Versorgung. Nirgends findet sich eine Andeutung, daß die polnische Bevölkerung diesen Ansiedlungen feindlich be¬ gegnet wäre. Im Gegenteil scheint es, daß sie sich des wachsenden Wohl¬ stands und Komforts, an dem sie selbst teilnahm, der bessern Nahrung (die Klöster verbesserten nicht bloß den Ackerbau, sondern pflanzten Gemüse, Obst und Wein; in Leubus hat sich ein Weinberg bis heute erhalten) gefreut habe und bemüht gewesen sei, sich selbst das deutsche Recht zu verschaffen, nach dem die deutschen Kolonisten in Freiheit lebten. Das freundschaftliche Ver¬ hältnis der beiden Nationalitüten, die stille, als ein ganz natürlicher Prozeß sich vollziehende Aufsaugung des polnischen Elements vom deutschen, wobei die noch nicht germanisierten Polen mehr und mehr zu willigen Arbeitern der in der Kultur überlegnen Deutschen hernbsanken, hat fortgedauert bis zu der erst nach 1870 eingetretnen großen Wendung. In Breslau sind als erste deutsche Grundbesitzer urkundlich bezeugt ein Gerung 1202 und ein Otto 1226. Einen Stoß nach vorwärts erteilte der Germanisation Schlesiens ein großes Unglück. Am 9. April 1241 fiel der jugendliche Held Heinrich der Zweite, des Bärtigen Sohn und Nachfolger, in der großen Tatarenschlacht auf der Wahlstatt. Die Unholde hatten so viel Menschen erschlagen, daß reichlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/176>, abgerufen am 24.07.2024.