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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor

fälle, herrische Anwandlungen, rücksichtslose Offenheit. Daß er einem einfachen
Lehrer, der stundenlang in seinem Vorzimmer hatte warten müssen und darüber
vor Hunger fast schwach und jedenfalls sehr gereizt worden war, vor allem die
Hälfte seines frugalen Frühstücks abtrat, sodaß dann der Hochmögende und
der Supplikant dies zunächst gemeinsam verzehrten und damit die wünschens¬
werte Stimmung zur Besprechung der Angelegenheit erreicht wurde, gehört
vielleicht mehr in die Kategorie der Scherze. Daß er einen Förster im Walde
in ein langes Gespräch verwickelte, damit sich inzwischen eine arme alte Frau
mit ihrem unerlaubt gesammelten Reisholz trotz ihrer trippelnden Schritte
in genügende Entfernung bringen konnte, mag als ein andrer freundlicher Zug
hier erwähnt werden. Aber man könnte mit der Aufzählung solcher Dinge nicht
endigen. Übrigens herrschte er ebenso unbefangen die Leute allerwärts draußen
in der Welt an. wenn sie ihm etwas Verkehrtes zu tun schienen, und er glaubte
seine Würde nicht verloren, wenn er auch einmal eine grobe Antwort empfing;
er blieb dann mit einem Witze obenauf.

Es war wirklich ein sehr sonderbarer Bureaukrat. Aus praktischen Nöten
zu helfen, durch persönliches Schenken und Wohltun wie durch amtliche Er¬
öffnung von Hilfsquellen, dazu war er immer leicht willig zu machen. Geldfragen
behandelte er auch in seinem Privatleben als unwichtig, und er starb bei schönem
Einkommen und kinderloser Ehe arm. Nicht vergessen darf, wer ihn charakterisieren
will, seine stets bewährte Liebe zu Kindern und die schwärmerische Anhäng¬
lichkeit vieler Kinder an seine Person. Es gab eben sehr zarte Saiten in seinem
Wesen. Auch seine überaus glückliche Ehe mit einer ausgezeichneten Gattin
zeugte dafür. Und sehr eigentümlich war das Verhältnis zwischen seiner Sprache
und seiner Handschrift, ebenso wie zwischen seiner mündlichen und schriftlichen
Ausdrucksweise: diese letztere, Handschrift sowohl wie Stil, immer von höchster
Sauberkeit, Feinheit und Anmut. Welches konnte als der eigentliche Ausdruck
seines Wesens gelten? Sicher durfte man das eine über dem andern nicht
vergessen.

Vergessen wurden übrigens viele unfreundliche Eindrücke aus seiner Amts¬
zeit während seines letzten Lebensjahres, des einzigen, das ihm im Ruhestand
noch zu verleben vergönnt war. Daß ihn Krankheit schon seit einigen Jahren
oft monatelang schwer heimgesucht hatte, war ihm nicht zum Anlaß geworden,
die Arbeit niederzulegen, kaum, sie zu ermäßigen. Aber nun, frei von der festen
Gebundenheit des Dienstes, ledig all der Last äußerlicher und kleinlicher Arbeiten,
die selbst den höchsten Ämtern durchaus nicht fehlen, dachte er gar nicht daran,
einfach auszuruhen, sondern steckte sich neue große Ziele, im Dienst der Wohl¬
fahrt, der Wissenschaft, der Kunst, der Kultur. Und um so entschiedner schien
er sich nur mit großen Maßen für seine Strebensziele genug zu tun. Darüber
war er denn auch zu einer gleichmäßigen Heiterkeit, einer Glücksstimmung ge¬
kommen, die ihn bis zum Ende nicht verlassen hat. Er zog auch noch in dieser
Periode beständig allerlei Menschen in den Dienst seiner Ziele, mit allen


Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor

fälle, herrische Anwandlungen, rücksichtslose Offenheit. Daß er einem einfachen
Lehrer, der stundenlang in seinem Vorzimmer hatte warten müssen und darüber
vor Hunger fast schwach und jedenfalls sehr gereizt worden war, vor allem die
Hälfte seines frugalen Frühstücks abtrat, sodaß dann der Hochmögende und
der Supplikant dies zunächst gemeinsam verzehrten und damit die wünschens¬
werte Stimmung zur Besprechung der Angelegenheit erreicht wurde, gehört
vielleicht mehr in die Kategorie der Scherze. Daß er einen Förster im Walde
in ein langes Gespräch verwickelte, damit sich inzwischen eine arme alte Frau
mit ihrem unerlaubt gesammelten Reisholz trotz ihrer trippelnden Schritte
in genügende Entfernung bringen konnte, mag als ein andrer freundlicher Zug
hier erwähnt werden. Aber man könnte mit der Aufzählung solcher Dinge nicht
endigen. Übrigens herrschte er ebenso unbefangen die Leute allerwärts draußen
in der Welt an. wenn sie ihm etwas Verkehrtes zu tun schienen, und er glaubte
seine Würde nicht verloren, wenn er auch einmal eine grobe Antwort empfing;
er blieb dann mit einem Witze obenauf.

Es war wirklich ein sehr sonderbarer Bureaukrat. Aus praktischen Nöten
zu helfen, durch persönliches Schenken und Wohltun wie durch amtliche Er¬
öffnung von Hilfsquellen, dazu war er immer leicht willig zu machen. Geldfragen
behandelte er auch in seinem Privatleben als unwichtig, und er starb bei schönem
Einkommen und kinderloser Ehe arm. Nicht vergessen darf, wer ihn charakterisieren
will, seine stets bewährte Liebe zu Kindern und die schwärmerische Anhäng¬
lichkeit vieler Kinder an seine Person. Es gab eben sehr zarte Saiten in seinem
Wesen. Auch seine überaus glückliche Ehe mit einer ausgezeichneten Gattin
zeugte dafür. Und sehr eigentümlich war das Verhältnis zwischen seiner Sprache
und seiner Handschrift, ebenso wie zwischen seiner mündlichen und schriftlichen
Ausdrucksweise: diese letztere, Handschrift sowohl wie Stil, immer von höchster
Sauberkeit, Feinheit und Anmut. Welches konnte als der eigentliche Ausdruck
seines Wesens gelten? Sicher durfte man das eine über dem andern nicht
vergessen.

Vergessen wurden übrigens viele unfreundliche Eindrücke aus seiner Amts¬
zeit während seines letzten Lebensjahres, des einzigen, das ihm im Ruhestand
noch zu verleben vergönnt war. Daß ihn Krankheit schon seit einigen Jahren
oft monatelang schwer heimgesucht hatte, war ihm nicht zum Anlaß geworden,
die Arbeit niederzulegen, kaum, sie zu ermäßigen. Aber nun, frei von der festen
Gebundenheit des Dienstes, ledig all der Last äußerlicher und kleinlicher Arbeiten,
die selbst den höchsten Ämtern durchaus nicht fehlen, dachte er gar nicht daran,
einfach auszuruhen, sondern steckte sich neue große Ziele, im Dienst der Wohl¬
fahrt, der Wissenschaft, der Kunst, der Kultur. Und um so entschiedner schien
er sich nur mit großen Maßen für seine Strebensziele genug zu tun. Darüber
war er denn auch zu einer gleichmäßigen Heiterkeit, einer Glücksstimmung ge¬
kommen, die ihn bis zum Ende nicht verlassen hat. Er zog auch noch in dieser
Periode beständig allerlei Menschen in den Dienst seiner Ziele, mit allen


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[0117] Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor fälle, herrische Anwandlungen, rücksichtslose Offenheit. Daß er einem einfachen Lehrer, der stundenlang in seinem Vorzimmer hatte warten müssen und darüber vor Hunger fast schwach und jedenfalls sehr gereizt worden war, vor allem die Hälfte seines frugalen Frühstücks abtrat, sodaß dann der Hochmögende und der Supplikant dies zunächst gemeinsam verzehrten und damit die wünschens¬ werte Stimmung zur Besprechung der Angelegenheit erreicht wurde, gehört vielleicht mehr in die Kategorie der Scherze. Daß er einen Förster im Walde in ein langes Gespräch verwickelte, damit sich inzwischen eine arme alte Frau mit ihrem unerlaubt gesammelten Reisholz trotz ihrer trippelnden Schritte in genügende Entfernung bringen konnte, mag als ein andrer freundlicher Zug hier erwähnt werden. Aber man könnte mit der Aufzählung solcher Dinge nicht endigen. Übrigens herrschte er ebenso unbefangen die Leute allerwärts draußen in der Welt an. wenn sie ihm etwas Verkehrtes zu tun schienen, und er glaubte seine Würde nicht verloren, wenn er auch einmal eine grobe Antwort empfing; er blieb dann mit einem Witze obenauf. Es war wirklich ein sehr sonderbarer Bureaukrat. Aus praktischen Nöten zu helfen, durch persönliches Schenken und Wohltun wie durch amtliche Er¬ öffnung von Hilfsquellen, dazu war er immer leicht willig zu machen. Geldfragen behandelte er auch in seinem Privatleben als unwichtig, und er starb bei schönem Einkommen und kinderloser Ehe arm. Nicht vergessen darf, wer ihn charakterisieren will, seine stets bewährte Liebe zu Kindern und die schwärmerische Anhäng¬ lichkeit vieler Kinder an seine Person. Es gab eben sehr zarte Saiten in seinem Wesen. Auch seine überaus glückliche Ehe mit einer ausgezeichneten Gattin zeugte dafür. Und sehr eigentümlich war das Verhältnis zwischen seiner Sprache und seiner Handschrift, ebenso wie zwischen seiner mündlichen und schriftlichen Ausdrucksweise: diese letztere, Handschrift sowohl wie Stil, immer von höchster Sauberkeit, Feinheit und Anmut. Welches konnte als der eigentliche Ausdruck seines Wesens gelten? Sicher durfte man das eine über dem andern nicht vergessen. Vergessen wurden übrigens viele unfreundliche Eindrücke aus seiner Amts¬ zeit während seines letzten Lebensjahres, des einzigen, das ihm im Ruhestand noch zu verleben vergönnt war. Daß ihn Krankheit schon seit einigen Jahren oft monatelang schwer heimgesucht hatte, war ihm nicht zum Anlaß geworden, die Arbeit niederzulegen, kaum, sie zu ermäßigen. Aber nun, frei von der festen Gebundenheit des Dienstes, ledig all der Last äußerlicher und kleinlicher Arbeiten, die selbst den höchsten Ämtern durchaus nicht fehlen, dachte er gar nicht daran, einfach auszuruhen, sondern steckte sich neue große Ziele, im Dienst der Wohl¬ fahrt, der Wissenschaft, der Kunst, der Kultur. Und um so entschiedner schien er sich nur mit großen Maßen für seine Strebensziele genug zu tun. Darüber war er denn auch zu einer gleichmäßigen Heiterkeit, einer Glücksstimmung ge¬ kommen, die ihn bis zum Ende nicht verlassen hat. Er zog auch noch in dieser Periode beständig allerlei Menschen in den Dienst seiner Ziele, mit allen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/117>, abgerufen am 24.07.2024.