Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.Scholastentum lassen, als den kecken Fragen von Knaben, die aus eignen Augen sehen, Rede Aber selbst bei der naturwissenschaftlichen Forschung ist der scholastische "Nicht Zersplitterung, sondern einseitige Spezialisierung ist die Haupt¬ Ich erwähne hier als Beispiel eines Falles in meiner SpezialWissen¬ Der ganze Trugschluß hätte mithin vermieden werden können, wenn man Auch das Festhalten am Phlogiston ist ein passendes Beispiel aus der Franz Neumann erzählt in seiner bekannten Lebensgeschichte (von seiner Tochter
erzählt), daß er zu Anfang des vorigen Jahrhunderts auf dem Berliner Gymnasium lateinisch" Pflanzemiamen hätte lernen müssen, ohne auch nur zu wissen, daß er nun botanischen Unter¬ richt habe. Scholastentum lassen, als den kecken Fragen von Knaben, die aus eignen Augen sehen, Rede Aber selbst bei der naturwissenschaftlichen Forschung ist der scholastische „Nicht Zersplitterung, sondern einseitige Spezialisierung ist die Haupt¬ Ich erwähne hier als Beispiel eines Falles in meiner SpezialWissen¬ Der ganze Trugschluß hätte mithin vermieden werden können, wenn man Auch das Festhalten am Phlogiston ist ein passendes Beispiel aus der Franz Neumann erzählt in seiner bekannten Lebensgeschichte (von seiner Tochter
erzählt), daß er zu Anfang des vorigen Jahrhunderts auf dem Berliner Gymnasium lateinisch« Pflanzemiamen hätte lernen müssen, ohne auch nur zu wissen, daß er nun botanischen Unter¬ richt habe. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0170" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314517"/> <fw type="header" place="top"> Scholastentum</fw><lb/> <p xml:id="ID_886" prev="#ID_885"> lassen, als den kecken Fragen von Knaben, die aus eignen Augen sehen, Rede<lb/> zu stehn.*)</p><lb/> <p xml:id="ID_887"> Aber selbst bei der naturwissenschaftlichen Forschung ist der scholastische<lb/> Geist, der eben auch der Geist der Bequemlichkeit und der beschränkten Anschauung<lb/> ist, keineswegs ausgeschlossen. Hier erscheint er meist in Gestalt des Fest¬<lb/> haltens an einer Methode, auf die man dressiert ist, sodaß innerhalb dieser<lb/> Methode der Scharfblick nicht fehlt und man hier allen Irrtum nach Menschcn-<lb/> möglichkeit vermeidet; aber er erscheint in der Form, daß man ganz außer<lb/> Augen läßt, daß andre Methoden, die im Augenblick nicht gang und gäbe<lb/> sind, viel rascher zum Ziele führen. Der Blick ist aufs äußerste geschärft, für<lb/> alles das, was hergebrachterweise zum Fache und Unterfache gehört, aber für<lb/> alles, was darüber hinausliegt und doch auch manchmal nützlich sein könnte,<lb/> trägt das Auge Scheuleder. Daher der häufige Sieg des Dilettantentums<lb/> über den Fachgelehrten gerade in den wichtigsten Fragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_888"> „Nicht Zersplitterung, sondern einseitige Spezialisierung ist die Haupt¬<lb/> gefahr, die heute die Vertreter der so hoch, aber deshalb so spezialisiert ent¬<lb/> wickelten Naturforschung bedroht." (Semon, Im australischen Busch.)</p><lb/> <p xml:id="ID_889"> Ich erwähne hier als Beispiel eines Falles in meiner SpezialWissen¬<lb/> schaft, mit dem ich persönlich in Berührung gekommen bin. Der hochverdiente<lb/> Agrikulturchemiker Robbe lieferte seinerzeit eine experimentell mustergiltige<lb/> Arbeit über die Ernährung der Buchweizenpflanze und kam zu dem Ergebnis,<lb/> daß Chloride im allgemeinen für die Pflanze entbehrliche Nährstoffe, für diese<lb/> Pflanze aber notwendig seien. Dieser Beweis war allein nach der Methode<lb/> der Wasserkultur (wobei die Pflanze ohne Mithilfe von Erde gezogen wird)<lb/> geliefert, die damals modern, in der Robbe ein Virtuose war, und auf die<lb/> man sich blind gestarrt hatte. Diese Kulturmethode verhinderte aber zufällig<lb/> die Ernährung durch Humate, Silikate und bis zu einem gewissen Grade durch<lb/> Karbonate, die in der Natur (bei der Ernährung im Ackerboden) eine große<lb/> Rolle spielen. Sind die ausgeschlossen, dann können die Chloride vikariierend<lb/> für die Aufnahme von gewissen Basen in Betracht kommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_890"> Der ganze Trugschluß hätte mithin vermieden werden können, wenn man<lb/> nur eine einzige Pflanze von einer Stelle in der Natur, die von Chloriden<lb/> nahezu frei war, genommen und analysiert Hütte. Das aber lag außerhalb<lb/> des Versuchsplans und — außerhalb des Gesichtskreises.</p><lb/> <p xml:id="ID_891" next="#ID_892"> Auch das Festhalten am Phlogiston ist ein passendes Beispiel aus der<lb/> ältern Geschichte der Chemie — nicht dessen Aufstellung. Diese war eine<lb/> brauchbare Hypothese. Aber daß man daran festhielt, auch nachdem man diesem<lb/> Jmponderabil ein negatives Gewicht zudichten mußte, das war scholastisch-</p><lb/> <note xml:id="FID_19" place="foot"> Franz Neumann erzählt in seiner bekannten Lebensgeschichte (von seiner Tochter<lb/> erzählt), daß er zu Anfang des vorigen Jahrhunderts auf dem Berliner Gymnasium lateinisch«<lb/> Pflanzemiamen hätte lernen müssen, ohne auch nur zu wissen, daß er nun botanischen Unter¬<lb/> richt habe.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0170]
Scholastentum
lassen, als den kecken Fragen von Knaben, die aus eignen Augen sehen, Rede
zu stehn.*)
Aber selbst bei der naturwissenschaftlichen Forschung ist der scholastische
Geist, der eben auch der Geist der Bequemlichkeit und der beschränkten Anschauung
ist, keineswegs ausgeschlossen. Hier erscheint er meist in Gestalt des Fest¬
haltens an einer Methode, auf die man dressiert ist, sodaß innerhalb dieser
Methode der Scharfblick nicht fehlt und man hier allen Irrtum nach Menschcn-
möglichkeit vermeidet; aber er erscheint in der Form, daß man ganz außer
Augen läßt, daß andre Methoden, die im Augenblick nicht gang und gäbe
sind, viel rascher zum Ziele führen. Der Blick ist aufs äußerste geschärft, für
alles das, was hergebrachterweise zum Fache und Unterfache gehört, aber für
alles, was darüber hinausliegt und doch auch manchmal nützlich sein könnte,
trägt das Auge Scheuleder. Daher der häufige Sieg des Dilettantentums
über den Fachgelehrten gerade in den wichtigsten Fragen.
„Nicht Zersplitterung, sondern einseitige Spezialisierung ist die Haupt¬
gefahr, die heute die Vertreter der so hoch, aber deshalb so spezialisiert ent¬
wickelten Naturforschung bedroht." (Semon, Im australischen Busch.)
Ich erwähne hier als Beispiel eines Falles in meiner SpezialWissen¬
schaft, mit dem ich persönlich in Berührung gekommen bin. Der hochverdiente
Agrikulturchemiker Robbe lieferte seinerzeit eine experimentell mustergiltige
Arbeit über die Ernährung der Buchweizenpflanze und kam zu dem Ergebnis,
daß Chloride im allgemeinen für die Pflanze entbehrliche Nährstoffe, für diese
Pflanze aber notwendig seien. Dieser Beweis war allein nach der Methode
der Wasserkultur (wobei die Pflanze ohne Mithilfe von Erde gezogen wird)
geliefert, die damals modern, in der Robbe ein Virtuose war, und auf die
man sich blind gestarrt hatte. Diese Kulturmethode verhinderte aber zufällig
die Ernährung durch Humate, Silikate und bis zu einem gewissen Grade durch
Karbonate, die in der Natur (bei der Ernährung im Ackerboden) eine große
Rolle spielen. Sind die ausgeschlossen, dann können die Chloride vikariierend
für die Aufnahme von gewissen Basen in Betracht kommen.
Der ganze Trugschluß hätte mithin vermieden werden können, wenn man
nur eine einzige Pflanze von einer Stelle in der Natur, die von Chloriden
nahezu frei war, genommen und analysiert Hütte. Das aber lag außerhalb
des Versuchsplans und — außerhalb des Gesichtskreises.
Auch das Festhalten am Phlogiston ist ein passendes Beispiel aus der
ältern Geschichte der Chemie — nicht dessen Aufstellung. Diese war eine
brauchbare Hypothese. Aber daß man daran festhielt, auch nachdem man diesem
Jmponderabil ein negatives Gewicht zudichten mußte, das war scholastisch-
Franz Neumann erzählt in seiner bekannten Lebensgeschichte (von seiner Tochter
erzählt), daß er zu Anfang des vorigen Jahrhunderts auf dem Berliner Gymnasium lateinisch«
Pflanzemiamen hätte lernen müssen, ohne auch nur zu wissen, daß er nun botanischen Unter¬
richt habe.
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