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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Herbstgedanken

unter dem Jubel der Zuschauer die Hände schütteln und sich gegenseitiger
Hochachtung versichern, Hetzen englische Staatsmänner und Publizisten in un¬
erträglicher Weise gegen unser Vaterland. Bis zur Ermüdung ist auf deutscher
Seite immer wieder zahlenmüßig festgestellt worden, daß die englische Flotte
der deutschen um mehr als das doppelte überlegen ist und bleiben wird, daß
es sinnlos ist, von einer "Beschleunigung" der deutschen Schiffbauten und
Rüstungen zu reden. Noch jüngst hat Lord Brassey. der gute Kenner eng¬
lischer Flottenverhältnisse, in einer Schrift Our ?1cet ana Mval ?oUv7
wörtlich gesagt: "Es ist unzutreffend, daß die Stärke der deutschen Flotte
im Vergleich zu der englischen im Jahre 1913 irgendetwas Bedrohliches für
uns hat." Und ferner: "Die Wahrheit ist, daß von unsrer Seite stark
übertrieben worden ist. Die Tatsachen sind folgende: Heute ist die englische
Flotte dreimal so stark als die deutsche. Im Jahre 1910 ist das Verhältnis
vielleicht etwas schlechter. 1911 wird die britische Flotte noch immer mehr
als zweimal so stark als die deutsche sein. 1912 wird die englische Flotte
w bezug auf die Zahl der Dreadnoughts nur wenig voraus sein, wenn
nicht zur rechten Zeit das alte Überlegenheitsverhältnis hergestellt wird." In
der Möglichkeit, daß der Vorsprung in der Zahl der Dreadnoughts un
Jahre 1912 nicht mehr so groß sein könnte wie gegenwärtig, liegt der
Grund, warum jenseits des Kanals "Räuber und Mörder" geschrien wird,
warum in die Welt hinausposaunt wird, daß die "deutsche Gefahr" großer
sei als je zuvor, daß Deutschland heimlich rüste und viel mehr und schneller
baue, als amtlich bekannt gegeben werde!

Was will dies hetzerische Geschrei bezwecken? Soll der deutsche Michel
vorbereitet und weich gemacht werden für neue englische Abrüstungsvorschlage,
die doch wohl nur auf der Basis in England gedacht sind, daß dauernd em
absolutes Abhängigkeitsverhältnis erhalten bleiben soll? Ist dies der Zweck,
so sei gesagt: Dieser Weg würde, wenn überhaupt der früher gemachte eng¬
lische Vorschlag der Rüstungseinschränkung für Deutschland diskutabel wäre,
der allerfalscheste sein. Wir würden uns unsre eignen Werte herabsetzen und
uns die Preise verderben, wenn wir freiwillig das täten, was unser Widerpart
durch Angebote und Gegenleistung etwa zu erreichen hofft.

Bleiben wir uns dieser Wirkung bewußt, dann können wir den englischen
Vettern für ihre Hetzerei in diesem Augenblick fast dankbar sein. Der Kampfruf
von drüben muß uns neues Leben und neuen Tatendrang bringen und un,er
Selbstbewußtsein stählen. Die Wertschätzung, die "an uns draußen entgegen
bringt, und die wir uns durch Opferwilligkeit und selbstbewußtes Handeln chon
jetzt errungen haben, sollte uns über den innern Streit si"weghe fer- "und
das ist ein Erfolg der zielbewußter Flottenpolitik, daß man alt uns^ahnen
muß. Wird in solche. Zeiten und bei solchen Drohungen in e n thafter
Politiker daran denken. a? den Grundlagen unsers Flottengesetzes rütteln zu
wollen und unfruchtbaren Abrüstungsgedankcn Raum zu geben? Feigen,


Herbstgedanken

unter dem Jubel der Zuschauer die Hände schütteln und sich gegenseitiger
Hochachtung versichern, Hetzen englische Staatsmänner und Publizisten in un¬
erträglicher Weise gegen unser Vaterland. Bis zur Ermüdung ist auf deutscher
Seite immer wieder zahlenmüßig festgestellt worden, daß die englische Flotte
der deutschen um mehr als das doppelte überlegen ist und bleiben wird, daß
es sinnlos ist, von einer „Beschleunigung" der deutschen Schiffbauten und
Rüstungen zu reden. Noch jüngst hat Lord Brassey. der gute Kenner eng¬
lischer Flottenverhältnisse, in einer Schrift Our ?1cet ana Mval ?oUv7
wörtlich gesagt: „Es ist unzutreffend, daß die Stärke der deutschen Flotte
im Vergleich zu der englischen im Jahre 1913 irgendetwas Bedrohliches für
uns hat." Und ferner: „Die Wahrheit ist, daß von unsrer Seite stark
übertrieben worden ist. Die Tatsachen sind folgende: Heute ist die englische
Flotte dreimal so stark als die deutsche. Im Jahre 1910 ist das Verhältnis
vielleicht etwas schlechter. 1911 wird die britische Flotte noch immer mehr
als zweimal so stark als die deutsche sein. 1912 wird die englische Flotte
w bezug auf die Zahl der Dreadnoughts nur wenig voraus sein, wenn
nicht zur rechten Zeit das alte Überlegenheitsverhältnis hergestellt wird." In
der Möglichkeit, daß der Vorsprung in der Zahl der Dreadnoughts un
Jahre 1912 nicht mehr so groß sein könnte wie gegenwärtig, liegt der
Grund, warum jenseits des Kanals „Räuber und Mörder" geschrien wird,
warum in die Welt hinausposaunt wird, daß die „deutsche Gefahr" großer
sei als je zuvor, daß Deutschland heimlich rüste und viel mehr und schneller
baue, als amtlich bekannt gegeben werde!

Was will dies hetzerische Geschrei bezwecken? Soll der deutsche Michel
vorbereitet und weich gemacht werden für neue englische Abrüstungsvorschlage,
die doch wohl nur auf der Basis in England gedacht sind, daß dauernd em
absolutes Abhängigkeitsverhältnis erhalten bleiben soll? Ist dies der Zweck,
so sei gesagt: Dieser Weg würde, wenn überhaupt der früher gemachte eng¬
lische Vorschlag der Rüstungseinschränkung für Deutschland diskutabel wäre,
der allerfalscheste sein. Wir würden uns unsre eignen Werte herabsetzen und
uns die Preise verderben, wenn wir freiwillig das täten, was unser Widerpart
durch Angebote und Gegenleistung etwa zu erreichen hofft.

Bleiben wir uns dieser Wirkung bewußt, dann können wir den englischen
Vettern für ihre Hetzerei in diesem Augenblick fast dankbar sein. Der Kampfruf
von drüben muß uns neues Leben und neuen Tatendrang bringen und un,er
Selbstbewußtsein stählen. Die Wertschätzung, die «an uns draußen entgegen
bringt, und die wir uns durch Opferwilligkeit und selbstbewußtes Handeln chon
jetzt errungen haben, sollte uns über den innern Streit si»weghe fer- «und
das ist ein Erfolg der zielbewußter Flottenpolitik, daß man alt uns^ahnen
muß. Wird in solche. Zeiten und bei solchen Drohungen in e n thafter
Politiker daran denken. a? den Grundlagen unsers Flottengesetzes rütteln zu
wollen und unfruchtbaren Abrüstungsgedankcn Raum zu geben? Feigen,


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[0163] Herbstgedanken unter dem Jubel der Zuschauer die Hände schütteln und sich gegenseitiger Hochachtung versichern, Hetzen englische Staatsmänner und Publizisten in un¬ erträglicher Weise gegen unser Vaterland. Bis zur Ermüdung ist auf deutscher Seite immer wieder zahlenmüßig festgestellt worden, daß die englische Flotte der deutschen um mehr als das doppelte überlegen ist und bleiben wird, daß es sinnlos ist, von einer „Beschleunigung" der deutschen Schiffbauten und Rüstungen zu reden. Noch jüngst hat Lord Brassey. der gute Kenner eng¬ lischer Flottenverhältnisse, in einer Schrift Our ?1cet ana Mval ?oUv7 wörtlich gesagt: „Es ist unzutreffend, daß die Stärke der deutschen Flotte im Vergleich zu der englischen im Jahre 1913 irgendetwas Bedrohliches für uns hat." Und ferner: „Die Wahrheit ist, daß von unsrer Seite stark übertrieben worden ist. Die Tatsachen sind folgende: Heute ist die englische Flotte dreimal so stark als die deutsche. Im Jahre 1910 ist das Verhältnis vielleicht etwas schlechter. 1911 wird die britische Flotte noch immer mehr als zweimal so stark als die deutsche sein. 1912 wird die englische Flotte w bezug auf die Zahl der Dreadnoughts nur wenig voraus sein, wenn nicht zur rechten Zeit das alte Überlegenheitsverhältnis hergestellt wird." In der Möglichkeit, daß der Vorsprung in der Zahl der Dreadnoughts un Jahre 1912 nicht mehr so groß sein könnte wie gegenwärtig, liegt der Grund, warum jenseits des Kanals „Räuber und Mörder" geschrien wird, warum in die Welt hinausposaunt wird, daß die „deutsche Gefahr" großer sei als je zuvor, daß Deutschland heimlich rüste und viel mehr und schneller baue, als amtlich bekannt gegeben werde! Was will dies hetzerische Geschrei bezwecken? Soll der deutsche Michel vorbereitet und weich gemacht werden für neue englische Abrüstungsvorschlage, die doch wohl nur auf der Basis in England gedacht sind, daß dauernd em absolutes Abhängigkeitsverhältnis erhalten bleiben soll? Ist dies der Zweck, so sei gesagt: Dieser Weg würde, wenn überhaupt der früher gemachte eng¬ lische Vorschlag der Rüstungseinschränkung für Deutschland diskutabel wäre, der allerfalscheste sein. Wir würden uns unsre eignen Werte herabsetzen und uns die Preise verderben, wenn wir freiwillig das täten, was unser Widerpart durch Angebote und Gegenleistung etwa zu erreichen hofft. Bleiben wir uns dieser Wirkung bewußt, dann können wir den englischen Vettern für ihre Hetzerei in diesem Augenblick fast dankbar sein. Der Kampfruf von drüben muß uns neues Leben und neuen Tatendrang bringen und un,er Selbstbewußtsein stählen. Die Wertschätzung, die «an uns draußen entgegen bringt, und die wir uns durch Opferwilligkeit und selbstbewußtes Handeln chon jetzt errungen haben, sollte uns über den innern Streit si»weghe fer- «und das ist ein Erfolg der zielbewußter Flottenpolitik, daß man alt uns^ahnen muß. Wird in solche. Zeiten und bei solchen Drohungen in e n thafter Politiker daran denken. a? den Grundlagen unsers Flottengesetzes rütteln zu wollen und unfruchtbaren Abrüstungsgedankcn Raum zu geben? Feigen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/163>, abgerufen am 24.07.2024.