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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor

daß er mit der Wucht oder Starrheit seines Wollens ebenso wie mit der
Labilität seiner Stimmungen oft andern Unrecht tat, wie ihm denn schroff
übertreibende, maßlose, geringschätzige Urteile über andre Personen leicht genug
in den Mund kamen, die er auch in merkwürdiger Unbekümmertheit da äußerte,
wo er auf Diskretion zu zählen keineswegs das Recht hatte.

Freilich waren es immer nur Übertreibungen; seine Menschenkenntnis und
die Raschheit und Sicherheit des Durchschauens neuer Menschen war vielleicht
das Erstaunlichste an ihm. Er faßte auch hier aus dem Gewirre der Eindrücke
die wichtigsten Charakterzüge mit größter Bestimmtheit auf, und oft wurde von
seiner Umgebung erst nach vielen Jahren die Nichtigkeit eines Urteils erkannt,
nachdem man es bis dahin für willkürlich gehalten hatte. Ob das Verhalten
eines Menschen im letzten Grunde von kleinen und persönlichen Interessen
reguliert wurde oder vou anständigen, edeln Tendenzen, das namentlich unter¬
schied er mit großer Sicherheit. Und er vergaß bezeichnende Züge niemals,
während er auch positive Verfehlungen einer anständigen Natur nach einmaligen!
bestimmtem und vielleicht sehr scharfem Tadel völlig verzieh. Er hatte freilich
gewissermaßen viele Ohren zugleich offen: der beständige reichliche Verkehr mit
mannigfachen Menschen brachte ihm vielerlei Kunde zu, und hie und da ver¬
schmähte er es auch durchaus nicht, etwas durch jene Freigelassenen auszukund-
schaften, zum Beispiel die Dvzentenqualitäten eines neuen oder eines erst zu
berufenden Universitätslehrers. (Daß gerade bei solchen Ernennungen seine
scheinbare Willkür doch keinen Übeln Untergrund von Sachverständnis hatte,
ist übrigens hinterher meist anerkannt worden.)

Im ganzen legte er eine ziemlich geringe Schätzung der durchschnittlichen
Menschen unverhüllt an den Tag, und es war zu versteh", wie er dazu ge¬
kommen sei. Schon in frühen Mannesjahren (in den siebziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts, die für ihn die dreißiger Lebensjahre waren) nahm er
eine einflußreiche Stellung im reichsländischen Ministerium zu Straßburg ein,
um mit den achtziger Jahren in die sehr bedeutende eines Referenten für das
Universitätswesen im preußischen Kultusministerium zu Berlin überzugehn; seit
1897 war er dann Direktor der Abteilungen für Universitäten und sonstige
Hochschulen und Institute der Wissenschaft und Kunst und ebenso für das
gesamte höhere Schulwesen. Wer um einer Stätte mit solchen Vollmachten
steht, dem kommen die Menschen vielfach just mit ihren kleinern Seiten zu
Gesicht, und so hoch er die zweifellos großen Vertreter der Wissenschaft per¬
sönlich ehrte, so hatte er doch den Glauben an die Unantastbarkeit der Fakultäten
nicht, den diese für sich beanspruchten. Von dieser Seite sind denn auch be¬
sonders starke Anklagen gegen ihn gerichtet worden, und mindestens durch
übergroße Unbefangenheit der Sprache hatte er selbst sie hervorgerufen.

Der Ton auf den Höhen der Amtsgewalt ist überhaupt viel häustger. als
man denkt, ein höchst natürlicher, unverblümter, auch volkstümlich derber; auf
mittlern Stufen überwacht und spreizt man sich weit mehr (um immer die


Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor

daß er mit der Wucht oder Starrheit seines Wollens ebenso wie mit der
Labilität seiner Stimmungen oft andern Unrecht tat, wie ihm denn schroff
übertreibende, maßlose, geringschätzige Urteile über andre Personen leicht genug
in den Mund kamen, die er auch in merkwürdiger Unbekümmertheit da äußerte,
wo er auf Diskretion zu zählen keineswegs das Recht hatte.

Freilich waren es immer nur Übertreibungen; seine Menschenkenntnis und
die Raschheit und Sicherheit des Durchschauens neuer Menschen war vielleicht
das Erstaunlichste an ihm. Er faßte auch hier aus dem Gewirre der Eindrücke
die wichtigsten Charakterzüge mit größter Bestimmtheit auf, und oft wurde von
seiner Umgebung erst nach vielen Jahren die Nichtigkeit eines Urteils erkannt,
nachdem man es bis dahin für willkürlich gehalten hatte. Ob das Verhalten
eines Menschen im letzten Grunde von kleinen und persönlichen Interessen
reguliert wurde oder vou anständigen, edeln Tendenzen, das namentlich unter¬
schied er mit großer Sicherheit. Und er vergaß bezeichnende Züge niemals,
während er auch positive Verfehlungen einer anständigen Natur nach einmaligen!
bestimmtem und vielleicht sehr scharfem Tadel völlig verzieh. Er hatte freilich
gewissermaßen viele Ohren zugleich offen: der beständige reichliche Verkehr mit
mannigfachen Menschen brachte ihm vielerlei Kunde zu, und hie und da ver¬
schmähte er es auch durchaus nicht, etwas durch jene Freigelassenen auszukund-
schaften, zum Beispiel die Dvzentenqualitäten eines neuen oder eines erst zu
berufenden Universitätslehrers. (Daß gerade bei solchen Ernennungen seine
scheinbare Willkür doch keinen Übeln Untergrund von Sachverständnis hatte,
ist übrigens hinterher meist anerkannt worden.)

Im ganzen legte er eine ziemlich geringe Schätzung der durchschnittlichen
Menschen unverhüllt an den Tag, und es war zu versteh», wie er dazu ge¬
kommen sei. Schon in frühen Mannesjahren (in den siebziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts, die für ihn die dreißiger Lebensjahre waren) nahm er
eine einflußreiche Stellung im reichsländischen Ministerium zu Straßburg ein,
um mit den achtziger Jahren in die sehr bedeutende eines Referenten für das
Universitätswesen im preußischen Kultusministerium zu Berlin überzugehn; seit
1897 war er dann Direktor der Abteilungen für Universitäten und sonstige
Hochschulen und Institute der Wissenschaft und Kunst und ebenso für das
gesamte höhere Schulwesen. Wer um einer Stätte mit solchen Vollmachten
steht, dem kommen die Menschen vielfach just mit ihren kleinern Seiten zu
Gesicht, und so hoch er die zweifellos großen Vertreter der Wissenschaft per¬
sönlich ehrte, so hatte er doch den Glauben an die Unantastbarkeit der Fakultäten
nicht, den diese für sich beanspruchten. Von dieser Seite sind denn auch be¬
sonders starke Anklagen gegen ihn gerichtet worden, und mindestens durch
übergroße Unbefangenheit der Sprache hatte er selbst sie hervorgerufen.

Der Ton auf den Höhen der Amtsgewalt ist überhaupt viel häustger. als
man denkt, ein höchst natürlicher, unverblümter, auch volkstümlich derber; auf
mittlern Stufen überwacht und spreizt man sich weit mehr (um immer die


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[0115] Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor daß er mit der Wucht oder Starrheit seines Wollens ebenso wie mit der Labilität seiner Stimmungen oft andern Unrecht tat, wie ihm denn schroff übertreibende, maßlose, geringschätzige Urteile über andre Personen leicht genug in den Mund kamen, die er auch in merkwürdiger Unbekümmertheit da äußerte, wo er auf Diskretion zu zählen keineswegs das Recht hatte. Freilich waren es immer nur Übertreibungen; seine Menschenkenntnis und die Raschheit und Sicherheit des Durchschauens neuer Menschen war vielleicht das Erstaunlichste an ihm. Er faßte auch hier aus dem Gewirre der Eindrücke die wichtigsten Charakterzüge mit größter Bestimmtheit auf, und oft wurde von seiner Umgebung erst nach vielen Jahren die Nichtigkeit eines Urteils erkannt, nachdem man es bis dahin für willkürlich gehalten hatte. Ob das Verhalten eines Menschen im letzten Grunde von kleinen und persönlichen Interessen reguliert wurde oder vou anständigen, edeln Tendenzen, das namentlich unter¬ schied er mit großer Sicherheit. Und er vergaß bezeichnende Züge niemals, während er auch positive Verfehlungen einer anständigen Natur nach einmaligen! bestimmtem und vielleicht sehr scharfem Tadel völlig verzieh. Er hatte freilich gewissermaßen viele Ohren zugleich offen: der beständige reichliche Verkehr mit mannigfachen Menschen brachte ihm vielerlei Kunde zu, und hie und da ver¬ schmähte er es auch durchaus nicht, etwas durch jene Freigelassenen auszukund- schaften, zum Beispiel die Dvzentenqualitäten eines neuen oder eines erst zu berufenden Universitätslehrers. (Daß gerade bei solchen Ernennungen seine scheinbare Willkür doch keinen Übeln Untergrund von Sachverständnis hatte, ist übrigens hinterher meist anerkannt worden.) Im ganzen legte er eine ziemlich geringe Schätzung der durchschnittlichen Menschen unverhüllt an den Tag, und es war zu versteh», wie er dazu ge¬ kommen sei. Schon in frühen Mannesjahren (in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, die für ihn die dreißiger Lebensjahre waren) nahm er eine einflußreiche Stellung im reichsländischen Ministerium zu Straßburg ein, um mit den achtziger Jahren in die sehr bedeutende eines Referenten für das Universitätswesen im preußischen Kultusministerium zu Berlin überzugehn; seit 1897 war er dann Direktor der Abteilungen für Universitäten und sonstige Hochschulen und Institute der Wissenschaft und Kunst und ebenso für das gesamte höhere Schulwesen. Wer um einer Stätte mit solchen Vollmachten steht, dem kommen die Menschen vielfach just mit ihren kleinern Seiten zu Gesicht, und so hoch er die zweifellos großen Vertreter der Wissenschaft per¬ sönlich ehrte, so hatte er doch den Glauben an die Unantastbarkeit der Fakultäten nicht, den diese für sich beanspruchten. Von dieser Seite sind denn auch be¬ sonders starke Anklagen gegen ihn gerichtet worden, und mindestens durch übergroße Unbefangenheit der Sprache hatte er selbst sie hervorgerufen. Der Ton auf den Höhen der Amtsgewalt ist überhaupt viel häustger. als man denkt, ein höchst natürlicher, unverblümter, auch volkstümlich derber; auf mittlern Stufen überwacht und spreizt man sich weit mehr (um immer die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/115>, abgerufen am 24.07.2024.