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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover

König Georg erließ nach Eintreffen der Nachricht sofort den Befehl zur
Kriegsrüstung und Zusammenziehung der Truppen bei Hannover. Daraufhin
führte Prinz Dsenburg am Morgen des 15. Juni den Befehl seines Kabinetts
aus: die wiederholt gestellten preußischen Forderungen als Ultimatum vorzulegen,
mit Friststellung zur Beantwortung bis 12 Uhr Mitternacht. Es bedeutete also den
Krieg, wenn der Entscheid ablehnend ausfiel oder die Frist unbeantwortet ablief.

Die Art nun der Behandlung dieser doch über Sein und Nichtsein zu
treffenden Entscheidung des hannoverschen Kabinetts ist durchaus typisch für die
auf kraftlose Velleitäten fast angewiesene Politik der damaligen Mittelstaaten.
Statt wie geschehen, mußte es handeln wie Sachsen, diplomatisch wie militärisch
schnell entschlossen und konsequent. Ja die territorial gefährdete Lage und die
Unfertigkeit seiner Rüstungen wiesen gebieterisch darauf hin. Wieder wurde ver¬
sucht, Zeit zu gewinnen, obwohl doch nicht eine einzige Minute mehr zu verlieren
war. Weshalb dies bei der sonstigen Entschlossenheit König Georgs unterblieb,
dafür steht eine zuverlässigere Erklärung als die, sie nur in der Person des
Grafen Platen zu suchen, noch aus. Und dennoch, so unzulänglich sich jener
als Minister erwiesen haben mag, so ist es doch beinah unmöglich, ihm seine
Haltung unmittelbar vor dem 15. Juni sowie während dieses Tages dem Konto
Verantwortlicher eigner Entschlüsse, der Überzeugung also, oder auch nur des leisen
Einverständnisses zuzuschreiben. Hat er aber auf Befehl seines allen politischen
Wirklichkeitsverhältnissen entfremdeten oder sich verschließenden königlichen Herrn
gehandelt, so entsprach es seiner Pflicht, den vorletzten Akt des Dramas mit
seinem nicht mehr auszuweichenden Appell an die Entscheidung durch das Schwert
würdiger vorzubereiten und zu gestalten. Das wäre er sowohl wie auch die
Umgebung des Königs, soweit sie Einfluß ausübte, dem Monarchen und dem
Lande schuldig gewesen. Ja, diese Umgebungen! Wie eine lose Farce mutet die
Tatsache an, daß Tschirschnitz, der Generaladjutant und Divisionär, sowie der
Chef des Generalstabes, Sichart, beide, als sie am 14. Juni abends auf die
Nachricht vom Zusammenziehen preußischer Truppen hart an den Grenzen des
Königreichs*) nach Herrenhausen eilten, dort, weil der hohe Herr einem Hof¬
konzert beiwohnte und im Kunstgenuß nicht gestört werden dürfe, zwei geschlagne
Stunden "antichambrieren" mußten, bevor man sie vorließ. Kunstgenuß -- und
RMnibal g-meo xortas!

Weniger verwunderlich erscheint die Haltung der Königin als Frau und
Gattin. Bei der Meinungsübereinstimmung der ganzen königlichen Familie über
den einzuschlagenden Weg -- nur der Kronprinz soll anfänglich Einwendungen
gemacht haben -- war ihre Stellungnahme in der Entscheidungsstunde ohne
weiteres gegeben. Das brachte sie zu unzweideutigein Ausdruck, als sie den um
die Mittagsstunde des 15. Juni zu einer letzten Audienz vom König erwarteten
Preußischen Gesandten, bevor man ihn jenem zuführte, in ihrem Zimmer, wohin
sie ihn noch schnell hatte bitten lassen, anging: "den'König, ihren Gemahl nicht



*) Division Goben bei Minden und das Korps Manteuffel an der untern Elbe.
Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover

König Georg erließ nach Eintreffen der Nachricht sofort den Befehl zur
Kriegsrüstung und Zusammenziehung der Truppen bei Hannover. Daraufhin
führte Prinz Dsenburg am Morgen des 15. Juni den Befehl seines Kabinetts
aus: die wiederholt gestellten preußischen Forderungen als Ultimatum vorzulegen,
mit Friststellung zur Beantwortung bis 12 Uhr Mitternacht. Es bedeutete also den
Krieg, wenn der Entscheid ablehnend ausfiel oder die Frist unbeantwortet ablief.

Die Art nun der Behandlung dieser doch über Sein und Nichtsein zu
treffenden Entscheidung des hannoverschen Kabinetts ist durchaus typisch für die
auf kraftlose Velleitäten fast angewiesene Politik der damaligen Mittelstaaten.
Statt wie geschehen, mußte es handeln wie Sachsen, diplomatisch wie militärisch
schnell entschlossen und konsequent. Ja die territorial gefährdete Lage und die
Unfertigkeit seiner Rüstungen wiesen gebieterisch darauf hin. Wieder wurde ver¬
sucht, Zeit zu gewinnen, obwohl doch nicht eine einzige Minute mehr zu verlieren
war. Weshalb dies bei der sonstigen Entschlossenheit König Georgs unterblieb,
dafür steht eine zuverlässigere Erklärung als die, sie nur in der Person des
Grafen Platen zu suchen, noch aus. Und dennoch, so unzulänglich sich jener
als Minister erwiesen haben mag, so ist es doch beinah unmöglich, ihm seine
Haltung unmittelbar vor dem 15. Juni sowie während dieses Tages dem Konto
Verantwortlicher eigner Entschlüsse, der Überzeugung also, oder auch nur des leisen
Einverständnisses zuzuschreiben. Hat er aber auf Befehl seines allen politischen
Wirklichkeitsverhältnissen entfremdeten oder sich verschließenden königlichen Herrn
gehandelt, so entsprach es seiner Pflicht, den vorletzten Akt des Dramas mit
seinem nicht mehr auszuweichenden Appell an die Entscheidung durch das Schwert
würdiger vorzubereiten und zu gestalten. Das wäre er sowohl wie auch die
Umgebung des Königs, soweit sie Einfluß ausübte, dem Monarchen und dem
Lande schuldig gewesen. Ja, diese Umgebungen! Wie eine lose Farce mutet die
Tatsache an, daß Tschirschnitz, der Generaladjutant und Divisionär, sowie der
Chef des Generalstabes, Sichart, beide, als sie am 14. Juni abends auf die
Nachricht vom Zusammenziehen preußischer Truppen hart an den Grenzen des
Königreichs*) nach Herrenhausen eilten, dort, weil der hohe Herr einem Hof¬
konzert beiwohnte und im Kunstgenuß nicht gestört werden dürfe, zwei geschlagne
Stunden „antichambrieren" mußten, bevor man sie vorließ. Kunstgenuß — und
RMnibal g-meo xortas!

Weniger verwunderlich erscheint die Haltung der Königin als Frau und
Gattin. Bei der Meinungsübereinstimmung der ganzen königlichen Familie über
den einzuschlagenden Weg — nur der Kronprinz soll anfänglich Einwendungen
gemacht haben — war ihre Stellungnahme in der Entscheidungsstunde ohne
weiteres gegeben. Das brachte sie zu unzweideutigein Ausdruck, als sie den um
die Mittagsstunde des 15. Juni zu einer letzten Audienz vom König erwarteten
Preußischen Gesandten, bevor man ihn jenem zuführte, in ihrem Zimmer, wohin
sie ihn noch schnell hatte bitten lassen, anging: „den'König, ihren Gemahl nicht



*) Division Goben bei Minden und das Korps Manteuffel an der untern Elbe.
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[0081] Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover König Georg erließ nach Eintreffen der Nachricht sofort den Befehl zur Kriegsrüstung und Zusammenziehung der Truppen bei Hannover. Daraufhin führte Prinz Dsenburg am Morgen des 15. Juni den Befehl seines Kabinetts aus: die wiederholt gestellten preußischen Forderungen als Ultimatum vorzulegen, mit Friststellung zur Beantwortung bis 12 Uhr Mitternacht. Es bedeutete also den Krieg, wenn der Entscheid ablehnend ausfiel oder die Frist unbeantwortet ablief. Die Art nun der Behandlung dieser doch über Sein und Nichtsein zu treffenden Entscheidung des hannoverschen Kabinetts ist durchaus typisch für die auf kraftlose Velleitäten fast angewiesene Politik der damaligen Mittelstaaten. Statt wie geschehen, mußte es handeln wie Sachsen, diplomatisch wie militärisch schnell entschlossen und konsequent. Ja die territorial gefährdete Lage und die Unfertigkeit seiner Rüstungen wiesen gebieterisch darauf hin. Wieder wurde ver¬ sucht, Zeit zu gewinnen, obwohl doch nicht eine einzige Minute mehr zu verlieren war. Weshalb dies bei der sonstigen Entschlossenheit König Georgs unterblieb, dafür steht eine zuverlässigere Erklärung als die, sie nur in der Person des Grafen Platen zu suchen, noch aus. Und dennoch, so unzulänglich sich jener als Minister erwiesen haben mag, so ist es doch beinah unmöglich, ihm seine Haltung unmittelbar vor dem 15. Juni sowie während dieses Tages dem Konto Verantwortlicher eigner Entschlüsse, der Überzeugung also, oder auch nur des leisen Einverständnisses zuzuschreiben. Hat er aber auf Befehl seines allen politischen Wirklichkeitsverhältnissen entfremdeten oder sich verschließenden königlichen Herrn gehandelt, so entsprach es seiner Pflicht, den vorletzten Akt des Dramas mit seinem nicht mehr auszuweichenden Appell an die Entscheidung durch das Schwert würdiger vorzubereiten und zu gestalten. Das wäre er sowohl wie auch die Umgebung des Königs, soweit sie Einfluß ausübte, dem Monarchen und dem Lande schuldig gewesen. Ja, diese Umgebungen! Wie eine lose Farce mutet die Tatsache an, daß Tschirschnitz, der Generaladjutant und Divisionär, sowie der Chef des Generalstabes, Sichart, beide, als sie am 14. Juni abends auf die Nachricht vom Zusammenziehen preußischer Truppen hart an den Grenzen des Königreichs*) nach Herrenhausen eilten, dort, weil der hohe Herr einem Hof¬ konzert beiwohnte und im Kunstgenuß nicht gestört werden dürfe, zwei geschlagne Stunden „antichambrieren" mußten, bevor man sie vorließ. Kunstgenuß — und RMnibal g-meo xortas! Weniger verwunderlich erscheint die Haltung der Königin als Frau und Gattin. Bei der Meinungsübereinstimmung der ganzen königlichen Familie über den einzuschlagenden Weg — nur der Kronprinz soll anfänglich Einwendungen gemacht haben — war ihre Stellungnahme in der Entscheidungsstunde ohne weiteres gegeben. Das brachte sie zu unzweideutigein Ausdruck, als sie den um die Mittagsstunde des 15. Juni zu einer letzten Audienz vom König erwarteten Preußischen Gesandten, bevor man ihn jenem zuführte, in ihrem Zimmer, wohin sie ihn noch schnell hatte bitten lassen, anging: „den'König, ihren Gemahl nicht *) Division Goben bei Minden und das Korps Manteuffel an der untern Elbe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/81>, abgerufen am 23.07.2024.