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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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von der Ostmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

Es war kein Wunder, daß am Abend des Tages, an dem mir von
den Ansiedlungsdörfern Abschied nahmen, bei einer besonders festlichen Ver¬
anstaltung im Artushofe in Thorn, in Gegenwart der Spitzen der Garnison
und Behörden, der Neichstagsabgeordnete Enders allen Rciscteilnehmern aus
der Seele sprach, als er seiner vollen Anerkennung des Ansiedlungswerkes in
glänzender Rede Ausdruck verlieh.

Wir alle hatten den bestimmten Eindruck gewonnen, daß alles, was ge¬
schaffen wurde, mit großer, bis ins einzelne gehender Sorgfalt und mit der
Hingebung eines Künstlers für sein Werk gemacht worden ist. Daß auch die
Ansiedler das Gefühl einer väterlichen Fürsorge haben, glaube ich aus der
Art und Weise schließen zu dürfen, wie sie sich im Verkehr mit den Herren
von der Kommission gaben.

Einen objektiven Maßstab für die Zufriedenheit und das Wohlergehn der
Ansiedler geben folgende Zahlen: Im Jahre 1906 wechselten 2,4 Prozent
der Ansiedlerstellen ihre Besitzer, während der Durchschnitt im ganzen preußischen
Staat (für Besitzer von fünf bis hundert Hektar) fünf Prozent ausmachte. Daß
die Ansiedler aber auch allen Grund haben, mit den Verhältnissen, in die sie
hineingestellt wurden, zufrieden zu sein, beweist, daß in zwanzig Jahren nur
33 in Gaut kamen. Vergleichen wir damit die Erfolge der Ansiedlungs-
tütigkeit Maria Theresias und Josephs des Zweiten, die in etwa zwanzig
Jahren achtzigtausend Menschen in Südungarn ansetzten, und zwar ebenfalls
mit einer für damalige Zeiten anerkennenswerten Umsicht, so ist zu bemerken,
daß wenig Jahre nach Josephs Tode zweitausend Höfe (also etwa der vierte
bis fünfte Teil) wieder leer standen, weil ganze Familien an der Malaria
ausgestorben oder entlaufen waren, oder weil die Ansiedler als "unverbesserlich"
wieder "abgestiftet" werden mußten.

Entsprechende Zahlen für die Kolonisation Friedrichs des Großen stehn
mir nicht zu Gebote; nach den Berichten von Zeitgenossen ist aber sicher, daß
viele seiner Stellen wieder eingingen, einerseits, weil das Material der An¬
siedler nicht gut war, andrerseits aber auch, weil diese Stellen von Anfang
an mit zu wenig Land ausgestattet waren. Die teilweisen Mißerfolge des
großen Königs haben der neupreußischen Kolonisation den zu beschreitenden
Weg vorgezeichnet. Die vorsichtige Auswahl der Ansiedler, die ausreichende
Bemessung und, nicht zu vergessen, die gute wirtschaftliche Borbereitung der
Stellen haben den Grund dazu gelegt, daß die Ansiedler so gedeihen konnten,
daß sie Verwandte und Freunde nachziehen, und daß sie womöglich ihren
Kindern auch wieder Stellen auf dem Lande der Ansiedlungskommission ver¬
schaffen möchten.

Das ist nun allerdings nicht so ganz die Absicht der Ansiedlungs¬
kommission, diese hofft, daß die zweite Generation wirtschaftlich so gekräftigt
und findig sei, daß sie aus eigner Kraft die benachbarten Polen auslaufen
könne, wie es die Schwaben im Banat in geradezu vorbildlicher Weise unter


von der Ostmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

Es war kein Wunder, daß am Abend des Tages, an dem mir von
den Ansiedlungsdörfern Abschied nahmen, bei einer besonders festlichen Ver¬
anstaltung im Artushofe in Thorn, in Gegenwart der Spitzen der Garnison
und Behörden, der Neichstagsabgeordnete Enders allen Rciscteilnehmern aus
der Seele sprach, als er seiner vollen Anerkennung des Ansiedlungswerkes in
glänzender Rede Ausdruck verlieh.

Wir alle hatten den bestimmten Eindruck gewonnen, daß alles, was ge¬
schaffen wurde, mit großer, bis ins einzelne gehender Sorgfalt und mit der
Hingebung eines Künstlers für sein Werk gemacht worden ist. Daß auch die
Ansiedler das Gefühl einer väterlichen Fürsorge haben, glaube ich aus der
Art und Weise schließen zu dürfen, wie sie sich im Verkehr mit den Herren
von der Kommission gaben.

Einen objektiven Maßstab für die Zufriedenheit und das Wohlergehn der
Ansiedler geben folgende Zahlen: Im Jahre 1906 wechselten 2,4 Prozent
der Ansiedlerstellen ihre Besitzer, während der Durchschnitt im ganzen preußischen
Staat (für Besitzer von fünf bis hundert Hektar) fünf Prozent ausmachte. Daß
die Ansiedler aber auch allen Grund haben, mit den Verhältnissen, in die sie
hineingestellt wurden, zufrieden zu sein, beweist, daß in zwanzig Jahren nur
33 in Gaut kamen. Vergleichen wir damit die Erfolge der Ansiedlungs-
tütigkeit Maria Theresias und Josephs des Zweiten, die in etwa zwanzig
Jahren achtzigtausend Menschen in Südungarn ansetzten, und zwar ebenfalls
mit einer für damalige Zeiten anerkennenswerten Umsicht, so ist zu bemerken,
daß wenig Jahre nach Josephs Tode zweitausend Höfe (also etwa der vierte
bis fünfte Teil) wieder leer standen, weil ganze Familien an der Malaria
ausgestorben oder entlaufen waren, oder weil die Ansiedler als „unverbesserlich"
wieder „abgestiftet" werden mußten.

Entsprechende Zahlen für die Kolonisation Friedrichs des Großen stehn
mir nicht zu Gebote; nach den Berichten von Zeitgenossen ist aber sicher, daß
viele seiner Stellen wieder eingingen, einerseits, weil das Material der An¬
siedler nicht gut war, andrerseits aber auch, weil diese Stellen von Anfang
an mit zu wenig Land ausgestattet waren. Die teilweisen Mißerfolge des
großen Königs haben der neupreußischen Kolonisation den zu beschreitenden
Weg vorgezeichnet. Die vorsichtige Auswahl der Ansiedler, die ausreichende
Bemessung und, nicht zu vergessen, die gute wirtschaftliche Borbereitung der
Stellen haben den Grund dazu gelegt, daß die Ansiedler so gedeihen konnten,
daß sie Verwandte und Freunde nachziehen, und daß sie womöglich ihren
Kindern auch wieder Stellen auf dem Lande der Ansiedlungskommission ver¬
schaffen möchten.

Das ist nun allerdings nicht so ganz die Absicht der Ansiedlungs¬
kommission, diese hofft, daß die zweite Generation wirtschaftlich so gekräftigt
und findig sei, daß sie aus eigner Kraft die benachbarten Polen auslaufen
könne, wie es die Schwaben im Banat in geradezu vorbildlicher Weise unter


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[0127] von der Ostmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten Es war kein Wunder, daß am Abend des Tages, an dem mir von den Ansiedlungsdörfern Abschied nahmen, bei einer besonders festlichen Ver¬ anstaltung im Artushofe in Thorn, in Gegenwart der Spitzen der Garnison und Behörden, der Neichstagsabgeordnete Enders allen Rciscteilnehmern aus der Seele sprach, als er seiner vollen Anerkennung des Ansiedlungswerkes in glänzender Rede Ausdruck verlieh. Wir alle hatten den bestimmten Eindruck gewonnen, daß alles, was ge¬ schaffen wurde, mit großer, bis ins einzelne gehender Sorgfalt und mit der Hingebung eines Künstlers für sein Werk gemacht worden ist. Daß auch die Ansiedler das Gefühl einer väterlichen Fürsorge haben, glaube ich aus der Art und Weise schließen zu dürfen, wie sie sich im Verkehr mit den Herren von der Kommission gaben. Einen objektiven Maßstab für die Zufriedenheit und das Wohlergehn der Ansiedler geben folgende Zahlen: Im Jahre 1906 wechselten 2,4 Prozent der Ansiedlerstellen ihre Besitzer, während der Durchschnitt im ganzen preußischen Staat (für Besitzer von fünf bis hundert Hektar) fünf Prozent ausmachte. Daß die Ansiedler aber auch allen Grund haben, mit den Verhältnissen, in die sie hineingestellt wurden, zufrieden zu sein, beweist, daß in zwanzig Jahren nur 33 in Gaut kamen. Vergleichen wir damit die Erfolge der Ansiedlungs- tütigkeit Maria Theresias und Josephs des Zweiten, die in etwa zwanzig Jahren achtzigtausend Menschen in Südungarn ansetzten, und zwar ebenfalls mit einer für damalige Zeiten anerkennenswerten Umsicht, so ist zu bemerken, daß wenig Jahre nach Josephs Tode zweitausend Höfe (also etwa der vierte bis fünfte Teil) wieder leer standen, weil ganze Familien an der Malaria ausgestorben oder entlaufen waren, oder weil die Ansiedler als „unverbesserlich" wieder „abgestiftet" werden mußten. Entsprechende Zahlen für die Kolonisation Friedrichs des Großen stehn mir nicht zu Gebote; nach den Berichten von Zeitgenossen ist aber sicher, daß viele seiner Stellen wieder eingingen, einerseits, weil das Material der An¬ siedler nicht gut war, andrerseits aber auch, weil diese Stellen von Anfang an mit zu wenig Land ausgestattet waren. Die teilweisen Mißerfolge des großen Königs haben der neupreußischen Kolonisation den zu beschreitenden Weg vorgezeichnet. Die vorsichtige Auswahl der Ansiedler, die ausreichende Bemessung und, nicht zu vergessen, die gute wirtschaftliche Borbereitung der Stellen haben den Grund dazu gelegt, daß die Ansiedler so gedeihen konnten, daß sie Verwandte und Freunde nachziehen, und daß sie womöglich ihren Kindern auch wieder Stellen auf dem Lande der Ansiedlungskommission ver¬ schaffen möchten. Das ist nun allerdings nicht so ganz die Absicht der Ansiedlungs¬ kommission, diese hofft, daß die zweite Generation wirtschaftlich so gekräftigt und findig sei, daß sie aus eigner Kraft die benachbarten Polen auslaufen könne, wie es die Schwaben im Banat in geradezu vorbildlicher Weise unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/127>, abgerufen am 24.07.2024.