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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

Platz mehreremale gewechselt. Die Ansicht, sie Hütten ursprünglich auf der
Dominsel gestanden (die schon seit langem keine Insel mehr ist), wird in neuster
Zeit angefochten. Ebenso, daß der Piastenprinz Jaroslaw, der von 1198
bis 1201 Bischof war. sein Erbteil, das Fürstentum Reiße, der Vreslauer
Kirche geschenkt habe. Das Reißer Land, erfährt man jetzt, sei nur ein Teil
der Ottmachauer Kastellcmei gewesen, und diese habe, wie urkundlich bezeugt
sei. schon im Jahre 1155 dem bischöflichen Stuhle gehört.

Stadt und Land blieben auch nach vollzogner kirchlicher Organisation
vorläufig rein polnisch. Die Germanisierung hat sich später ganz friedlich,
ohne alle Gewalt vollzogen, während die Wenden- und Preußenlande von
den Deutschen in blutigen Kämpfen unterworfen und zugleich christianisiert
wurden. Die erste fremde Sprache, die in Breslau von einem Teile der
Bevölkerung gesprochen wurde, war die französische. Der reich begüterte Graf
(das heißt herzogliche Beamte) Peter Wlast, seine fromme Gemahlin und
andre Glieder seiner Familie stifteten Kirchen und Klöster, so das Stift auf
der zwischen Stadt und Dom liegenden Sandinsel und das Vinzenzstift. für
die Augustiner und Prämonstratenser aus Flandern berufen wurden, und diese
zogen wallonische Ansiedler, namentlich Tuchmacher, nach sich. Durch eine
sonderbare Fügung aber brachte dieser Peter als unfreiwilliges Werkzeug einer
höhern Macht die deutsche Kolonisation in Fluß. Auf Betreiben der Herzogin
Agnes, einer Halbschwester des Hohenstaufen Konrad des Dritten, die sich sür
beleidigt hielt, wurde er seiner Güter beraubt, geblendet und eingekerkert,
entkam jedoch nach Posen zu den Brüdern Wladyslaws des Zweiten, was
deren alte Feindschaft gegen den Breslauer aufs neue entflammte, sodaß sie
gern den mit ihrem Herzog unzufriednen Bürgern diesen vertreiben halfen.
Er floh mit Familie nach Deutschland, und sein Sohn Boleslaw, der später.
1163, das väterliche Erbe antreten durfte, brachte die entscheidenden siebzehn
Jahre seiner Jugendzeit in rein deutscher Umgebung, und zwar in der Nähe
des Klosters Pforta zu. Dem Blute nach halb ein Deutscher, wurde er es
in Sprache und Gesittung ganz und berief Zisterzienser aus Pforta, deuen
er das auf einer Anhöhe an der Oder gelegne Kluniazenserstift Leubus über¬
gab. (Der von späten Nachfolgern errichtete Prachtbau, jetzt Provinzial-
irrenanstalt und Landesgestüt, ist der größte Einheitsbau Deutschlands; aus
den Fenstern seines mit Fresken geschmückten Fürstensaals hat man einen un¬
vergleichlichen Anblick, der mich immer an die Schilderungen in Coopers
Romanen und in Chateaubriands Atala erinnert: das von der Oder durch¬
strömte Wipfelmeer eines großen Eichenwaldes. Der Weg von der Bahn¬
station dahin führt über neun Waldwiesen: "Solitanen", wie sie der Ritter
zur höfischen Kurzweil liebte.) Des Boleslaw Sohn, Heinrich der Bärtige
(1201 bis 1238), dessen Eltern beide Deutsche waren (die Mutter eine
Schwägerin des Kaisers Konrad des Dritten), seine Gattin Hedwig von An-
dechs und Meran, die um ihrer guten Werke und Abtötungen willen heilig


Breslau

Platz mehreremale gewechselt. Die Ansicht, sie Hütten ursprünglich auf der
Dominsel gestanden (die schon seit langem keine Insel mehr ist), wird in neuster
Zeit angefochten. Ebenso, daß der Piastenprinz Jaroslaw, der von 1198
bis 1201 Bischof war. sein Erbteil, das Fürstentum Reiße, der Vreslauer
Kirche geschenkt habe. Das Reißer Land, erfährt man jetzt, sei nur ein Teil
der Ottmachauer Kastellcmei gewesen, und diese habe, wie urkundlich bezeugt
sei. schon im Jahre 1155 dem bischöflichen Stuhle gehört.

Stadt und Land blieben auch nach vollzogner kirchlicher Organisation
vorläufig rein polnisch. Die Germanisierung hat sich später ganz friedlich,
ohne alle Gewalt vollzogen, während die Wenden- und Preußenlande von
den Deutschen in blutigen Kämpfen unterworfen und zugleich christianisiert
wurden. Die erste fremde Sprache, die in Breslau von einem Teile der
Bevölkerung gesprochen wurde, war die französische. Der reich begüterte Graf
(das heißt herzogliche Beamte) Peter Wlast, seine fromme Gemahlin und
andre Glieder seiner Familie stifteten Kirchen und Klöster, so das Stift auf
der zwischen Stadt und Dom liegenden Sandinsel und das Vinzenzstift. für
die Augustiner und Prämonstratenser aus Flandern berufen wurden, und diese
zogen wallonische Ansiedler, namentlich Tuchmacher, nach sich. Durch eine
sonderbare Fügung aber brachte dieser Peter als unfreiwilliges Werkzeug einer
höhern Macht die deutsche Kolonisation in Fluß. Auf Betreiben der Herzogin
Agnes, einer Halbschwester des Hohenstaufen Konrad des Dritten, die sich sür
beleidigt hielt, wurde er seiner Güter beraubt, geblendet und eingekerkert,
entkam jedoch nach Posen zu den Brüdern Wladyslaws des Zweiten, was
deren alte Feindschaft gegen den Breslauer aufs neue entflammte, sodaß sie
gern den mit ihrem Herzog unzufriednen Bürgern diesen vertreiben halfen.
Er floh mit Familie nach Deutschland, und sein Sohn Boleslaw, der später.
1163, das väterliche Erbe antreten durfte, brachte die entscheidenden siebzehn
Jahre seiner Jugendzeit in rein deutscher Umgebung, und zwar in der Nähe
des Klosters Pforta zu. Dem Blute nach halb ein Deutscher, wurde er es
in Sprache und Gesittung ganz und berief Zisterzienser aus Pforta, deuen
er das auf einer Anhöhe an der Oder gelegne Kluniazenserstift Leubus über¬
gab. (Der von späten Nachfolgern errichtete Prachtbau, jetzt Provinzial-
irrenanstalt und Landesgestüt, ist der größte Einheitsbau Deutschlands; aus
den Fenstern seines mit Fresken geschmückten Fürstensaals hat man einen un¬
vergleichlichen Anblick, der mich immer an die Schilderungen in Coopers
Romanen und in Chateaubriands Atala erinnert: das von der Oder durch¬
strömte Wipfelmeer eines großen Eichenwaldes. Der Weg von der Bahn¬
station dahin führt über neun Waldwiesen: „Solitanen", wie sie der Ritter
zur höfischen Kurzweil liebte.) Des Boleslaw Sohn, Heinrich der Bärtige
(1201 bis 1238), dessen Eltern beide Deutsche waren (die Mutter eine
Schwägerin des Kaisers Konrad des Dritten), seine Gattin Hedwig von An-
dechs und Meran, die um ihrer guten Werke und Abtötungen willen heilig


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[0175] Breslau Platz mehreremale gewechselt. Die Ansicht, sie Hütten ursprünglich auf der Dominsel gestanden (die schon seit langem keine Insel mehr ist), wird in neuster Zeit angefochten. Ebenso, daß der Piastenprinz Jaroslaw, der von 1198 bis 1201 Bischof war. sein Erbteil, das Fürstentum Reiße, der Vreslauer Kirche geschenkt habe. Das Reißer Land, erfährt man jetzt, sei nur ein Teil der Ottmachauer Kastellcmei gewesen, und diese habe, wie urkundlich bezeugt sei. schon im Jahre 1155 dem bischöflichen Stuhle gehört. Stadt und Land blieben auch nach vollzogner kirchlicher Organisation vorläufig rein polnisch. Die Germanisierung hat sich später ganz friedlich, ohne alle Gewalt vollzogen, während die Wenden- und Preußenlande von den Deutschen in blutigen Kämpfen unterworfen und zugleich christianisiert wurden. Die erste fremde Sprache, die in Breslau von einem Teile der Bevölkerung gesprochen wurde, war die französische. Der reich begüterte Graf (das heißt herzogliche Beamte) Peter Wlast, seine fromme Gemahlin und andre Glieder seiner Familie stifteten Kirchen und Klöster, so das Stift auf der zwischen Stadt und Dom liegenden Sandinsel und das Vinzenzstift. für die Augustiner und Prämonstratenser aus Flandern berufen wurden, und diese zogen wallonische Ansiedler, namentlich Tuchmacher, nach sich. Durch eine sonderbare Fügung aber brachte dieser Peter als unfreiwilliges Werkzeug einer höhern Macht die deutsche Kolonisation in Fluß. Auf Betreiben der Herzogin Agnes, einer Halbschwester des Hohenstaufen Konrad des Dritten, die sich sür beleidigt hielt, wurde er seiner Güter beraubt, geblendet und eingekerkert, entkam jedoch nach Posen zu den Brüdern Wladyslaws des Zweiten, was deren alte Feindschaft gegen den Breslauer aufs neue entflammte, sodaß sie gern den mit ihrem Herzog unzufriednen Bürgern diesen vertreiben halfen. Er floh mit Familie nach Deutschland, und sein Sohn Boleslaw, der später. 1163, das väterliche Erbe antreten durfte, brachte die entscheidenden siebzehn Jahre seiner Jugendzeit in rein deutscher Umgebung, und zwar in der Nähe des Klosters Pforta zu. Dem Blute nach halb ein Deutscher, wurde er es in Sprache und Gesittung ganz und berief Zisterzienser aus Pforta, deuen er das auf einer Anhöhe an der Oder gelegne Kluniazenserstift Leubus über¬ gab. (Der von späten Nachfolgern errichtete Prachtbau, jetzt Provinzial- irrenanstalt und Landesgestüt, ist der größte Einheitsbau Deutschlands; aus den Fenstern seines mit Fresken geschmückten Fürstensaals hat man einen un¬ vergleichlichen Anblick, der mich immer an die Schilderungen in Coopers Romanen und in Chateaubriands Atala erinnert: das von der Oder durch¬ strömte Wipfelmeer eines großen Eichenwaldes. Der Weg von der Bahn¬ station dahin führt über neun Waldwiesen: „Solitanen", wie sie der Ritter zur höfischen Kurzweil liebte.) Des Boleslaw Sohn, Heinrich der Bärtige (1201 bis 1238), dessen Eltern beide Deutsche waren (die Mutter eine Schwägerin des Kaisers Konrad des Dritten), seine Gattin Hedwig von An- dechs und Meran, die um ihrer guten Werke und Abtötungen willen heilig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/175>, abgerufen am 24.07.2024.