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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor

ebensowohl können es auch Personen von sprudelnder Lebendigkeit, von immer
neu quellender Originalität sein, solche, die im glücklichen Bewußtsein ihrer
innern Unabhängigkeit und Kraft vielleicht ein etwas übermütiges Spiel mit
den ihnen gegenübertretenden Menschen nicht scheuen -- um von denen abzu¬
sehen, die um jeden Preis originell zu erscheinen wünschen und damit eine
Bedeutung darzutun suchen, die sie eigentlich nicht haben. Diese Pflegen
übrigens bald erkannt zu werden und dann kein Staunen mehr zu wecken.

Jene Freude am Verblüffen lag dem sehr eigentümlichen Manne, über
den die Urteile wie über wenige Zeitgenossen auseinandergingen, dem am
20. Oktober 1908 gestorbnen preußischen Ministerialdirektor Friedrich Althoff,
in der Tat nicht fern, und jedenfalls hat er diese Wirkung unendlich oft
hervorgebracht. Aber doch war das Überraschende bei ihm kaum je etwas
Gemachtes: er gab sich mit Behagen so, wie es ihm im Augenblick zu Sinne
kam, und lieh dem Ausdruck seiner Stimmung gern ein exzentrisches Maß.
Ein Spiel aber war es für ihn selbst doch nur insofern, als er sich im
Innersten einer durchaus ernsten Auffassung der Lebens- und Berufsaufgabe
bewußt blieb. Die große Stetigkeit dieser innern Willensrichtung und die
ruhelose, schaukelnde, schäumende Beweglichkeit der Oberflüche: das war es,
was sich als seine seltsame Eigenart zunächst feststellen ließ und was un¬
möglich jeder Beliebige alsbald bei ihm erfassen konnte. Diese Ruhelosigkeit
mit allen ihren verschiedenartigen Äußerungen war auch das Nächste, was
denen unbequem wurde, die in seinen Bannkreis traten. Oft unendlich un¬
bequem! Wenig Vorgesetzte werden ihren Untergebnen so viele Seufzer aus¬
gepreßt haben, und manchem mag es oft zumute gewesen sein, als wenn sich
ein Berg von seiner Brust hinwegwälzen werde an dem Tage, wo Althoff
seinen Bureaus den Rücken kehren wolle, um in den Ruhestand oder in eine
andre Amtssphäre überzugehn.

Er selbst war fast immer bis zum Rande voll Ungeduld und stellte doch
die Geduld seiner Mitarbeiter unaufhörlich auf schwere Proben. Er sagte
Konferenzen auf bestimmte Stunden an und erschien selber erst (freilich nicht
aus Bequemlichkeit) zu einer viel spätern Zeit. Er bat zur Besprechung
Personen -- übrigens auf die höflichste Weise -- zu sich, wiederum für eine
ganz bestimmte Stunde, und ließ sie dann endlos lange im Wartezimmer
harren; und die Tatsache, daß bekanntlich dem Wartenden alle Übeln Eigen¬
schaften dessen einfallen, der ihm das, Warten zumutet, daß sich dabei all¬
mählich eine dem wirklichen Hasse nahekommende Stimmung bildet, schien den
Ministerialdirektor niemals anzufechten. Gewöhnlich hatte er auch teils durch
eine scherzende Begrüßung und Einleitung, teils durch Ernst, Bestimmtheit
und Scharfsinn gleich zu Beginn der Verhandlung den Unmut seines Opfers
nach wenig Minuten zerstreut. Von der Langeweile bleibt ja keine Nach¬
wirkung, wohl aber von der Berührung mit einer bedeutenden Persönlichkeit.
Er hatte die -- man sagte wohl "Manie", sich beständig über alle möglichen


Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor

ebensowohl können es auch Personen von sprudelnder Lebendigkeit, von immer
neu quellender Originalität sein, solche, die im glücklichen Bewußtsein ihrer
innern Unabhängigkeit und Kraft vielleicht ein etwas übermütiges Spiel mit
den ihnen gegenübertretenden Menschen nicht scheuen — um von denen abzu¬
sehen, die um jeden Preis originell zu erscheinen wünschen und damit eine
Bedeutung darzutun suchen, die sie eigentlich nicht haben. Diese Pflegen
übrigens bald erkannt zu werden und dann kein Staunen mehr zu wecken.

Jene Freude am Verblüffen lag dem sehr eigentümlichen Manne, über
den die Urteile wie über wenige Zeitgenossen auseinandergingen, dem am
20. Oktober 1908 gestorbnen preußischen Ministerialdirektor Friedrich Althoff,
in der Tat nicht fern, und jedenfalls hat er diese Wirkung unendlich oft
hervorgebracht. Aber doch war das Überraschende bei ihm kaum je etwas
Gemachtes: er gab sich mit Behagen so, wie es ihm im Augenblick zu Sinne
kam, und lieh dem Ausdruck seiner Stimmung gern ein exzentrisches Maß.
Ein Spiel aber war es für ihn selbst doch nur insofern, als er sich im
Innersten einer durchaus ernsten Auffassung der Lebens- und Berufsaufgabe
bewußt blieb. Die große Stetigkeit dieser innern Willensrichtung und die
ruhelose, schaukelnde, schäumende Beweglichkeit der Oberflüche: das war es,
was sich als seine seltsame Eigenart zunächst feststellen ließ und was un¬
möglich jeder Beliebige alsbald bei ihm erfassen konnte. Diese Ruhelosigkeit
mit allen ihren verschiedenartigen Äußerungen war auch das Nächste, was
denen unbequem wurde, die in seinen Bannkreis traten. Oft unendlich un¬
bequem! Wenig Vorgesetzte werden ihren Untergebnen so viele Seufzer aus¬
gepreßt haben, und manchem mag es oft zumute gewesen sein, als wenn sich
ein Berg von seiner Brust hinwegwälzen werde an dem Tage, wo Althoff
seinen Bureaus den Rücken kehren wolle, um in den Ruhestand oder in eine
andre Amtssphäre überzugehn.

Er selbst war fast immer bis zum Rande voll Ungeduld und stellte doch
die Geduld seiner Mitarbeiter unaufhörlich auf schwere Proben. Er sagte
Konferenzen auf bestimmte Stunden an und erschien selber erst (freilich nicht
aus Bequemlichkeit) zu einer viel spätern Zeit. Er bat zur Besprechung
Personen — übrigens auf die höflichste Weise — zu sich, wiederum für eine
ganz bestimmte Stunde, und ließ sie dann endlos lange im Wartezimmer
harren; und die Tatsache, daß bekanntlich dem Wartenden alle Übeln Eigen¬
schaften dessen einfallen, der ihm das, Warten zumutet, daß sich dabei all¬
mählich eine dem wirklichen Hasse nahekommende Stimmung bildet, schien den
Ministerialdirektor niemals anzufechten. Gewöhnlich hatte er auch teils durch
eine scherzende Begrüßung und Einleitung, teils durch Ernst, Bestimmtheit
und Scharfsinn gleich zu Beginn der Verhandlung den Unmut seines Opfers
nach wenig Minuten zerstreut. Von der Langeweile bleibt ja keine Nach¬
wirkung, wohl aber von der Berührung mit einer bedeutenden Persönlichkeit.
Er hatte die — man sagte wohl „Manie", sich beständig über alle möglichen


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[0106] Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor ebensowohl können es auch Personen von sprudelnder Lebendigkeit, von immer neu quellender Originalität sein, solche, die im glücklichen Bewußtsein ihrer innern Unabhängigkeit und Kraft vielleicht ein etwas übermütiges Spiel mit den ihnen gegenübertretenden Menschen nicht scheuen — um von denen abzu¬ sehen, die um jeden Preis originell zu erscheinen wünschen und damit eine Bedeutung darzutun suchen, die sie eigentlich nicht haben. Diese Pflegen übrigens bald erkannt zu werden und dann kein Staunen mehr zu wecken. Jene Freude am Verblüffen lag dem sehr eigentümlichen Manne, über den die Urteile wie über wenige Zeitgenossen auseinandergingen, dem am 20. Oktober 1908 gestorbnen preußischen Ministerialdirektor Friedrich Althoff, in der Tat nicht fern, und jedenfalls hat er diese Wirkung unendlich oft hervorgebracht. Aber doch war das Überraschende bei ihm kaum je etwas Gemachtes: er gab sich mit Behagen so, wie es ihm im Augenblick zu Sinne kam, und lieh dem Ausdruck seiner Stimmung gern ein exzentrisches Maß. Ein Spiel aber war es für ihn selbst doch nur insofern, als er sich im Innersten einer durchaus ernsten Auffassung der Lebens- und Berufsaufgabe bewußt blieb. Die große Stetigkeit dieser innern Willensrichtung und die ruhelose, schaukelnde, schäumende Beweglichkeit der Oberflüche: das war es, was sich als seine seltsame Eigenart zunächst feststellen ließ und was un¬ möglich jeder Beliebige alsbald bei ihm erfassen konnte. Diese Ruhelosigkeit mit allen ihren verschiedenartigen Äußerungen war auch das Nächste, was denen unbequem wurde, die in seinen Bannkreis traten. Oft unendlich un¬ bequem! Wenig Vorgesetzte werden ihren Untergebnen so viele Seufzer aus¬ gepreßt haben, und manchem mag es oft zumute gewesen sein, als wenn sich ein Berg von seiner Brust hinwegwälzen werde an dem Tage, wo Althoff seinen Bureaus den Rücken kehren wolle, um in den Ruhestand oder in eine andre Amtssphäre überzugehn. Er selbst war fast immer bis zum Rande voll Ungeduld und stellte doch die Geduld seiner Mitarbeiter unaufhörlich auf schwere Proben. Er sagte Konferenzen auf bestimmte Stunden an und erschien selber erst (freilich nicht aus Bequemlichkeit) zu einer viel spätern Zeit. Er bat zur Besprechung Personen — übrigens auf die höflichste Weise — zu sich, wiederum für eine ganz bestimmte Stunde, und ließ sie dann endlos lange im Wartezimmer harren; und die Tatsache, daß bekanntlich dem Wartenden alle Übeln Eigen¬ schaften dessen einfallen, der ihm das, Warten zumutet, daß sich dabei all¬ mählich eine dem wirklichen Hasse nahekommende Stimmung bildet, schien den Ministerialdirektor niemals anzufechten. Gewöhnlich hatte er auch teils durch eine scherzende Begrüßung und Einleitung, teils durch Ernst, Bestimmtheit und Scharfsinn gleich zu Beginn der Verhandlung den Unmut seines Opfers nach wenig Minuten zerstreut. Von der Langeweile bleibt ja keine Nach¬ wirkung, wohl aber von der Berührung mit einer bedeutenden Persönlichkeit. Er hatte die — man sagte wohl „Manie", sich beständig über alle möglichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/106>, abgerufen am 24.07.2024.