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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor

Distanz nach oben und unten zu wahren). Und man nimmt dort burschikose
Scherze schwerlich übel, wenn man weiß, wie solcher Scherz nur eine Art von
Erholungsspiel ist, und mit wie vollem Ernst die Amtsgeschäfte selbst genommen
und behandelt werden. Das galt eben besonders auch für Althoff, der tat¬
sächlich fast immer große Ziele mit großem Ernst verfolgte, auch wo er mit
Lässigkeit den Dingen gegenüberzustehn schien. Die näher eingeweihten rühmen
seine wahrhaft staatsmännischen Verdienste. Jedenfalls stand er politischen
Parteien wie kirchlichen Konfessionen gegenüber möglichst unparteiisch da, wenn
nicht aus tiefem Gerechtigkeitsgefühl oder von der Höhe philosophischer Bildung
aus, dann um der praktischen Erfolge willen, oder um möglichst viel Fäden
immer in der Hand zu haben. Er hat tatsächlich auch das Ohr seines Souveräns
gesucht; erst während des Jahrzehnts, worin wir noch stehn, wurde seine
Person diesem bekannt und gewann dann alsbald auf seinem Gebiet nicht
geringen Einfluß, dessen er sich im Interesse seiner bestimmten Ziele freute.
Wesentlich beruhte dieser Einfluß übrigens teils auf der bewiesenen Sicherheit
seiner Menschenkenntnis und teils auf dem Enthusiasmus, mit dem er neue
Aufgaben aufzugreifen vermochte.

Manchem erschienen diese Äußerungen des Enthusiasmus bei ihm als
bloßes Spiel, was sie doch nicht waren: sie gehörten eben mit zu der steten
Erregbarkeit, die ihm lebenslang eigen blieb, die ihn zu den Brüskerien hinriß
wie zu den überschwenglichen Freundschaftsversicherungen, sodaß also auch diese
nicht etwa für Heuchelei genommen werden durften, wenn auch nicht als völliger
Ernst. Denn freilich die Zahl derer, die von ihm gelegentlich mit "lieber,
hochverehrter Freund" angeredet wurden, war viel zu groß, als daß sie wirklich
in einem, wenn auch geräumigen Menschenherzen Platz gehabt hätten. Sie
war mindestens so groß wie die Zahl seiner zeitweiligen Feinde, um derent¬
willen er sich gern auf das Wort "Viel Feind, viel Ehr" besann.

Wenn aber sein obenerwähntes Schulzeugnis neben seiner Erregbarkeit
auch seiner großen Gutmütigkeit gedachte, so hat sich diese nicht minder durch
alle die Jahrzehnte und die wechselnden Situationen hindurch bewährt. Selbst
solchen, denen er mit dem Druck seiner dienstlichen Anforderungen das Leben
schwer machte, bewies er gern zwischendurch seine menschliche Güte, und so
erhielt zum Beispiel der vielbelastete junge Assessor, der sich einmal einen guten
Tag oder wenigstens Abend gönnen und mit Freunden seinen Geburtstag
feiern wollte, plötzlich zwar anscheinend ein mächtiges Bündel Akten zugesandt
mit dem gemessenen Auftrag unverzüglicher Erledigung bis zur folgenden
Morgenfrühe, also noch in der bevorstehenden Nacht, fand aber, als er es
öffnete, die leckersten Beitrüge zu dem bevorstehenden Abendschmaus. Überhaupt
aber sind die Anekdoten zahllos, die über Althoff umgingen, und um der in
solchen Zügen hervortretenden Originalität willen nahmen verständige Leute
ihm manches nicht übel, was sie an sich sehr Hütte verstimmen können. Er
überraschte durch Züge von Herzensgüte kaum weniger als durch witzige Ein-


Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor

Distanz nach oben und unten zu wahren). Und man nimmt dort burschikose
Scherze schwerlich übel, wenn man weiß, wie solcher Scherz nur eine Art von
Erholungsspiel ist, und mit wie vollem Ernst die Amtsgeschäfte selbst genommen
und behandelt werden. Das galt eben besonders auch für Althoff, der tat¬
sächlich fast immer große Ziele mit großem Ernst verfolgte, auch wo er mit
Lässigkeit den Dingen gegenüberzustehn schien. Die näher eingeweihten rühmen
seine wahrhaft staatsmännischen Verdienste. Jedenfalls stand er politischen
Parteien wie kirchlichen Konfessionen gegenüber möglichst unparteiisch da, wenn
nicht aus tiefem Gerechtigkeitsgefühl oder von der Höhe philosophischer Bildung
aus, dann um der praktischen Erfolge willen, oder um möglichst viel Fäden
immer in der Hand zu haben. Er hat tatsächlich auch das Ohr seines Souveräns
gesucht; erst während des Jahrzehnts, worin wir noch stehn, wurde seine
Person diesem bekannt und gewann dann alsbald auf seinem Gebiet nicht
geringen Einfluß, dessen er sich im Interesse seiner bestimmten Ziele freute.
Wesentlich beruhte dieser Einfluß übrigens teils auf der bewiesenen Sicherheit
seiner Menschenkenntnis und teils auf dem Enthusiasmus, mit dem er neue
Aufgaben aufzugreifen vermochte.

Manchem erschienen diese Äußerungen des Enthusiasmus bei ihm als
bloßes Spiel, was sie doch nicht waren: sie gehörten eben mit zu der steten
Erregbarkeit, die ihm lebenslang eigen blieb, die ihn zu den Brüskerien hinriß
wie zu den überschwenglichen Freundschaftsversicherungen, sodaß also auch diese
nicht etwa für Heuchelei genommen werden durften, wenn auch nicht als völliger
Ernst. Denn freilich die Zahl derer, die von ihm gelegentlich mit „lieber,
hochverehrter Freund" angeredet wurden, war viel zu groß, als daß sie wirklich
in einem, wenn auch geräumigen Menschenherzen Platz gehabt hätten. Sie
war mindestens so groß wie die Zahl seiner zeitweiligen Feinde, um derent¬
willen er sich gern auf das Wort „Viel Feind, viel Ehr" besann.

Wenn aber sein obenerwähntes Schulzeugnis neben seiner Erregbarkeit
auch seiner großen Gutmütigkeit gedachte, so hat sich diese nicht minder durch
alle die Jahrzehnte und die wechselnden Situationen hindurch bewährt. Selbst
solchen, denen er mit dem Druck seiner dienstlichen Anforderungen das Leben
schwer machte, bewies er gern zwischendurch seine menschliche Güte, und so
erhielt zum Beispiel der vielbelastete junge Assessor, der sich einmal einen guten
Tag oder wenigstens Abend gönnen und mit Freunden seinen Geburtstag
feiern wollte, plötzlich zwar anscheinend ein mächtiges Bündel Akten zugesandt
mit dem gemessenen Auftrag unverzüglicher Erledigung bis zur folgenden
Morgenfrühe, also noch in der bevorstehenden Nacht, fand aber, als er es
öffnete, die leckersten Beitrüge zu dem bevorstehenden Abendschmaus. Überhaupt
aber sind die Anekdoten zahllos, die über Althoff umgingen, und um der in
solchen Zügen hervortretenden Originalität willen nahmen verständige Leute
ihm manches nicht übel, was sie an sich sehr Hütte verstimmen können. Er
überraschte durch Züge von Herzensgüte kaum weniger als durch witzige Ein-


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[0116] Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor Distanz nach oben und unten zu wahren). Und man nimmt dort burschikose Scherze schwerlich übel, wenn man weiß, wie solcher Scherz nur eine Art von Erholungsspiel ist, und mit wie vollem Ernst die Amtsgeschäfte selbst genommen und behandelt werden. Das galt eben besonders auch für Althoff, der tat¬ sächlich fast immer große Ziele mit großem Ernst verfolgte, auch wo er mit Lässigkeit den Dingen gegenüberzustehn schien. Die näher eingeweihten rühmen seine wahrhaft staatsmännischen Verdienste. Jedenfalls stand er politischen Parteien wie kirchlichen Konfessionen gegenüber möglichst unparteiisch da, wenn nicht aus tiefem Gerechtigkeitsgefühl oder von der Höhe philosophischer Bildung aus, dann um der praktischen Erfolge willen, oder um möglichst viel Fäden immer in der Hand zu haben. Er hat tatsächlich auch das Ohr seines Souveräns gesucht; erst während des Jahrzehnts, worin wir noch stehn, wurde seine Person diesem bekannt und gewann dann alsbald auf seinem Gebiet nicht geringen Einfluß, dessen er sich im Interesse seiner bestimmten Ziele freute. Wesentlich beruhte dieser Einfluß übrigens teils auf der bewiesenen Sicherheit seiner Menschenkenntnis und teils auf dem Enthusiasmus, mit dem er neue Aufgaben aufzugreifen vermochte. Manchem erschienen diese Äußerungen des Enthusiasmus bei ihm als bloßes Spiel, was sie doch nicht waren: sie gehörten eben mit zu der steten Erregbarkeit, die ihm lebenslang eigen blieb, die ihn zu den Brüskerien hinriß wie zu den überschwenglichen Freundschaftsversicherungen, sodaß also auch diese nicht etwa für Heuchelei genommen werden durften, wenn auch nicht als völliger Ernst. Denn freilich die Zahl derer, die von ihm gelegentlich mit „lieber, hochverehrter Freund" angeredet wurden, war viel zu groß, als daß sie wirklich in einem, wenn auch geräumigen Menschenherzen Platz gehabt hätten. Sie war mindestens so groß wie die Zahl seiner zeitweiligen Feinde, um derent¬ willen er sich gern auf das Wort „Viel Feind, viel Ehr" besann. Wenn aber sein obenerwähntes Schulzeugnis neben seiner Erregbarkeit auch seiner großen Gutmütigkeit gedachte, so hat sich diese nicht minder durch alle die Jahrzehnte und die wechselnden Situationen hindurch bewährt. Selbst solchen, denen er mit dem Druck seiner dienstlichen Anforderungen das Leben schwer machte, bewies er gern zwischendurch seine menschliche Güte, und so erhielt zum Beispiel der vielbelastete junge Assessor, der sich einmal einen guten Tag oder wenigstens Abend gönnen und mit Freunden seinen Geburtstag feiern wollte, plötzlich zwar anscheinend ein mächtiges Bündel Akten zugesandt mit dem gemessenen Auftrag unverzüglicher Erledigung bis zur folgenden Morgenfrühe, also noch in der bevorstehenden Nacht, fand aber, als er es öffnete, die leckersten Beitrüge zu dem bevorstehenden Abendschmaus. Überhaupt aber sind die Anekdoten zahllos, die über Althoff umgingen, und um der in solchen Zügen hervortretenden Originalität willen nahmen verständige Leute ihm manches nicht übel, was sie an sich sehr Hütte verstimmen können. Er überraschte durch Züge von Herzensgüte kaum weniger als durch witzige Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/116>, abgerufen am 24.07.2024.