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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zu Bülows Rücktritt

Lage entspreche, konnte sich doch nicht auf den eigentlich bereits abgetanen Zwischen¬
fall mit dem Monarchen beziehn, dem der Reichstag verfassungsmäßig gar keine
Vorschriften zu machen berechtigt war. Mißverstanden wurde auch seine Betonung
der Schwere des Entschlusses, im Amte zu bleiben, "weil ich glaube, gerade unter
den gegenwärtigen schwierigen Verhältnissen dem Kaiser und dem Lande weitere
Dienste leisten zu können. Wie lange mir das möglich ist, steht dahin." Die
Schwierigkeiten der äußern Lage waren offenkundig, darum hielt ihn die Pflicht
im Amte fest. Die Schwierigkeiten der innern Lage bestanden in der Durchführung
der Finanzreform durch den Block. Darauf allein konnten sich die Worte beziehen:
"Wie lange mir das möglich ist", und die darin liegende Resignation drückt
schon eine tief gesunkne Hoffnung aus. Die Milieupresse und wohl auch der
Reichstag legte sie aber in der Richtung gegen den Kaiser aus, und man ließ
sich auch in der Auffassung nicht beirren, als dieser am 17. November frei¬
willig gewissermaßen die Antwort veröffentlichen ließ, die er auf eine an ihn
gerichtete Adresse des Reichstags erteilt haben würde, "unbeirrt durch die von
ihm als ungerecht empfundnen Übertreibungen der öffentlichen Kritik". Zugleich
versicherte der Kaiser den Reichskanzler abermals des fortdauernden Vertrauens.
Bei den bekannten freundschaftlichen Beziehungen zwischen Kaiser und Kanzler
war Bülow des Monarchen sicher, der ihm sogar den persönlich so überaus
ärgerlichen Verstoß im Auswärtigen Amte verziehn hatte, auf dieses Verhältnis
konnte sich das "Wie lange noch" nicht beziehen. Aber die Abgeordneten und
noch mehr die Milieupresse täuschten sich in ihrer Selbstsuggestion ebenso sehr
über den Sinn dieser Worte wie über die Wirkung ihrer Reden gegen den Kaiser,
die in den weitesten Kreisen des Volks das Gegenteil von dem gewollten Eindruck
hervorgerufen haben.

Aus dieser Auffassung erklärt sich auch das weitere Verhalten des Fürsten
Bülow ohne jede Schwierigkeit. Am zweiten Tage der Debatte beteiligte er
sich nicht mehr. Er sah, daß die Redner, um anscheinend etwas Neues zu sagen,
ihre Vorgänger überboten und das gestern noch eingehaltne Maß weit über¬
schritten. Seine Hoffnung mußte darum noch tiefer sinken, denn seinem Weit¬
blick verbarg sich nicht die tiefe Kluft, die sich da zwischen rechts und links
aufgetan hatte, und die sich bei der Beratung der Finanzreform als unüber¬
windliches Hindernis erweisen würde. Noch einen letzten Versuch machte er in
seiner großzügigen Einleitungsrede zur Finanzreform am 19. November, um
den nationalen Sinn zu beleben, der allein das Zusammenwirken von rechts und
links zu ermöglichen vermag.

Nach der Zusammensetzung des Reichstags konnte die Regierung eigentlich
zwei Eisen im Feuer haben. Sie konnte mit dem Block regieren oder mit der
konservativ-klerikalen Kombination. Fürst Bülow hatte daraus verzichtet
und sich bloß auf den Block festgelegt, mit dem er seine Ziele zu erreichen sich
getraute. Das war weder ein Irrtum noch eine Überhebung, denn er hatte
die bedenklichen Folgen der Mitwirkung der im Banne einer nicht reinnationalen


Zu Bülows Rücktritt

Lage entspreche, konnte sich doch nicht auf den eigentlich bereits abgetanen Zwischen¬
fall mit dem Monarchen beziehn, dem der Reichstag verfassungsmäßig gar keine
Vorschriften zu machen berechtigt war. Mißverstanden wurde auch seine Betonung
der Schwere des Entschlusses, im Amte zu bleiben, „weil ich glaube, gerade unter
den gegenwärtigen schwierigen Verhältnissen dem Kaiser und dem Lande weitere
Dienste leisten zu können. Wie lange mir das möglich ist, steht dahin." Die
Schwierigkeiten der äußern Lage waren offenkundig, darum hielt ihn die Pflicht
im Amte fest. Die Schwierigkeiten der innern Lage bestanden in der Durchführung
der Finanzreform durch den Block. Darauf allein konnten sich die Worte beziehen:
„Wie lange mir das möglich ist", und die darin liegende Resignation drückt
schon eine tief gesunkne Hoffnung aus. Die Milieupresse und wohl auch der
Reichstag legte sie aber in der Richtung gegen den Kaiser aus, und man ließ
sich auch in der Auffassung nicht beirren, als dieser am 17. November frei¬
willig gewissermaßen die Antwort veröffentlichen ließ, die er auf eine an ihn
gerichtete Adresse des Reichstags erteilt haben würde, „unbeirrt durch die von
ihm als ungerecht empfundnen Übertreibungen der öffentlichen Kritik". Zugleich
versicherte der Kaiser den Reichskanzler abermals des fortdauernden Vertrauens.
Bei den bekannten freundschaftlichen Beziehungen zwischen Kaiser und Kanzler
war Bülow des Monarchen sicher, der ihm sogar den persönlich so überaus
ärgerlichen Verstoß im Auswärtigen Amte verziehn hatte, auf dieses Verhältnis
konnte sich das „Wie lange noch" nicht beziehen. Aber die Abgeordneten und
noch mehr die Milieupresse täuschten sich in ihrer Selbstsuggestion ebenso sehr
über den Sinn dieser Worte wie über die Wirkung ihrer Reden gegen den Kaiser,
die in den weitesten Kreisen des Volks das Gegenteil von dem gewollten Eindruck
hervorgerufen haben.

Aus dieser Auffassung erklärt sich auch das weitere Verhalten des Fürsten
Bülow ohne jede Schwierigkeit. Am zweiten Tage der Debatte beteiligte er
sich nicht mehr. Er sah, daß die Redner, um anscheinend etwas Neues zu sagen,
ihre Vorgänger überboten und das gestern noch eingehaltne Maß weit über¬
schritten. Seine Hoffnung mußte darum noch tiefer sinken, denn seinem Weit¬
blick verbarg sich nicht die tiefe Kluft, die sich da zwischen rechts und links
aufgetan hatte, und die sich bei der Beratung der Finanzreform als unüber¬
windliches Hindernis erweisen würde. Noch einen letzten Versuch machte er in
seiner großzügigen Einleitungsrede zur Finanzreform am 19. November, um
den nationalen Sinn zu beleben, der allein das Zusammenwirken von rechts und
links zu ermöglichen vermag.

Nach der Zusammensetzung des Reichstags konnte die Regierung eigentlich
zwei Eisen im Feuer haben. Sie konnte mit dem Block regieren oder mit der
konservativ-klerikalen Kombination. Fürst Bülow hatte daraus verzichtet
und sich bloß auf den Block festgelegt, mit dem er seine Ziele zu erreichen sich
getraute. Das war weder ein Irrtum noch eine Überhebung, denn er hatte
die bedenklichen Folgen der Mitwirkung der im Banne einer nicht reinnationalen


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[0065] Zu Bülows Rücktritt Lage entspreche, konnte sich doch nicht auf den eigentlich bereits abgetanen Zwischen¬ fall mit dem Monarchen beziehn, dem der Reichstag verfassungsmäßig gar keine Vorschriften zu machen berechtigt war. Mißverstanden wurde auch seine Betonung der Schwere des Entschlusses, im Amte zu bleiben, „weil ich glaube, gerade unter den gegenwärtigen schwierigen Verhältnissen dem Kaiser und dem Lande weitere Dienste leisten zu können. Wie lange mir das möglich ist, steht dahin." Die Schwierigkeiten der äußern Lage waren offenkundig, darum hielt ihn die Pflicht im Amte fest. Die Schwierigkeiten der innern Lage bestanden in der Durchführung der Finanzreform durch den Block. Darauf allein konnten sich die Worte beziehen: „Wie lange mir das möglich ist", und die darin liegende Resignation drückt schon eine tief gesunkne Hoffnung aus. Die Milieupresse und wohl auch der Reichstag legte sie aber in der Richtung gegen den Kaiser aus, und man ließ sich auch in der Auffassung nicht beirren, als dieser am 17. November frei¬ willig gewissermaßen die Antwort veröffentlichen ließ, die er auf eine an ihn gerichtete Adresse des Reichstags erteilt haben würde, „unbeirrt durch die von ihm als ungerecht empfundnen Übertreibungen der öffentlichen Kritik". Zugleich versicherte der Kaiser den Reichskanzler abermals des fortdauernden Vertrauens. Bei den bekannten freundschaftlichen Beziehungen zwischen Kaiser und Kanzler war Bülow des Monarchen sicher, der ihm sogar den persönlich so überaus ärgerlichen Verstoß im Auswärtigen Amte verziehn hatte, auf dieses Verhältnis konnte sich das „Wie lange noch" nicht beziehen. Aber die Abgeordneten und noch mehr die Milieupresse täuschten sich in ihrer Selbstsuggestion ebenso sehr über den Sinn dieser Worte wie über die Wirkung ihrer Reden gegen den Kaiser, die in den weitesten Kreisen des Volks das Gegenteil von dem gewollten Eindruck hervorgerufen haben. Aus dieser Auffassung erklärt sich auch das weitere Verhalten des Fürsten Bülow ohne jede Schwierigkeit. Am zweiten Tage der Debatte beteiligte er sich nicht mehr. Er sah, daß die Redner, um anscheinend etwas Neues zu sagen, ihre Vorgänger überboten und das gestern noch eingehaltne Maß weit über¬ schritten. Seine Hoffnung mußte darum noch tiefer sinken, denn seinem Weit¬ blick verbarg sich nicht die tiefe Kluft, die sich da zwischen rechts und links aufgetan hatte, und die sich bei der Beratung der Finanzreform als unüber¬ windliches Hindernis erweisen würde. Noch einen letzten Versuch machte er in seiner großzügigen Einleitungsrede zur Finanzreform am 19. November, um den nationalen Sinn zu beleben, der allein das Zusammenwirken von rechts und links zu ermöglichen vermag. Nach der Zusammensetzung des Reichstags konnte die Regierung eigentlich zwei Eisen im Feuer haben. Sie konnte mit dem Block regieren oder mit der konservativ-klerikalen Kombination. Fürst Bülow hatte daraus verzichtet und sich bloß auf den Block festgelegt, mit dem er seine Ziele zu erreichen sich getraute. Das war weder ein Irrtum noch eine Überhebung, denn er hatte die bedenklichen Folgen der Mitwirkung der im Banne einer nicht reinnationalen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/65>, abgerufen am 25.08.2024.