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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Aufgabe

gebrandmarkt hat, den sie mit Recht als antimonarchisch und staatsfeindlich
hinstellte! Wohin ein solcher überspannter Egoismus, noch dazu wenn er die
herrschende Klasse erfaßt hat, führt, lehrt uns die Geschichte an zahlreichen
Beispielen. Wir erinnern nur an die Vorgeschichte der großen Revolution in
Frankreich und an das Verhalten der polnischen Magnaten während des vier¬
jährigen Reichstags. Die polnischen Magnaten schlössen sich lieber an Nußland,
an den damals gefährlichsten Gegner des nationalen Polenstaats an, als daß
sie bereit gewesen wären, den Staat durch ihren materiellen Besitz zu stützen.
Überhaupt bietet das Verhalten der polnischen Junker von damals und das
der Männer um Heydebrand zahlreiche, nicht eben erfreuliche Analogien. Wir
wollen das nur noch einmal feststellen, nachdem es in der Täglichen Rundschau
eingehender behandelt worden ist.

Der konservativen Parteileitung sind alle diese Vorhaltungen natürlich
höchst unangenehm. Aber da man keine entschuldigenden Tatsachen für sich
vorbringen kann, gilt es den unbequemen Gegner zu verdächtigen. So werden
die Ausführungen der Grenzboten von den Betroffnen als Ausgeburt des
Hasses oder milder als "liberale" Anschauungen bezeichnet. Ferner soll zahl¬
reichen nationalen Konservativen im Lande eingeredet werden, die Grenzboten
gingen darauf aus, dem Freisinn zum Siege zu verhelfen. Man hat unser
Blatt nicht nur ein "nationalliberales" genannt, man nannte es "linksliberal",
um die Wucht unsrer Anklagen zu entkräften. Demgegenüber scheint es uns
am Platze, heute ausdrücklich festzustellen, daß die schärfsten und treffendsten
Angriffe gegen die konservative Parteileitung -- denn nur um die Partei¬
leitung handelt es sich -- nicht von Liberalen erhoben sind, sondern von
konservativen Männern, und daß gerade unser Artikel in Nummer 36, der so
großes Aufsehn erregte, von einem bekannten konservativen Publizisten verfaßt
wurde. Es gilt uns nicht, konservative Anschauungen zurückzudrängen, im
Gegenteil, es gilt uns, den konservativen Idealismus, der tatsächlich
überall noch vorhanden ist, aber durch die Heydebrand, Oertel und
Genossen unterdrückt worden ist, zu seinem politischen Rechte zu
verhelfen. Dazu aber war es nötig, den Heuchlern die Kappe vom Gesicht
zu reißen. Daß wir damit das Rechte trafen, beweisen uns zahlreiche Zuschriften
aus gebildeten konservativen Kreisen und beweist uns die Tatsache, daß der
Artikel "Auf dem Weg zum neuen Block" nicht weniger als fünftausend Nach¬
bestellungen erfahren hat. Das ist doch ein Zeichen, daß er gerade in den
konservativen Kreisen die Gefühle ausgelöst hat, die gegenüber dem Verhalten
der Parteileitung nach Ausdruck rangen.

Wenn wir aber nicht die Absicht haben, konservative Anschauungen zurück¬
zudrängen, so liegt uns ebensowenig daran, die liberalen Ideale aus der Politik
verschwinden zu sehen. Der deutsche Reichsgedanke ist ein Ergebnis liberaler
Weltanschauungen. Infolgedessen begrüßen wir die sich vorbereitende Einigung
der linksliberalen Parteien mit besonders großer Freude. Die Nation kann


Unsre Aufgabe

gebrandmarkt hat, den sie mit Recht als antimonarchisch und staatsfeindlich
hinstellte! Wohin ein solcher überspannter Egoismus, noch dazu wenn er die
herrschende Klasse erfaßt hat, führt, lehrt uns die Geschichte an zahlreichen
Beispielen. Wir erinnern nur an die Vorgeschichte der großen Revolution in
Frankreich und an das Verhalten der polnischen Magnaten während des vier¬
jährigen Reichstags. Die polnischen Magnaten schlössen sich lieber an Nußland,
an den damals gefährlichsten Gegner des nationalen Polenstaats an, als daß
sie bereit gewesen wären, den Staat durch ihren materiellen Besitz zu stützen.
Überhaupt bietet das Verhalten der polnischen Junker von damals und das
der Männer um Heydebrand zahlreiche, nicht eben erfreuliche Analogien. Wir
wollen das nur noch einmal feststellen, nachdem es in der Täglichen Rundschau
eingehender behandelt worden ist.

Der konservativen Parteileitung sind alle diese Vorhaltungen natürlich
höchst unangenehm. Aber da man keine entschuldigenden Tatsachen für sich
vorbringen kann, gilt es den unbequemen Gegner zu verdächtigen. So werden
die Ausführungen der Grenzboten von den Betroffnen als Ausgeburt des
Hasses oder milder als „liberale" Anschauungen bezeichnet. Ferner soll zahl¬
reichen nationalen Konservativen im Lande eingeredet werden, die Grenzboten
gingen darauf aus, dem Freisinn zum Siege zu verhelfen. Man hat unser
Blatt nicht nur ein „nationalliberales" genannt, man nannte es „linksliberal",
um die Wucht unsrer Anklagen zu entkräften. Demgegenüber scheint es uns
am Platze, heute ausdrücklich festzustellen, daß die schärfsten und treffendsten
Angriffe gegen die konservative Parteileitung — denn nur um die Partei¬
leitung handelt es sich — nicht von Liberalen erhoben sind, sondern von
konservativen Männern, und daß gerade unser Artikel in Nummer 36, der so
großes Aufsehn erregte, von einem bekannten konservativen Publizisten verfaßt
wurde. Es gilt uns nicht, konservative Anschauungen zurückzudrängen, im
Gegenteil, es gilt uns, den konservativen Idealismus, der tatsächlich
überall noch vorhanden ist, aber durch die Heydebrand, Oertel und
Genossen unterdrückt worden ist, zu seinem politischen Rechte zu
verhelfen. Dazu aber war es nötig, den Heuchlern die Kappe vom Gesicht
zu reißen. Daß wir damit das Rechte trafen, beweisen uns zahlreiche Zuschriften
aus gebildeten konservativen Kreisen und beweist uns die Tatsache, daß der
Artikel „Auf dem Weg zum neuen Block" nicht weniger als fünftausend Nach¬
bestellungen erfahren hat. Das ist doch ein Zeichen, daß er gerade in den
konservativen Kreisen die Gefühle ausgelöst hat, die gegenüber dem Verhalten
der Parteileitung nach Ausdruck rangen.

Wenn wir aber nicht die Absicht haben, konservative Anschauungen zurück¬
zudrängen, so liegt uns ebensowenig daran, die liberalen Ideale aus der Politik
verschwinden zu sehen. Der deutsche Reichsgedanke ist ein Ergebnis liberaler
Weltanschauungen. Infolgedessen begrüßen wir die sich vorbereitende Einigung
der linksliberalen Parteien mit besonders großer Freude. Die Nation kann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/12>, abgerufen am 05.07.2024.