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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Der rote Hahn

So, sachte, sagte der Assessor. Wir wollen sie zu einem Stuhl bringen.
Jeusen muß wohl kommen. Die Sache hier war hart, aber, was Satan, sie wollte
ja nicht mit der Wahrheit heraus. Jetzt, passen Sie auf, jetzt ist es vorbei. .

Der Assessor und der Kriminalkommissar trugen das bewußtlose Mädchen zu
einem Stuhl. Die Tür ging auf, und der Gefängnisausseher trat ein, begleitet von
dem Schutzmann Jemen.

Rufen Sie Ihre Frau. Mortensen, sagte der Assessor, dies hier ist Weiberarbeit.'

Jnger war ohnmächtig. ^ '

Nehmen Sie bloß das Protokoll weg, sagte der Assessor. Es steht nichts darin.
Ich habe auf einem losen Blatt Papier geschrieben. Das arme Mädelchen hat es
nicht begangen; aber es war ja nichts mit ihr anzustellen, also mußte ich zum groben
Geschütz meine Zuflucht nehmen. Es ist ein Nervcnchok, aber sie ist ja frisch
und gesund. - ^ > - ^. -.^ ^v,^ ^->n^

Jnger regte sich.....

Der Assessor winkte den andern zu gehen. Er selbst blieb vor Jnger stehen,
die eine Bewegung machte und die Augen aufschlug. Sie sah sich verwirrt um.

Ich will nach Hause, sagte sie, lassen Sie mich nach Hause. Dann brach sie
in Weinen aus.

Der Assessor trat näher.

,Rühren Sie mich nicht an -- hören Sie -- gehen Sie, sagte sie, ich will
nach Hause! Ich habe es nicht getan. ' /

Der Assessor blickte sie an, freundlich lächelnd, dann schüttelte er den Kopf
und sagte: Ja, Kletn-Jnger, es tut Ihnen not, nach Hause zu kommen; aber Sie
hätten nie hierher kommen sollen. Das ist kein Ort sür Sie..

Und Vater? sagte sie mit gebrochner Stimme.

Wenn Sie ruhig nach Hause fahren und alles vergessen, was Sie hier gesagt
haben, dann warte ich -- verstehen Sie, ich warte.

Jnger weinte. Der Assessor wandte sich zum Aufseher. Wollen Sie so gut
sein und nach Fräulein Petersen schicken und sie bitten, hierherzukommen und Fräulein
Hilmer abzuholen?

Der Aufseher starrte den Assessor an. ^

Schutzmann Imsen sagte, das Fräulein sollte in Arrest.

Nein, das soll sie nicht -- sie hat nichts begangen -- gar nichts. Und Un¬
schuldige verhaftet man nicht. "

Jnger schwieg, sie bebte leicht.

Sie waren auf einem ganz falschen Wege, Klein-Jnger, sagte der Assessor, in
demselben freundlichen, fast traurigen Ton. Um so etwas auf sich zu nehmen, genügt
es nicht, daß man sagt, man hat es getan, man muß es auch getan haben. Diese
Szene hat mir sehr leid getan, aber Sie werden gesehen haben, daß ich meine
Pflicht, und nur meine Pflicht tue, das können Sie Ihrem Vater sagen.

Damit ging der Assessor. > ,

Der Schutzmann sagte nichts. Dann kam des Aufsehers Frau, und Jnger ging
mit ihr in die Wohnung des Aufsehers hinab. Dort bekam sie ein wenig Kaffee
zur Stärkung, während man nach Muhme Rilke schickte.

(Fortsetzung folgt) '




Der rote Hahn

So, sachte, sagte der Assessor. Wir wollen sie zu einem Stuhl bringen.
Jeusen muß wohl kommen. Die Sache hier war hart, aber, was Satan, sie wollte
ja nicht mit der Wahrheit heraus. Jetzt, passen Sie auf, jetzt ist es vorbei. .

Der Assessor und der Kriminalkommissar trugen das bewußtlose Mädchen zu
einem Stuhl. Die Tür ging auf, und der Gefängnisausseher trat ein, begleitet von
dem Schutzmann Jemen.

Rufen Sie Ihre Frau. Mortensen, sagte der Assessor, dies hier ist Weiberarbeit.'

Jnger war ohnmächtig. ^ '

Nehmen Sie bloß das Protokoll weg, sagte der Assessor. Es steht nichts darin.
Ich habe auf einem losen Blatt Papier geschrieben. Das arme Mädelchen hat es
nicht begangen; aber es war ja nichts mit ihr anzustellen, also mußte ich zum groben
Geschütz meine Zuflucht nehmen. Es ist ein Nervcnchok, aber sie ist ja frisch
und gesund. - ^ > - ^. -.^ ^v,^ ^->n^

Jnger regte sich.....

Der Assessor winkte den andern zu gehen. Er selbst blieb vor Jnger stehen,
die eine Bewegung machte und die Augen aufschlug. Sie sah sich verwirrt um.

Ich will nach Hause, sagte sie, lassen Sie mich nach Hause. Dann brach sie
in Weinen aus.

Der Assessor trat näher.

,Rühren Sie mich nicht an — hören Sie — gehen Sie, sagte sie, ich will
nach Hause! Ich habe es nicht getan. ' /

Der Assessor blickte sie an, freundlich lächelnd, dann schüttelte er den Kopf
und sagte: Ja, Kletn-Jnger, es tut Ihnen not, nach Hause zu kommen; aber Sie
hätten nie hierher kommen sollen. Das ist kein Ort sür Sie..

Und Vater? sagte sie mit gebrochner Stimme.

Wenn Sie ruhig nach Hause fahren und alles vergessen, was Sie hier gesagt
haben, dann warte ich — verstehen Sie, ich warte.

Jnger weinte. Der Assessor wandte sich zum Aufseher. Wollen Sie so gut
sein und nach Fräulein Petersen schicken und sie bitten, hierherzukommen und Fräulein
Hilmer abzuholen?

Der Aufseher starrte den Assessor an. ^

Schutzmann Imsen sagte, das Fräulein sollte in Arrest.

Nein, das soll sie nicht — sie hat nichts begangen — gar nichts. Und Un¬
schuldige verhaftet man nicht. „

Jnger schwieg, sie bebte leicht.

Sie waren auf einem ganz falschen Wege, Klein-Jnger, sagte der Assessor, in
demselben freundlichen, fast traurigen Ton. Um so etwas auf sich zu nehmen, genügt
es nicht, daß man sagt, man hat es getan, man muß es auch getan haben. Diese
Szene hat mir sehr leid getan, aber Sie werden gesehen haben, daß ich meine
Pflicht, und nur meine Pflicht tue, das können Sie Ihrem Vater sagen.

Damit ging der Assessor. > ,

Der Schutzmann sagte nichts. Dann kam des Aufsehers Frau, und Jnger ging
mit ihr in die Wohnung des Aufsehers hinab. Dort bekam sie ein wenig Kaffee
zur Stärkung, während man nach Muhme Rilke schickte.

(Fortsetzung folgt) '




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[0100] Der rote Hahn So, sachte, sagte der Assessor. Wir wollen sie zu einem Stuhl bringen. Jeusen muß wohl kommen. Die Sache hier war hart, aber, was Satan, sie wollte ja nicht mit der Wahrheit heraus. Jetzt, passen Sie auf, jetzt ist es vorbei. . Der Assessor und der Kriminalkommissar trugen das bewußtlose Mädchen zu einem Stuhl. Die Tür ging auf, und der Gefängnisausseher trat ein, begleitet von dem Schutzmann Jemen. Rufen Sie Ihre Frau. Mortensen, sagte der Assessor, dies hier ist Weiberarbeit.' Jnger war ohnmächtig. ^ ' Nehmen Sie bloß das Protokoll weg, sagte der Assessor. Es steht nichts darin. Ich habe auf einem losen Blatt Papier geschrieben. Das arme Mädelchen hat es nicht begangen; aber es war ja nichts mit ihr anzustellen, also mußte ich zum groben Geschütz meine Zuflucht nehmen. Es ist ein Nervcnchok, aber sie ist ja frisch und gesund. - ^ > - ^. -.^ ^v,^ ^->n^ Jnger regte sich..... Der Assessor winkte den andern zu gehen. Er selbst blieb vor Jnger stehen, die eine Bewegung machte und die Augen aufschlug. Sie sah sich verwirrt um. Ich will nach Hause, sagte sie, lassen Sie mich nach Hause. Dann brach sie in Weinen aus. Der Assessor trat näher. ,Rühren Sie mich nicht an — hören Sie — gehen Sie, sagte sie, ich will nach Hause! Ich habe es nicht getan. ' / Der Assessor blickte sie an, freundlich lächelnd, dann schüttelte er den Kopf und sagte: Ja, Kletn-Jnger, es tut Ihnen not, nach Hause zu kommen; aber Sie hätten nie hierher kommen sollen. Das ist kein Ort sür Sie.. Und Vater? sagte sie mit gebrochner Stimme. Wenn Sie ruhig nach Hause fahren und alles vergessen, was Sie hier gesagt haben, dann warte ich — verstehen Sie, ich warte. Jnger weinte. Der Assessor wandte sich zum Aufseher. Wollen Sie so gut sein und nach Fräulein Petersen schicken und sie bitten, hierherzukommen und Fräulein Hilmer abzuholen? Der Aufseher starrte den Assessor an. ^ Schutzmann Imsen sagte, das Fräulein sollte in Arrest. Nein, das soll sie nicht — sie hat nichts begangen — gar nichts. Und Un¬ schuldige verhaftet man nicht. „ Jnger schwieg, sie bebte leicht. Sie waren auf einem ganz falschen Wege, Klein-Jnger, sagte der Assessor, in demselben freundlichen, fast traurigen Ton. Um so etwas auf sich zu nehmen, genügt es nicht, daß man sagt, man hat es getan, man muß es auch getan haben. Diese Szene hat mir sehr leid getan, aber Sie werden gesehen haben, daß ich meine Pflicht, und nur meine Pflicht tue, das können Sie Ihrem Vater sagen. Damit ging der Assessor. > , Der Schutzmann sagte nichts. Dann kam des Aufsehers Frau, und Jnger ging mit ihr in die Wohnung des Aufsehers hinab. Dort bekam sie ein wenig Kaffee zur Stärkung, während man nach Muhme Rilke schickte. (Fortsetzung folgt) '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/100>, abgerufen am 24.07.2024.