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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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von der Ostmarkeufahlt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

schwieriger gestaltet sich die erstrebte deutschnationale Entwicklung auf den
Restgütern im engern Sinne des Worts, wo den polnischen Arbeitern keine
deutscheu Bauern, sondern nur der Gutsherr und seiue deutschen Angestellten
gegenüberstehen. Die deutsche völkische Schwäche ist erfahrungsgemäß besonders
groß gegenüber den weiblichen Reizen, die den Polinnen auch der nationale
Gegner nicht absprechen kann. Kamen wir doch an einem sehr schönen Gut
vorbei, dessen Besitzer, obgleich preußischer Hauptmann außer Diensten, voll¬
ständig ans die polnische Seite gezogen wurde, als er in zweiter Ehe eine Polin
heiratete! Wegen dieser sofort erkannten Mißstände wurde" in den ersten
achtzehn Jahren der Ansiedlungstätigkeit nur siebzehn solche große "Reststellen"
wie Bismarcksfelde, mit einem Flächengehalt von durchschnittlich 200 Hektar,
ausgelegt; dazu kamen -- worüber später näheres -- sieben "Restgüter". Diese
siebzehn Neststellen haben mindestens, abgesehen von der Erschwerung der
nationalen Befestigung der betreffenden Gemeinden, das Land für etwa 114 Voll¬
bauernstellen (zu 20 Hektar) verschlungen. Die Gründe für die Errichtung
dieser großen Stellen Ware" lediglich praktischer Art; in jenen Gütern waren
besonders stattliche Gutsgebäude vorhanden, die nur bei Großbetrieb geeignete
Verwendung finden konnten, und die zwecks Aufteilung des Grundes zu zer¬
stören "Sünd und scheint" gewesen wäre. Zugunsten der von der Not auferlegten
Maßregel ließ sich auch sagen, daß durch diese Stellen auch von Hause aus
wohlhabendere Anwerber ins Land gezogen und die Wege zum sozialen Auf¬
steigen für tüchtige Ansiedler geöffnet wurden.

Nachdem die politische Presse von der Bildung dieser Reststelleu, denen im
Jahre 1907 noch weitere vier folgten, wenig Notiz genommen hatte, erhob sich
ein lebhafter Angriff gegen die Regierung, als im Jahre 1907 nochmals siehe"
"Restgüter" zur Auslegung kamen und die Bildung weiterer in Aussicht gestellt
wurde. Während nämlich auch die größten Reststellen einfach Glieder der
betreffenden Gemeinden bilden, sind Restgüter nichts andres als Rittergüter,
die zwar verkleinert aber ihrer Stimmfähigkeit und ihres Charakters als
selbständige kommunale Gebilde nicht entkleidet sind.

Im gemeinsamen Kampf gegen die Erhaltung dieser Rittergüter von
Staats wegen begegneten sich gutnationale Männer verschiedner Parteirichtung
und aus verschiednen Gründen. Die einen sahen oder sehen jede Hufe des
Ansiedlnngsgebiets, die nicht zu "neuem Bauernland" wird, für verloren an
und weisen darauf hin, daß jeder Großgrundbesitzer, ob er will oder nicht, der
Magnet und Schutzherr für so und so viele Polen ist; die andern fürchten mit
dem Großgrundbesitz das reaktionäre und zu jeden: Bündnis zu habende
Junkertum zu stützen. Der Grund für die Regierung, trotzdem die Bildung der
Restgüter zu verlangen, ist ein rein politischer. Da seit zehn Jahren fast nur
aus deutscher Hand gekauft werden konnte, ist in einzelnen Kreisen der deutsche
Großgrundbesitz so geschwächt, daß dort auf den Kreistagen seine Überstimmung
durch die Polen in den Kreis der Möglichkeit gerückt ist. Dem soll dadurch


Grenzboten IV 1909 15
von der Ostmarkeufahlt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

schwieriger gestaltet sich die erstrebte deutschnationale Entwicklung auf den
Restgütern im engern Sinne des Worts, wo den polnischen Arbeitern keine
deutscheu Bauern, sondern nur der Gutsherr und seiue deutschen Angestellten
gegenüberstehen. Die deutsche völkische Schwäche ist erfahrungsgemäß besonders
groß gegenüber den weiblichen Reizen, die den Polinnen auch der nationale
Gegner nicht absprechen kann. Kamen wir doch an einem sehr schönen Gut
vorbei, dessen Besitzer, obgleich preußischer Hauptmann außer Diensten, voll¬
ständig ans die polnische Seite gezogen wurde, als er in zweiter Ehe eine Polin
heiratete! Wegen dieser sofort erkannten Mißstände wurde» in den ersten
achtzehn Jahren der Ansiedlungstätigkeit nur siebzehn solche große „Reststellen"
wie Bismarcksfelde, mit einem Flächengehalt von durchschnittlich 200 Hektar,
ausgelegt; dazu kamen — worüber später näheres — sieben „Restgüter". Diese
siebzehn Neststellen haben mindestens, abgesehen von der Erschwerung der
nationalen Befestigung der betreffenden Gemeinden, das Land für etwa 114 Voll¬
bauernstellen (zu 20 Hektar) verschlungen. Die Gründe für die Errichtung
dieser großen Stellen Ware» lediglich praktischer Art; in jenen Gütern waren
besonders stattliche Gutsgebäude vorhanden, die nur bei Großbetrieb geeignete
Verwendung finden konnten, und die zwecks Aufteilung des Grundes zu zer¬
stören „Sünd und scheint" gewesen wäre. Zugunsten der von der Not auferlegten
Maßregel ließ sich auch sagen, daß durch diese Stellen auch von Hause aus
wohlhabendere Anwerber ins Land gezogen und die Wege zum sozialen Auf¬
steigen für tüchtige Ansiedler geöffnet wurden.

Nachdem die politische Presse von der Bildung dieser Reststelleu, denen im
Jahre 1907 noch weitere vier folgten, wenig Notiz genommen hatte, erhob sich
ein lebhafter Angriff gegen die Regierung, als im Jahre 1907 nochmals siehe»
„Restgüter" zur Auslegung kamen und die Bildung weiterer in Aussicht gestellt
wurde. Während nämlich auch die größten Reststellen einfach Glieder der
betreffenden Gemeinden bilden, sind Restgüter nichts andres als Rittergüter,
die zwar verkleinert aber ihrer Stimmfähigkeit und ihres Charakters als
selbständige kommunale Gebilde nicht entkleidet sind.

Im gemeinsamen Kampf gegen die Erhaltung dieser Rittergüter von
Staats wegen begegneten sich gutnationale Männer verschiedner Parteirichtung
und aus verschiednen Gründen. Die einen sahen oder sehen jede Hufe des
Ansiedlnngsgebiets, die nicht zu „neuem Bauernland" wird, für verloren an
und weisen darauf hin, daß jeder Großgrundbesitzer, ob er will oder nicht, der
Magnet und Schutzherr für so und so viele Polen ist; die andern fürchten mit
dem Großgrundbesitz das reaktionäre und zu jeden: Bündnis zu habende
Junkertum zu stützen. Der Grund für die Regierung, trotzdem die Bildung der
Restgüter zu verlangen, ist ein rein politischer. Da seit zehn Jahren fast nur
aus deutscher Hand gekauft werden konnte, ist in einzelnen Kreisen der deutsche
Großgrundbesitz so geschwächt, daß dort auf den Kreistagen seine Überstimmung
durch die Polen in den Kreis der Möglichkeit gerückt ist. Dem soll dadurch


Grenzboten IV 1909 15
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/121>, abgerufen am 24.07.2024.