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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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von der (vstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

Dem einzelnen reellen Geschäftsmann, der nicht durch eine "Konjunktur"
von ungefähr, sondern direkt oder indirekt durch den Staat geschädigt worden
ist, werden wir unsre menschliche Teilnahme nicht vorenthalten; dem kauf-
männischen Stande des Ostens als solchem aber werden wir sagen dürfen, daß
anch die Kaufleute des Westens mit Konsumvereinen usw. zu kämpfen haben,
und daß der Handel in den Ansiedlungsgebieten findig und anpassungsfähig genug
sein muß, im Laufe der Zeit in der Kaufkraft von über hunderttausend neuen
Konsumenten auf neuen Gebieten vollen Ersatz für das Verlorene zu finden.

Daß in den gegenwärtigen Übergangszuständen für viele Deutsche geschäft¬
liche Schwierigkeiten vorhanden sind, ist nicht zu leugnen und nicht so rasch
zu ändern. Die Deutschen aber, die da glauben, durch Paktieren mit den
Polen besser zu fahren als durch treues Zusammenhalten und den Anschluß
an die Regierung, die möchte ich in den Hof des Rathauses von Thorn
führen vor das Denkmal der Märtyrer vom Thorner Blutgericht des Jahres
1724. Im Jahre 1454 haben die Thorner aus geschäftlichen Gründen ihre
deutsche Stadt und die landesherrliche Burg freiwillig dem König von Polen
ausgeliefert und ihre unbezwinglichen Mauern gegen papierne Schutzver-
sprechnngen vertauscht. Im Jahre 1724 hat der König von Polen den Enkeln
dieser geschäftsklugen Männer unter einem nichtigen Vorwand die Köpfe vor
die Füße gelegt und das ganze Vermögen genommen, weil sie sich auf Grund
ihrer verbrieften Versprechungen um die letzte" Neste ihrer verbrieften Rechte,
um die letzte der ihnen seinerzeit gelassenen protestantischen Kirchen wehrten.
Die Nachkommen der Eidechsenritter und Pfeffersäcke mögen daraus entnehmen,
was sie im Interesse ihrer Nachkommen zu tun haben.

Das "polnische Gemeinwesen" von heute läßt ja zunächst die Deutsche"
"och nicht köpfen, aber auch das Enteignetwerden auf dem Wege des Bohkotts
ist schmerzhaft, selbst wenn es "in Frack und weißer Krawatte" und unter
den Rechtsnormen des eignen Staates geschieht.

Die Ansiedlungspolitik in den Ostmarken muß gegen Polen und Zentrum
und, wenn es sein muß, gegen einen Teil der Deutschen in der Ostmark selbst
im bisherigen Sinne weiter geführt werden, schon um das bisher Erreichte
nicht wieder aufs Spiel zu setzen. Betrachtet man die Langhanssche Sprachen¬
karte der beiden Provinzen, auf der die Ansiedlungsgüter eingezeichnet sind,
so sieht man, wie die Kommission überall bemüht war, größere zusammen¬
hängende Landstrecken auszulaufen. Trotzdem ist eine ganze Anzahl der neu
geschaffnen deutschen Sprachinseln vorläufig noch so klein oder so abgelegen
vom deutschen Hinterkante, daß sie sich kaum deutsch halten können, wenn
sie nicht bessern Anschluß an deutsches Gebiet bekommen. Dauernd in unserm
Sinne gelöst ist die Polenfrage aber erst, wenn auf jeden polnischen Rekruten
in den Grenzprovinzen ein deutscher, womöglich zwei deutsche kommen.

Unter den Verdiensten des vierten Reichskanzlers wird die Geschichte
einst die unblutige Rückeroberung Posens und Westpreußens mit in erster


von der (vstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

Dem einzelnen reellen Geschäftsmann, der nicht durch eine „Konjunktur"
von ungefähr, sondern direkt oder indirekt durch den Staat geschädigt worden
ist, werden wir unsre menschliche Teilnahme nicht vorenthalten; dem kauf-
männischen Stande des Ostens als solchem aber werden wir sagen dürfen, daß
anch die Kaufleute des Westens mit Konsumvereinen usw. zu kämpfen haben,
und daß der Handel in den Ansiedlungsgebieten findig und anpassungsfähig genug
sein muß, im Laufe der Zeit in der Kaufkraft von über hunderttausend neuen
Konsumenten auf neuen Gebieten vollen Ersatz für das Verlorene zu finden.

Daß in den gegenwärtigen Übergangszuständen für viele Deutsche geschäft¬
liche Schwierigkeiten vorhanden sind, ist nicht zu leugnen und nicht so rasch
zu ändern. Die Deutschen aber, die da glauben, durch Paktieren mit den
Polen besser zu fahren als durch treues Zusammenhalten und den Anschluß
an die Regierung, die möchte ich in den Hof des Rathauses von Thorn
führen vor das Denkmal der Märtyrer vom Thorner Blutgericht des Jahres
1724. Im Jahre 1454 haben die Thorner aus geschäftlichen Gründen ihre
deutsche Stadt und die landesherrliche Burg freiwillig dem König von Polen
ausgeliefert und ihre unbezwinglichen Mauern gegen papierne Schutzver-
sprechnngen vertauscht. Im Jahre 1724 hat der König von Polen den Enkeln
dieser geschäftsklugen Männer unter einem nichtigen Vorwand die Köpfe vor
die Füße gelegt und das ganze Vermögen genommen, weil sie sich auf Grund
ihrer verbrieften Versprechungen um die letzte» Neste ihrer verbrieften Rechte,
um die letzte der ihnen seinerzeit gelassenen protestantischen Kirchen wehrten.
Die Nachkommen der Eidechsenritter und Pfeffersäcke mögen daraus entnehmen,
was sie im Interesse ihrer Nachkommen zu tun haben.

Das „polnische Gemeinwesen" von heute läßt ja zunächst die Deutsche«
»och nicht köpfen, aber auch das Enteignetwerden auf dem Wege des Bohkotts
ist schmerzhaft, selbst wenn es „in Frack und weißer Krawatte" und unter
den Rechtsnormen des eignen Staates geschieht.

Die Ansiedlungspolitik in den Ostmarken muß gegen Polen und Zentrum
und, wenn es sein muß, gegen einen Teil der Deutschen in der Ostmark selbst
im bisherigen Sinne weiter geführt werden, schon um das bisher Erreichte
nicht wieder aufs Spiel zu setzen. Betrachtet man die Langhanssche Sprachen¬
karte der beiden Provinzen, auf der die Ansiedlungsgüter eingezeichnet sind,
so sieht man, wie die Kommission überall bemüht war, größere zusammen¬
hängende Landstrecken auszulaufen. Trotzdem ist eine ganze Anzahl der neu
geschaffnen deutschen Sprachinseln vorläufig noch so klein oder so abgelegen
vom deutschen Hinterkante, daß sie sich kaum deutsch halten können, wenn
sie nicht bessern Anschluß an deutsches Gebiet bekommen. Dauernd in unserm
Sinne gelöst ist die Polenfrage aber erst, wenn auf jeden polnischen Rekruten
in den Grenzprovinzen ein deutscher, womöglich zwei deutsche kommen.

Unter den Verdiensten des vierten Reichskanzlers wird die Geschichte
einst die unblutige Rückeroberung Posens und Westpreußens mit in erster


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/131>, abgerufen am 24.07.2024.