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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Wilhelm Gngelmann, ein deutscher Forscher

Persönlichkeit liegen. Ihm waren die psychischen Qualitäten, die Ideen, die
Ideale das Bindeglied mit den Persönlichkeiten, die vordem gelebt hatten;
daher sein historischer Sinn, seine Hochachtung und Liebe für frühere Forscher,
die gleich ihm nach Erkenntnis und Wahrheit gesucht hatten, und daher
auch seine Religiosität, sein ehrfurchtsvolles Erfassen des Unendlichen, offenbar
ein Erbteil seiner Mutter, einer Tochter des Leipziger Historikers Fr. Chr.
A. Hasse, zu der er zeitlebens, auch nachdem er längst ein berühmter Mann
geworden war, mit der höchsten Verehrung emporschaute.

In dieser besondern Stellung, die er zum Ablauf der Dinge, zur Natur,
zum Weltganzen einnahm, lagen die Wurzeln des Zaubers seiner Persönlich¬
keit, dem sich kaum einer entzog. Jeder fühlte die abgeklärte Erhabenheit
seines Standpunkts, von dem aus er allen mit freundlichem Verständnis ent¬
gegenkam, und jeder empfand es als ein Glück, sich wenigstens für eine Weile
an diesen so sicher gegründeten Geist anlehnen zu dürfen. Und diese innere
Sicherheit und Ruhe kam in gleicher Weise in der klassischen Vollendung
seiner Arbeiten, insbesondre in den wundervollen Gedächtnisreden ans Helm-
holtz und Du Bois-Reymond oder in dem meisterhaften Vortrag in der
Kaiser Wilhelms-Akademie über das Herz zum Ausdruck, wie in einer natür¬
lichen, herzlichen Liebenswürdigkeit; auch feiner, goldner Humor fehlte ihm
nicht, um so weniger, je höher die Warte war, von der aus er Personen
und Ereignisse betrachtete und einschätzte. So sehr entsprachen gerade diese
Eigenschaften dem innersten Kern seines Wesens, daß sie sich unvermindert
bis zu seiner Todesstunde erhielten, nachdem längst ein langsames Siechtum
Blüte um Blüte von diesem reichen Geiste gebrochen hatte.

Es leuchtet ein, daß ein solcher Mann weit über die Spezialistengrößen
hinausragte. Seine universelle Bildung. die ihn zu einem wahren Mitglied
und Träger der Universitäten machte, löste universelle Interessen aus, und so
lebte er nach den verschiedensten Seiten hin in freundschaftlichen Beziehungen.
Nicht bloß mit der Mehrzahl seiner engern Fachkollegen im In- und Aus¬
lande stand er dauernd in Verkehr und Gedankenaustausch, sondern auch und
Männern der praktische" Medizin, wie Joseph Lister, William Bowmann,
James Pagel, Bouchard, Chauveau, Horsley, oder mit Physikern vom Range
eines Lord Kelvin und H. v. Helmholtz, dem er am 28. September 1894 in
Utrecht einen berühmt gewordnen Nachruf weihte; und der Anerkennungen
und Auszeichnungen, die ihm von L. Pasteur zuteil wurden, freute er sich
um so mehr, je zurückhaltender dieser Mann gerade den Deutschen gegenüber
zu sein pflegte. Aber den Höhepunkt seines Lebens bedeutete für ihn immer
wieder die Freundschaft, die ihn mit Donders verband. Bis zum letzten
Augenblick wirkte der Name dieses Forschers, in dem er nicht bloß seinen
Schwiegervater, sondern das ursprüngliche Genie verehrte, geradezu elektrisierend
auf ihn.

Mit Helmholtz teilte er den künstlerischen Sinn. Die Enge des Laborato¬
riums hat niemals seinen Blick eingeengt. Für die erhabne Schönheit der


Theodor Wilhelm Gngelmann, ein deutscher Forscher

Persönlichkeit liegen. Ihm waren die psychischen Qualitäten, die Ideen, die
Ideale das Bindeglied mit den Persönlichkeiten, die vordem gelebt hatten;
daher sein historischer Sinn, seine Hochachtung und Liebe für frühere Forscher,
die gleich ihm nach Erkenntnis und Wahrheit gesucht hatten, und daher
auch seine Religiosität, sein ehrfurchtsvolles Erfassen des Unendlichen, offenbar
ein Erbteil seiner Mutter, einer Tochter des Leipziger Historikers Fr. Chr.
A. Hasse, zu der er zeitlebens, auch nachdem er längst ein berühmter Mann
geworden war, mit der höchsten Verehrung emporschaute.

In dieser besondern Stellung, die er zum Ablauf der Dinge, zur Natur,
zum Weltganzen einnahm, lagen die Wurzeln des Zaubers seiner Persönlich¬
keit, dem sich kaum einer entzog. Jeder fühlte die abgeklärte Erhabenheit
seines Standpunkts, von dem aus er allen mit freundlichem Verständnis ent¬
gegenkam, und jeder empfand es als ein Glück, sich wenigstens für eine Weile
an diesen so sicher gegründeten Geist anlehnen zu dürfen. Und diese innere
Sicherheit und Ruhe kam in gleicher Weise in der klassischen Vollendung
seiner Arbeiten, insbesondre in den wundervollen Gedächtnisreden ans Helm-
holtz und Du Bois-Reymond oder in dem meisterhaften Vortrag in der
Kaiser Wilhelms-Akademie über das Herz zum Ausdruck, wie in einer natür¬
lichen, herzlichen Liebenswürdigkeit; auch feiner, goldner Humor fehlte ihm
nicht, um so weniger, je höher die Warte war, von der aus er Personen
und Ereignisse betrachtete und einschätzte. So sehr entsprachen gerade diese
Eigenschaften dem innersten Kern seines Wesens, daß sie sich unvermindert
bis zu seiner Todesstunde erhielten, nachdem längst ein langsames Siechtum
Blüte um Blüte von diesem reichen Geiste gebrochen hatte.

Es leuchtet ein, daß ein solcher Mann weit über die Spezialistengrößen
hinausragte. Seine universelle Bildung. die ihn zu einem wahren Mitglied
und Träger der Universitäten machte, löste universelle Interessen aus, und so
lebte er nach den verschiedensten Seiten hin in freundschaftlichen Beziehungen.
Nicht bloß mit der Mehrzahl seiner engern Fachkollegen im In- und Aus¬
lande stand er dauernd in Verkehr und Gedankenaustausch, sondern auch und
Männern der praktische» Medizin, wie Joseph Lister, William Bowmann,
James Pagel, Bouchard, Chauveau, Horsley, oder mit Physikern vom Range
eines Lord Kelvin und H. v. Helmholtz, dem er am 28. September 1894 in
Utrecht einen berühmt gewordnen Nachruf weihte; und der Anerkennungen
und Auszeichnungen, die ihm von L. Pasteur zuteil wurden, freute er sich
um so mehr, je zurückhaltender dieser Mann gerade den Deutschen gegenüber
zu sein pflegte. Aber den Höhepunkt seines Lebens bedeutete für ihn immer
wieder die Freundschaft, die ihn mit Donders verband. Bis zum letzten
Augenblick wirkte der Name dieses Forschers, in dem er nicht bloß seinen
Schwiegervater, sondern das ursprüngliche Genie verehrte, geradezu elektrisierend
auf ihn.

Mit Helmholtz teilte er den künstlerischen Sinn. Die Enge des Laborato¬
riums hat niemals seinen Blick eingeengt. Für die erhabne Schönheit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/90>, abgerufen am 25.12.2024.