Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier Und Journalisten Am wenigsten Grund zum Klagen haben eigentlich die eingesessener Land¬ Bei den kleinen Bauern ist es vielfach etwas wie Neid auf die Ansiedler, Mehr Ursache zum Klagen hat der Handel, insbesondre der Mit den In allen Jahresberichten der Handelskammern von Posen und West- Grenzboten IV 1909 16
von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier Und Journalisten Am wenigsten Grund zum Klagen haben eigentlich die eingesessener Land¬ Bei den kleinen Bauern ist es vielfach etwas wie Neid auf die Ansiedler, Mehr Ursache zum Klagen hat der Handel, insbesondre der Mit den In allen Jahresberichten der Handelskammern von Posen und West- Grenzboten IV 1909 16
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0129" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314476"/> <fw type="header" place="top"> von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier Und Journalisten</fw><lb/> <p xml:id="ID_619"> Am wenigsten Grund zum Klagen haben eigentlich die eingesessener Land¬<lb/> wirte, sowohl die Großgrundbesitzer als die Bauern, denn der Wert ihres<lb/> Grund und Bodens ist durch die Preistreiberei zwischen Kommission und<lb/> Polnischen Parzellierungsbanken in die Höhe gegangen, viele „trifft das große<lb/> Los", daß sie an die Kommission verkaufen können, und den andern bietet<lb/> die Negierung hilfreiche Hand, sich zu „regulieren", was bei der weit ver¬<lb/> breiteten und zum Teil sehr starken Verschuldung gewiß dankenswert genug<lb/> wäre. Trotzdem sehen viele Junker das nationale Werk der Ansiedlung un¬<lb/> gefähr mit denselben Augen an wie die „gräßliche" Flotte. Schon die Be¬<lb/> schränkung der Überschwemmung des Landes durch weitere russische und öster¬<lb/> reichische Polen, in denen sie lediglich billige und willige Arbeitskräfte sahen,<lb/> war in ihren Augen ein Unrecht; seitdem sich aber die Ansiedler gegen ihre<lb/> „gebornen Führer" und gegen den Bund der Landwirte stellen, fühlen sie ihre<lb/> alte Herrenstellung erschüttert, und das erträgt so leicht niemand!</p><lb/> <p xml:id="ID_620"> Bei den kleinen Bauern ist es vielfach etwas wie Neid auf die Ansiedler,<lb/> die verhätschelten Schoßkinder der Negierung, obgleich auch ihnen der Staat<lb/> die günstigsten Anerbieten zur Ablösung ihrer Grundschulden macht. Eine<lb/> schwerwiegende Bedingung ist allerdings an diese Hilfe geknüpft, dieselbe, der<lb/> sich auch der Ansiedler unterwerfen muß, nämlich die, nicht an den Polen zu<lb/> verkaufen. Um sich die Möglichkeit eines derartigen raschen Gewinnes offen<lb/> zu halten, verzichten viele Bauern lieber auf die handgreiflichen Vorteile der<lb/> Entschuldung.</p><lb/> <p xml:id="ID_621"> Mehr Ursache zum Klagen hat der Handel, insbesondre der Mit den<lb/> Bedürfnissen und Erzeugnissen der Landwirtschaft. In der Zeit von zwanzig<lb/> Jahren ist ein Gebiet von dem Umfang des Großherzogtums Sachsen-Weimar<lb/> von der Kommission besiedelt und damit dem freien Handel mit diesen Gegen¬<lb/> ständen so ziemlich verloren gegangen, denn die Ansiedler haben sich sofort<lb/> zu Spar- und Darlehnskassen, zum Teil auch zu Einkaufs- und Vertriebs¬<lb/> genossenschaften zusammengetan, gegen die die Einzelhändler jetzt ebenso im<lb/> Nachteil sind, als sie vorher in der Übermacht waren gegen die, meist ver¬<lb/> schuldeten, sechshundert Großgrundbesitzer und vierhundert Großbauern, die den<lb/> Ansiedlern gewichen sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_622" next="#ID_623"> In allen Jahresberichten der Handelskammern von Posen und West-<lb/> Preußen finden sich seit Jahren Klagen über unbillige Begünstigungen dieser<lb/> an sich schon durch ihre Verzweigung über ganz Deutschland übermächtigen<lb/> Genossenschaften, durch den Staat überhaupt und durch die Ansiedlungs-<lb/> kommission im besondern, ferner der Hinweis auf den Ruin und die Ab¬<lb/> wandlung vieler reeller Geschäftsleute. Am schärfsten spricht sich der Bericht<lb/> der Posener Handelskammer vom Juli 1907 aus, der der Ansiedlungs-<lb/> kommission direkt den Vorwurf der Großziehung des polnischen Handels an<lb/> Stelle des deutschen macht, wenn es dort (S. 60) heißt: „Dadurch (d. h. durch<lb/> ein bestimmtes Vorgehn der Ansiedlungskommission oder ihrer Kommissions-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1909 16</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0129]
von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier Und Journalisten
Am wenigsten Grund zum Klagen haben eigentlich die eingesessener Land¬
wirte, sowohl die Großgrundbesitzer als die Bauern, denn der Wert ihres
Grund und Bodens ist durch die Preistreiberei zwischen Kommission und
Polnischen Parzellierungsbanken in die Höhe gegangen, viele „trifft das große
Los", daß sie an die Kommission verkaufen können, und den andern bietet
die Negierung hilfreiche Hand, sich zu „regulieren", was bei der weit ver¬
breiteten und zum Teil sehr starken Verschuldung gewiß dankenswert genug
wäre. Trotzdem sehen viele Junker das nationale Werk der Ansiedlung un¬
gefähr mit denselben Augen an wie die „gräßliche" Flotte. Schon die Be¬
schränkung der Überschwemmung des Landes durch weitere russische und öster¬
reichische Polen, in denen sie lediglich billige und willige Arbeitskräfte sahen,
war in ihren Augen ein Unrecht; seitdem sich aber die Ansiedler gegen ihre
„gebornen Führer" und gegen den Bund der Landwirte stellen, fühlen sie ihre
alte Herrenstellung erschüttert, und das erträgt so leicht niemand!
Bei den kleinen Bauern ist es vielfach etwas wie Neid auf die Ansiedler,
die verhätschelten Schoßkinder der Negierung, obgleich auch ihnen der Staat
die günstigsten Anerbieten zur Ablösung ihrer Grundschulden macht. Eine
schwerwiegende Bedingung ist allerdings an diese Hilfe geknüpft, dieselbe, der
sich auch der Ansiedler unterwerfen muß, nämlich die, nicht an den Polen zu
verkaufen. Um sich die Möglichkeit eines derartigen raschen Gewinnes offen
zu halten, verzichten viele Bauern lieber auf die handgreiflichen Vorteile der
Entschuldung.
Mehr Ursache zum Klagen hat der Handel, insbesondre der Mit den
Bedürfnissen und Erzeugnissen der Landwirtschaft. In der Zeit von zwanzig
Jahren ist ein Gebiet von dem Umfang des Großherzogtums Sachsen-Weimar
von der Kommission besiedelt und damit dem freien Handel mit diesen Gegen¬
ständen so ziemlich verloren gegangen, denn die Ansiedler haben sich sofort
zu Spar- und Darlehnskassen, zum Teil auch zu Einkaufs- und Vertriebs¬
genossenschaften zusammengetan, gegen die die Einzelhändler jetzt ebenso im
Nachteil sind, als sie vorher in der Übermacht waren gegen die, meist ver¬
schuldeten, sechshundert Großgrundbesitzer und vierhundert Großbauern, die den
Ansiedlern gewichen sind.
In allen Jahresberichten der Handelskammern von Posen und West-
Preußen finden sich seit Jahren Klagen über unbillige Begünstigungen dieser
an sich schon durch ihre Verzweigung über ganz Deutschland übermächtigen
Genossenschaften, durch den Staat überhaupt und durch die Ansiedlungs-
kommission im besondern, ferner der Hinweis auf den Ruin und die Ab¬
wandlung vieler reeller Geschäftsleute. Am schärfsten spricht sich der Bericht
der Posener Handelskammer vom Juli 1907 aus, der der Ansiedlungs-
kommission direkt den Vorwurf der Großziehung des polnischen Handels an
Stelle des deutschen macht, wenn es dort (S. 60) heißt: „Dadurch (d. h. durch
ein bestimmtes Vorgehn der Ansiedlungskommission oder ihrer Kommissions-
Grenzboten IV 1909 16
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |