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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor

Unterdrückung der akademischen Freiheit, bald Landtagsabgeordnetc wegen eines
ans seiner Rede vernommnen geringschätzigen Tones, bald ein andrer Stand
wegen eines an ihn gerichteten Spottworts, bald erklärte man ihn für einen
allzu geschickten Schauspieler und bald für einen krankhaften Plänemacher, und
sehr vielfach sah man in ihm den großen Bureaukraten, der eine Genugtuung
darin finde, von seinem Amtszimmer aus möglichst weit in die Welt hinein
Herrschaft zu üben, der die Menschen nur als Räder in der großen Maschine
arbeiten lasse, der aus seinen Amtsrcchten möglichst viel Befriedigung seines
Selbstgefühls ziehen wolle. Dabei wirkte denn außerhalb Preußens und selbst
in den neuern preußischen Landesteilen das bekannte Mißtrauen gegen den
starren Geist des echten Preußentums, und dort gerade glaubte man vielfach
gegen Althoff (von dem man nach und nach ja überall in Deutschland sprach)
als den wahren Vertreter des Berliner Bureaukratismus die immer leicht ent¬
zündliche Mißstimmung äußern zu dürfen.

In diesem Punkte nun deckte sich der Irrtum sehr leicht für alle auf,
die wirklich den Mann kennen lernten. Im ganzen aber bedürfte es wirklich
einer längern Zeit, um all das Einzelne und Ungewöhnliche in den Lcbens-
üußerungen dieser Persönlichkeit einigermaßen in seinem wahren Zusammen¬
hang zu sehen. Die Näherstehenden waren ungefähr dahin gelangt, als
sich Althoffs Berufstätigkeit ihrem Ende näherte; und als in der ersten Zeit
nach seinem Tode schon gewöhnliches und natürliches Gefühl dazu trieb, nun
vor allem das Wertvolle in der Natur und dem Leben des Geschiednen sich
und andern ins Bewußtsein zu rufen, da haben die Stimmen von hohem
Klang, die damals zu seiner Würdigung laut wurden, wirklich alle die Zweifel
und Bedenken übertönt, die solange durch die Luft geschwirrt waren. In
einer etwas größern Entfernung von jenem eindrucksvoller Zeitpunkt liegt es
nahe, doch auch die störenden Linien in dem Bilde wieder mit anzuschauen
und überhaupt eine vollständigere Rekonstruktion zu versuchen. Es gilt also,
das bisher Gesagte etwas weiter zu spinnen.

Den Bewohnern der östlichen Teile Preußens und der Hauptstadt ins¬
besondre gilt die rheinische Landschaft -- die man hier übrigens merkwürdig
wenig zu kennen pflegt -- leicht als die Heimat einer bequemen Formlosig¬
keit des Auftretens, und als die Wirkung seiner niederrheinischen Abstammung
betrachtete man Althoffs lässige Art, sich zu geben; auch gab seine derbe
Körperlichkeit und das meist ungepflegte Äußere zu der Auffassung Anlaß, daß
eine bäuerliche Herkunft ihre unüberwundnen Spuren zeige. Aber Althoffs
Vater, den er im Knabenalter verlor, war Königlicher Domänenrat und seine
Mutter, der seine Erziehung nun im wesentlichen oblag, die Tochter eines
höhern Beamten von Adel. Er selbst war exemplarischer Bonner Korps¬
student und jahrelang sogar Senior zu einer Zeit, wo feine Form schon ein
großes Anliegen dieser Korps geworden war, und er war der besten Form
mit aller Sicherheit mächtig, sobald er sich eben darin bewegen wollte.


Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor

Unterdrückung der akademischen Freiheit, bald Landtagsabgeordnetc wegen eines
ans seiner Rede vernommnen geringschätzigen Tones, bald ein andrer Stand
wegen eines an ihn gerichteten Spottworts, bald erklärte man ihn für einen
allzu geschickten Schauspieler und bald für einen krankhaften Plänemacher, und
sehr vielfach sah man in ihm den großen Bureaukraten, der eine Genugtuung
darin finde, von seinem Amtszimmer aus möglichst weit in die Welt hinein
Herrschaft zu üben, der die Menschen nur als Räder in der großen Maschine
arbeiten lasse, der aus seinen Amtsrcchten möglichst viel Befriedigung seines
Selbstgefühls ziehen wolle. Dabei wirkte denn außerhalb Preußens und selbst
in den neuern preußischen Landesteilen das bekannte Mißtrauen gegen den
starren Geist des echten Preußentums, und dort gerade glaubte man vielfach
gegen Althoff (von dem man nach und nach ja überall in Deutschland sprach)
als den wahren Vertreter des Berliner Bureaukratismus die immer leicht ent¬
zündliche Mißstimmung äußern zu dürfen.

In diesem Punkte nun deckte sich der Irrtum sehr leicht für alle auf,
die wirklich den Mann kennen lernten. Im ganzen aber bedürfte es wirklich
einer längern Zeit, um all das Einzelne und Ungewöhnliche in den Lcbens-
üußerungen dieser Persönlichkeit einigermaßen in seinem wahren Zusammen¬
hang zu sehen. Die Näherstehenden waren ungefähr dahin gelangt, als
sich Althoffs Berufstätigkeit ihrem Ende näherte; und als in der ersten Zeit
nach seinem Tode schon gewöhnliches und natürliches Gefühl dazu trieb, nun
vor allem das Wertvolle in der Natur und dem Leben des Geschiednen sich
und andern ins Bewußtsein zu rufen, da haben die Stimmen von hohem
Klang, die damals zu seiner Würdigung laut wurden, wirklich alle die Zweifel
und Bedenken übertönt, die solange durch die Luft geschwirrt waren. In
einer etwas größern Entfernung von jenem eindrucksvoller Zeitpunkt liegt es
nahe, doch auch die störenden Linien in dem Bilde wieder mit anzuschauen
und überhaupt eine vollständigere Rekonstruktion zu versuchen. Es gilt also,
das bisher Gesagte etwas weiter zu spinnen.

Den Bewohnern der östlichen Teile Preußens und der Hauptstadt ins¬
besondre gilt die rheinische Landschaft — die man hier übrigens merkwürdig
wenig zu kennen pflegt — leicht als die Heimat einer bequemen Formlosig¬
keit des Auftretens, und als die Wirkung seiner niederrheinischen Abstammung
betrachtete man Althoffs lässige Art, sich zu geben; auch gab seine derbe
Körperlichkeit und das meist ungepflegte Äußere zu der Auffassung Anlaß, daß
eine bäuerliche Herkunft ihre unüberwundnen Spuren zeige. Aber Althoffs
Vater, den er im Knabenalter verlor, war Königlicher Domänenrat und seine
Mutter, der seine Erziehung nun im wesentlichen oblag, die Tochter eines
höhern Beamten von Adel. Er selbst war exemplarischer Bonner Korps¬
student und jahrelang sogar Senior zu einer Zeit, wo feine Form schon ein
großes Anliegen dieser Korps geworden war, und er war der besten Form
mit aller Sicherheit mächtig, sobald er sich eben darin bewegen wollte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/108>, abgerufen am 24.07.2024.