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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zur Schicksalsstimde des ehemaligen Königreichs Hannover

schon der greise Generalleutnant von Jacobi gemacht. Alles vergebens. "Als
Christ, Monarch und Welse, erklärte der König, dürfe er anders nicht handeln."

Es hatte also kein menschliches Zutun dem rollenden Schicksalsrade in die
Speichen zu fallen vermocht.

Mit dem EntWurfe der Beantwortung der preußischen Sommation wurde
Graf Platen beauftragt. Aber erst am Abend hat sie in Herrenhausen dem
Könige vorgelegen. Menburg konnte nach allen ihm gewordnen Eindrücken
über den Ausfall der Antwort kaum mehr zweifelhaft sein; auch darüber nicht,
daß sie ihm schnell zugestellt werden würde. "Als sie jedoch, so erzählte der
Prinz, um elf Uhr nachts noch ausstand, wagte ich beinah an eine in letzter
Stunde erfolgte Sinnesänderung des Königs denken zu dürfen, weil ich sie eben
erhoffte. Denn das bevorstehende Schicksal des in allen seinen Mitgliedern
mir stets gütigen Königshauses mußte mir die ernstesten Besorgnisse einflößen.
Blieb also das Ultimatum Punkt zwölf Uhr unbeantwortet, so mußte schon
innerhalb der nächsten Stunde der Krieg erklärt und die Meldung hiervon nach
Berlin abgegangen sein. So verstrich Minute auf Minute, und meine Spannung
wuchs mit dem Fortschreiten der Zeiger aller meiner Uhren und deren
zunehmenden, vielstimmigen Anschlag/') Niemals waren sie so präzise überein¬
stimmend gegangen. Da, es war schon elfeinhalb Uhr durch, hörte ich einen
Wagen vorfahren, und mein alter Diener Schäfer meldete kurz darauf den
Grafen Platen an. Ich ließ ihn heraufbilden, schärfte zuvor aber dem Diener
ein, nach Verschließen der Haustür deren Schlüssel an sich zu nehmen und
auf seinem Zimmer mein Klingelzeichen zum Öffnen unbedingt abzuwarten.

Getreu seiner Gepflogenheit, lebhaft und als handle es sich um einen
gelegentlichen freundschaftlichen Besuch, mit weltmännisch liebenswürdiger Kor-
dicilitüt, die ihm sonst so gut anstand, erkundigte er sich, nachdem ich ihn sehr
förmlich begrüßt hatte, nach meinem und meiner Frau Befinden, dann klagte
er über Ruhelosigkeit, die sein Amt. jetzt zumal, mit sich bringe, und kam auf
die Oper zu sprechen, auf deren Stern, die Weise als Primadonna und auf
Niemann, über die er sich sehr entzückt ausließ. Ich kannte Platen sehr genau,
schützte ihn sogar vieler guten Eigenschaften wegen, trotz seiner etwas kavalieren
Art der Geschäftsbehandlung. Aber diese Manier der Einführung und Ein¬
leitung einer überaus ernsten Angelegenheit frappierte, verletzte mich doch. Da
ich ihn aber darauf fest ins Auge faßte, wurde mir klar, daß all diese an den
Tag gelegte Sorglosigkeit nur Maske war, um seiue innerliche Aufregung zu
verbergen.

Bis dahin hatte ich, abgesehen von der kurzen, in kühlem, befremdeten
Tone gehaltnen Beantwortung seiner Fragen, kein Wort gesprochen, nur zuge¬
hört. Da er aber Miene zu machen schien, in Nichtigkeiten fortzufahren, so
erinnerte ich ihn ohne weiteres an deu vermutlichen Zweck seines Erscheinens.
"Ach ja, liebste Durchlaucht, antwortete er betreten, freilich komme ich deshalb;



Der Prinz besaß eine große Smmnllmg seltner und kostbarer Uhren jeder Gattung.
Zur Schicksalsstimde des ehemaligen Königreichs Hannover

schon der greise Generalleutnant von Jacobi gemacht. Alles vergebens. „Als
Christ, Monarch und Welse, erklärte der König, dürfe er anders nicht handeln."

Es hatte also kein menschliches Zutun dem rollenden Schicksalsrade in die
Speichen zu fallen vermocht.

Mit dem EntWurfe der Beantwortung der preußischen Sommation wurde
Graf Platen beauftragt. Aber erst am Abend hat sie in Herrenhausen dem
Könige vorgelegen. Menburg konnte nach allen ihm gewordnen Eindrücken
über den Ausfall der Antwort kaum mehr zweifelhaft sein; auch darüber nicht,
daß sie ihm schnell zugestellt werden würde. „Als sie jedoch, so erzählte der
Prinz, um elf Uhr nachts noch ausstand, wagte ich beinah an eine in letzter
Stunde erfolgte Sinnesänderung des Königs denken zu dürfen, weil ich sie eben
erhoffte. Denn das bevorstehende Schicksal des in allen seinen Mitgliedern
mir stets gütigen Königshauses mußte mir die ernstesten Besorgnisse einflößen.
Blieb also das Ultimatum Punkt zwölf Uhr unbeantwortet, so mußte schon
innerhalb der nächsten Stunde der Krieg erklärt und die Meldung hiervon nach
Berlin abgegangen sein. So verstrich Minute auf Minute, und meine Spannung
wuchs mit dem Fortschreiten der Zeiger aller meiner Uhren und deren
zunehmenden, vielstimmigen Anschlag/') Niemals waren sie so präzise überein¬
stimmend gegangen. Da, es war schon elfeinhalb Uhr durch, hörte ich einen
Wagen vorfahren, und mein alter Diener Schäfer meldete kurz darauf den
Grafen Platen an. Ich ließ ihn heraufbilden, schärfte zuvor aber dem Diener
ein, nach Verschließen der Haustür deren Schlüssel an sich zu nehmen und
auf seinem Zimmer mein Klingelzeichen zum Öffnen unbedingt abzuwarten.

Getreu seiner Gepflogenheit, lebhaft und als handle es sich um einen
gelegentlichen freundschaftlichen Besuch, mit weltmännisch liebenswürdiger Kor-
dicilitüt, die ihm sonst so gut anstand, erkundigte er sich, nachdem ich ihn sehr
förmlich begrüßt hatte, nach meinem und meiner Frau Befinden, dann klagte
er über Ruhelosigkeit, die sein Amt. jetzt zumal, mit sich bringe, und kam auf
die Oper zu sprechen, auf deren Stern, die Weise als Primadonna und auf
Niemann, über die er sich sehr entzückt ausließ. Ich kannte Platen sehr genau,
schützte ihn sogar vieler guten Eigenschaften wegen, trotz seiner etwas kavalieren
Art der Geschäftsbehandlung. Aber diese Manier der Einführung und Ein¬
leitung einer überaus ernsten Angelegenheit frappierte, verletzte mich doch. Da
ich ihn aber darauf fest ins Auge faßte, wurde mir klar, daß all diese an den
Tag gelegte Sorglosigkeit nur Maske war, um seiue innerliche Aufregung zu
verbergen.

Bis dahin hatte ich, abgesehen von der kurzen, in kühlem, befremdeten
Tone gehaltnen Beantwortung seiner Fragen, kein Wort gesprochen, nur zuge¬
hört. Da er aber Miene zu machen schien, in Nichtigkeiten fortzufahren, so
erinnerte ich ihn ohne weiteres an deu vermutlichen Zweck seines Erscheinens.
»Ach ja, liebste Durchlaucht, antwortete er betreten, freilich komme ich deshalb;



Der Prinz besaß eine große Smmnllmg seltner und kostbarer Uhren jeder Gattung.
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[0083] Zur Schicksalsstimde des ehemaligen Königreichs Hannover schon der greise Generalleutnant von Jacobi gemacht. Alles vergebens. „Als Christ, Monarch und Welse, erklärte der König, dürfe er anders nicht handeln." Es hatte also kein menschliches Zutun dem rollenden Schicksalsrade in die Speichen zu fallen vermocht. Mit dem EntWurfe der Beantwortung der preußischen Sommation wurde Graf Platen beauftragt. Aber erst am Abend hat sie in Herrenhausen dem Könige vorgelegen. Menburg konnte nach allen ihm gewordnen Eindrücken über den Ausfall der Antwort kaum mehr zweifelhaft sein; auch darüber nicht, daß sie ihm schnell zugestellt werden würde. „Als sie jedoch, so erzählte der Prinz, um elf Uhr nachts noch ausstand, wagte ich beinah an eine in letzter Stunde erfolgte Sinnesänderung des Königs denken zu dürfen, weil ich sie eben erhoffte. Denn das bevorstehende Schicksal des in allen seinen Mitgliedern mir stets gütigen Königshauses mußte mir die ernstesten Besorgnisse einflößen. Blieb also das Ultimatum Punkt zwölf Uhr unbeantwortet, so mußte schon innerhalb der nächsten Stunde der Krieg erklärt und die Meldung hiervon nach Berlin abgegangen sein. So verstrich Minute auf Minute, und meine Spannung wuchs mit dem Fortschreiten der Zeiger aller meiner Uhren und deren zunehmenden, vielstimmigen Anschlag/') Niemals waren sie so präzise überein¬ stimmend gegangen. Da, es war schon elfeinhalb Uhr durch, hörte ich einen Wagen vorfahren, und mein alter Diener Schäfer meldete kurz darauf den Grafen Platen an. Ich ließ ihn heraufbilden, schärfte zuvor aber dem Diener ein, nach Verschließen der Haustür deren Schlüssel an sich zu nehmen und auf seinem Zimmer mein Klingelzeichen zum Öffnen unbedingt abzuwarten. Getreu seiner Gepflogenheit, lebhaft und als handle es sich um einen gelegentlichen freundschaftlichen Besuch, mit weltmännisch liebenswürdiger Kor- dicilitüt, die ihm sonst so gut anstand, erkundigte er sich, nachdem ich ihn sehr förmlich begrüßt hatte, nach meinem und meiner Frau Befinden, dann klagte er über Ruhelosigkeit, die sein Amt. jetzt zumal, mit sich bringe, und kam auf die Oper zu sprechen, auf deren Stern, die Weise als Primadonna und auf Niemann, über die er sich sehr entzückt ausließ. Ich kannte Platen sehr genau, schützte ihn sogar vieler guten Eigenschaften wegen, trotz seiner etwas kavalieren Art der Geschäftsbehandlung. Aber diese Manier der Einführung und Ein¬ leitung einer überaus ernsten Angelegenheit frappierte, verletzte mich doch. Da ich ihn aber darauf fest ins Auge faßte, wurde mir klar, daß all diese an den Tag gelegte Sorglosigkeit nur Maske war, um seiue innerliche Aufregung zu verbergen. Bis dahin hatte ich, abgesehen von der kurzen, in kühlem, befremdeten Tone gehaltnen Beantwortung seiner Fragen, kein Wort gesprochen, nur zuge¬ hört. Da er aber Miene zu machen schien, in Nichtigkeiten fortzufahren, so erinnerte ich ihn ohne weiteres an deu vermutlichen Zweck seines Erscheinens. »Ach ja, liebste Durchlaucht, antwortete er betreten, freilich komme ich deshalb; Der Prinz besaß eine große Smmnllmg seltner und kostbarer Uhren jeder Gattung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/83>, abgerufen am 23.12.2024.