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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover

aber ich bin ganz untröstlich, Ihnen die Entscheidung meines allergnädigsten
Herrn so schnell denn doch nicht vorlegen zu können. Er sei übrigens, so fuhr
er fort, fest davon überzeugt, daß man über alle Schwierigkeiten, welche die
bedauerliche Divergenz in Auffassung der Regelung der schwebenden Fragen
hervorgerufen habe, noch hinwegkommen und alles sich noch zu beiderseitiger
Befriedigung arrangieren lassen werde." Als ich nun, ohne mich ablenken zu
lassen, sehr ernst auf die Punkt zwölf Uhr ablaufende Frist des in seiner Fassung
keinem Zweifel unterliegenden, in aller Form ihm zugestellten Ultimatums auf¬
merksam machte, da sagte er: "Aber liebste Durchlaucht, ich bitte Sie um alles
in der Welt, sollten Sie es denn wirklich für menschenmöglich halten, daß es
bei den so nahen verwandtschaftlichen Beziehungen unsrer beiderseitigen aller¬
höchsten Herrschaften zu einem Bruche kommen könnte?" Er wollte weiter
sprechen, ich unterbrach ihn jedoch mit dem Hinweise darauf, daß ein solcher
allerdings zu vermeiden sei, jedoch nur bei Bewilligung der preußischen
Forderungen und innerhalb der gestellten Frist. Und diese war, wie ich mich
nach dem Zeiger der Uhren überzeugte, in wenigen Minuten abgelaufen. Auch
er mußte es bemerkt haben, denn er griff sehr schnell nach seinein Hute. Wohl
beherrschte er sich äußerlich durchaus, aber die Enttäuschung, die quälende innere
Unruhe stand ihm doch unverkennbar im Gesicht geschrieben. Daraus war nur
zu schließen, daß er die Entscheidung seines Herrn vielleicht nicht zu erlangen
vermochte und nun gehofft hatte, ob im Auftrage oder in eigner Entschließung,
wer weiß das, eine Fristverlängerung zu erlisten. Kurz, er verließ mit den
Worten: er wolle ungesäumt nach Herrenhausen fahren, es könne sich nur um
ein paar Stunden handeln, das Zimmer und schritt, von mir begleitet, die
Treppe hinunter, der Tür zu. Er fand sie verschlossen. Ungeduldig rüttelte
er an der Klinke; es nutzte nichts, und ich bat ihn, sich bis zum Erscheinen
des Dieners, dem ich nun das verabredete Zeichen gab, gedulden zu wollen.
In nervöser Hast setzte, warf er sich vielmehr auf eine der beiden im Vestibüle
befindlichen eichneu Sitztruhen*) und schien einen letzten Versuch machen zu
wollen, mich von der Sache abzulenken, als ich auch schon die Uhr zog. Es
fehlten nur noch einige Sekunden bis zwölf Uhr. "Herr Graf, redete ich ihn
feierlich an, ich ersuche jetzt um definitiven Bescheid auf die dem hannoverschen
Kabinett heute früh zugestellten Forderungen meiner Negierung." Antwort: "Ich
kann sie Ihnen beim besten Willen noch nicht geben, Durchlaucht, jetzt noch
nicht." "Dann, Herr Graf, und ich wies auf das Zifferblatt meiner Uhr, er¬
kläre ich hiermit im Namen Seiner Majestät des Königs von Preußen
Hannover den Krieg. Die schriftliche Notifikation wird Ihrem Kabinett unver¬
züglich zugestellt werden."

Platen, der beim Beginn meiner Erklärung von seinem Sitze cmfschuellte,
war nun mit einemmale, indem er hoch aufgerichtet nur mit kurzer Neigung



Diese Sitztruhen sind nach dem Ableben des Prinzen am Z, Januar 1883 infolge
dessen letztwilliger Verfügung in meinen Besitz übergegangen.
Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover

aber ich bin ganz untröstlich, Ihnen die Entscheidung meines allergnädigsten
Herrn so schnell denn doch nicht vorlegen zu können. Er sei übrigens, so fuhr
er fort, fest davon überzeugt, daß man über alle Schwierigkeiten, welche die
bedauerliche Divergenz in Auffassung der Regelung der schwebenden Fragen
hervorgerufen habe, noch hinwegkommen und alles sich noch zu beiderseitiger
Befriedigung arrangieren lassen werde.« Als ich nun, ohne mich ablenken zu
lassen, sehr ernst auf die Punkt zwölf Uhr ablaufende Frist des in seiner Fassung
keinem Zweifel unterliegenden, in aller Form ihm zugestellten Ultimatums auf¬
merksam machte, da sagte er: »Aber liebste Durchlaucht, ich bitte Sie um alles
in der Welt, sollten Sie es denn wirklich für menschenmöglich halten, daß es
bei den so nahen verwandtschaftlichen Beziehungen unsrer beiderseitigen aller¬
höchsten Herrschaften zu einem Bruche kommen könnte?« Er wollte weiter
sprechen, ich unterbrach ihn jedoch mit dem Hinweise darauf, daß ein solcher
allerdings zu vermeiden sei, jedoch nur bei Bewilligung der preußischen
Forderungen und innerhalb der gestellten Frist. Und diese war, wie ich mich
nach dem Zeiger der Uhren überzeugte, in wenigen Minuten abgelaufen. Auch
er mußte es bemerkt haben, denn er griff sehr schnell nach seinein Hute. Wohl
beherrschte er sich äußerlich durchaus, aber die Enttäuschung, die quälende innere
Unruhe stand ihm doch unverkennbar im Gesicht geschrieben. Daraus war nur
zu schließen, daß er die Entscheidung seines Herrn vielleicht nicht zu erlangen
vermochte und nun gehofft hatte, ob im Auftrage oder in eigner Entschließung,
wer weiß das, eine Fristverlängerung zu erlisten. Kurz, er verließ mit den
Worten: er wolle ungesäumt nach Herrenhausen fahren, es könne sich nur um
ein paar Stunden handeln, das Zimmer und schritt, von mir begleitet, die
Treppe hinunter, der Tür zu. Er fand sie verschlossen. Ungeduldig rüttelte
er an der Klinke; es nutzte nichts, und ich bat ihn, sich bis zum Erscheinen
des Dieners, dem ich nun das verabredete Zeichen gab, gedulden zu wollen.
In nervöser Hast setzte, warf er sich vielmehr auf eine der beiden im Vestibüle
befindlichen eichneu Sitztruhen*) und schien einen letzten Versuch machen zu
wollen, mich von der Sache abzulenken, als ich auch schon die Uhr zog. Es
fehlten nur noch einige Sekunden bis zwölf Uhr. »Herr Graf, redete ich ihn
feierlich an, ich ersuche jetzt um definitiven Bescheid auf die dem hannoverschen
Kabinett heute früh zugestellten Forderungen meiner Negierung.« Antwort: »Ich
kann sie Ihnen beim besten Willen noch nicht geben, Durchlaucht, jetzt noch
nicht.« »Dann, Herr Graf, und ich wies auf das Zifferblatt meiner Uhr, er¬
kläre ich hiermit im Namen Seiner Majestät des Königs von Preußen
Hannover den Krieg. Die schriftliche Notifikation wird Ihrem Kabinett unver¬
züglich zugestellt werden.«

Platen, der beim Beginn meiner Erklärung von seinem Sitze cmfschuellte,
war nun mit einemmale, indem er hoch aufgerichtet nur mit kurzer Neigung



Diese Sitztruhen sind nach dem Ableben des Prinzen am Z, Januar 1883 infolge
dessen letztwilliger Verfügung in meinen Besitz übergegangen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/84>, abgerufen am 23.07.2024.